Kriegsroman

Der Männlichkeit auf die Spur

Bundeswehr-Panzer 2013 während einer Übung in Afghanistan.
Auch Bundeswehrsoldaten fühlen sich oft durch Auslandseinsätze überlastet © picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Maike Albath · 30.01.2014
Mit "Die Einsamkeit der Primzahlen" landete Paolo Giordano einen großen Erfolg. Sein neuer Afghanistan-Roman "Der menschliche Körper" ist ein Generationen-Porträt, das die Wirklichkeit des Krieges eindringlich vermittelt.
Genau wissen sie nicht, worauf sie sich eingelassen haben: Ietri, Cederna, Camporesi, Mitrano, Di Salvo und Torsu, italienische Soldaten, kurz vor dem Einsatz in Afghanistan. Sie stellen sich den Stützpunkt in der Provinz Herat als eine Mischung aus Zeltlager und Abenteuercamp vor, in dem vergnügungswillige amerikanische Kameradinnen auf sie warten. Aber es kommt alles ganz anders. Die jungen Männer landen im Schlamm und Dreck, werden von Lebensmittelvergiftungen geplagt und geraten auf einem Konvoi durch ein gefährliches Tal in einen fatalen Hinterhalt. Am Ende lassen vier von ihnen ihr Leben, ein fünfter kehrt verkrüppelt und seelisch zerstört nach Italien zurück. Der Krieg entpuppt sich als das, was er ist: dreckig und grausam, unkalkulierbar in seiner Asymmetrie, fragwürdig in seinen Zielen.
Paolo Giordano, Jahrgang 1982, Experte für Teilchenphysik und Bestsellerautor, der mit seinem preisgekrönten Debüt "Die Einsamkeit der Primzahlen" einen internationalen Erfolg landete, legt einen Afghanistan-Roman vor, der die Wirklichkeit des Krieges eindringlich vermittelt. Im Hintergrund schwingen Anspielungen auf Filme und Bücher mit; die Soldaten selbst rezitieren eine Szene aus "Full Metal Jacket" von Stanley Kubrick. Der Autor, der neben seiner Doktorarbeit in Physik auch noch zwei Semester lang die Turiner Schreibschule Holden von Alessandro Baricco besuchte, verzichtet auf einen Haupthelden und schildert die Geschehnisse stattdessen aus wechselnden Perspektiven.
Armee als Bollwerk
Er stellt seine Fähigkeiten als Konstrukteur unter Beweis, arbeitet mit Rückblenden, konterkariert Höhepunkte durch Vorwegnahmen, vermittelt seine Figuren über Dialoge und Innenschau und inszeniert den Angriff durch die Taliban inmitten von einer Schafherde als einen Abstieg in die Hölle. Neben den Neuankömmlingen stehen der Feldwebel René und der Arzt Egitto im Mittelpunkt des Romans. René, der sich in Italien als Callboy ein Zubrot verdiente, sorgt sich um seine Männer und macht im Verlauf des Aufenthalts einen Wandel durch. Egitto, der wie ein älterer Bruder von Giordanos Helden aus "Die Einsamkeit der Primzahlen" wirkt und unter Schuppenflechte leidet, nutzt die Armee als Bollwerk vor den verheerenden Zuständen in seiner großbürgerlichen Familie, dämpft seine Nöte mit Antidepressiva und muss als Sexualobjekt seiner weiblichen Vorgesetzten herhalten.
"Der menschliche Körper"ist aber nicht nur ein Kriegsroman, sondern auch ein Generationen-Porträt und der Versuch, dem Begriff der Männlichkeit auf die Spur zu kommen. Giordano legt eine Art Typologie vor. Die klassischen soldatischen Tugenden wie Gehorsamkeit, Ehrgefühl, Tapferkeit und Stärke sind nur die eine Seite. Der Titel deutet es schon an: Der Krieg wird für die jungen Soldaten zu einer umwälzenden physischen Erfahrung. Erst als sie die eigene Verletzbarkeit realisieren, entwickeln sie ein Gespür für ihre innere Versehrtheit. Nach dem Einsatz kehren alle verändert nach Italien zurück.

Paolo Giordano: "Der menschliche Körper"
Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner
Rowohlt Verlag Reinbek 2014
416 Seiten, 19, 95 EURO

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