Schlicht kompliziert

Von Mandy Schielke |
Viele deutsche Mode-Labels werden von Designern mit Migrationshintergrund betrieben. Zum Beispiel Perret Schaad: Dahinter verbirgt sich zur Hälfte die in Hanoi geborene Vietnamesin Tutia Schaad. Heute präsentiert sie ihre neue Kollektion auf der Fashion Week in Berlin.
"Meine Mutter, sie hat mir immer gesagt, ich habe diese Chance, dieses Leben zu haben, also hier zu studieren, in diesen schönen Ländern. Ich bin privilegiert verglichen zu meiner Kindheit. Und ich soll daraus das Beste machen. Das ist mein Traum, Mode zu gestalten, Design zu machen, zeichnen, drapieren. Ich habe die Chance, das zu machen und deshalb muss ich das machen."

Tutia Schaad ist 29 Jahre alt. Morgens um neun empfängt sie in ihrem Atelier im Prenzlauer Berg. Abgezogene Dielen, viel Licht und dampfender grüner Tee auf dem Zuschneidetisch.

"Das ist ein Seidenkleid, der Stoff kommt aus Deutschland, sehr schön, sehr hochwertig. Der Schnitt, kann man sehen, ist schlicht kompliziert. Nicht nah am Körper und trotzdem feminin und wenn man das trägt, sehr weiblich und auch sexy, wenn man läuft, dann sieht man die Konturen des Körpers. Damit spielen wir."

Auf den Kleiderstangen, die sich an der Wand entlang ziehen, hängen Hemdblusenkleider und klassische geschnittene Mäntel. Tutia Schaad trägt zur Jeans eine Blousonjacke aus grauer Seide, in die Metallfasern gewebt sind. Klassisch feminin, aber nicht brav wirkt dieses Kleidungsstück an der zierlichen Modeschöpferin, die mit ihrer glatten Haut, dem aufrechten Gang und den schwarzen langen Haaren selbst wie ein Model aussieht. Nebenan bespricht ihre Partnerin ein paar Entwürfe mit einer Schneiderin.

"Wir haben einen ähnlichen Anspruch an Qualität und Farben. Aber wir sind auch unterschiedlich genug, um das Ganze interessant zu machen. Es ist ein kleines Abenteuer für uns, denn wir wussten nicht, dass es so schön klappen würde. Es war intuitiv, das man sagt ja, mit ihr möchte ich etwas machen. Es hat sich einfach super entwickelt."

Die beiden Designerinnen lernen sich 2008 während des Modedesignstudiums an der Kunsthochschule Weißensee kennen. Sie feilen an ihren Diplomkollektionen und arbeiten zwischendurch im Pariser Designstudio von Givenchy, machen bei Modewettbewerben mit. Der "Fashion Week"-Veranstalter IMG wird auf sie aufmerksam. Im Januar 2010 zeigen sie ihre Entwürfe zum ersten Mal gemeinsam vor internationalem Publikum. Modekritiker loben ihre ausgereifte Schnitttechnik, die Eleganz, die Klarheit und bezeichnen das Duo darauf hin als das Beste, was der deutschen Mode seit Jil Sander passiert ist. Der Druck wächst.

"Das ist natürlich schmeichelnd. Das heißt aber auch, dass wir uns immer verbessern sollen und auch wollen."

Zwischen Tutia Schaad und ihrer Partnerin gibt es keine Aufteilung nach dem Motto, die eine ist kreativ, die andere kümmert sich ums Geschäft. Alle machen alles, so ist es. Und doch gibt es da etwas, dass Tutia Schaad vielleicht stärker einbringt als Johanna Perret: Ehrgeiz, Hartnäckigkeit. Dieser Charakterzug ist ihr früh beigebracht worden. Als sie sieben Jahre alt ist, zieht ihre Mutter mit ihr von Vietnam in die Schweiz, von Hanoi nach Lausanne. Tutia Schaad ist ein Einwandererkind, das vorankommen soll.

"Ich war immer sehr schlecht in Deutsch. Bin ich immer noch ein bisschen. Es war sehr schwierig für mich und irgendwann habe ich gedacht, die Sprache ist sehr harmonisch. Und irgendetwas hat mich herausgefordert und ich mochte diese Schwierigkeit."

Nach dem Abitur beginnt Tutia mit dem Modedesignstudium in Genf, geht als Erasmusstudentin 2004 nach Hamburg und bald darauf nach Berlin. Mit der vietnamesischen Community in Berlin hat sie nicht viel zu tun. Auch ihre Mutter, Mathematikprofessorin, sucht weder in der Schweiz noch in Frankreich viel Kontakt zu Landsleuten.

"Meine Mutter und ich waren immer sehr zufrieden mit dem Integrationsprozess. Wir waren immer willkommen, egal wo wir waren. Ich hatte Chancen."

Und Tutia Schaad hat sie genutzt. Abitur, Studium, Auslandssemester, Praktika... und doch hat sie Heimweh nach ihren Wurzeln, ihrer Familie, nach der Kultur und dem Land, das sie aus Kindertagen und den Sommerferien kennt. Zum Glück gibt es in Berlin-Lichtenberg das Dong Xuan Center. Mit der Straßenbahn braucht Tutia von ihrer Wohnung in Mitte keine 20 Minuten bis dorthin.

"Blumen aus Plastik kann man kaufen. Ab und zu gehe ich dort hin und dann kaufe ich auch Reis dort und wir gehen dort essen auch mit meinen deutschen Freunden. Für sie ist es dann wie eine kleine Reise und ich konnte eine Verbindung zu meinem Land aufnehmen. Es ist nicht so leicht, wenn man die ganze Zeit rumreist und umzieht. Man weiß nicht mehr genau wohin man gehört."

Im Sommer will sie wieder zu ihrer Familie nach Vietnam fahren, nach Hanoi. Dort wohnen alle in einem Haus, die Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Eine andere Welt, eine andere Heimat.

Homepage von Perret Schaad
Mehr zum Thema