Arbeitsmarkt

Auf dem Bau gehört die Schwarzarbeit zum Alltag

07:29 Minuten
Eine Person vom Zoll trägt eine Dienstwaffe.
Der Zoll kontrolliert in Deutschland auch die Arbeitserlaubnis auf Baustellen und ermittelt oft Rechtsverstöße. © IMAGO / Fotostand / IMAGO / Fotostand / Gelhot
Von Manfred Götzke · 14.11.2022
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Ob Hausbau, Handwerksarbeiten oder Haushaltshilfe – das Arbeiten ohne rechtskonformen Arbeitsvertrag ist in Deutschland Gang und Gebe. Jährlich verliert der Fiskus dadurch Milliardeneinnahmen und eine Besserung der Situation ist nicht in Sicht.
Unterwegs mit der FKS, der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ in Berlin. Die Beamten sind auf dem Weg zu einer Baustelle in Wilmersdorf, auf der sie Schwarzarbeit vermuten. Sie haben einen Hinweis bekommen.
„Die Unternehmen, die da tätig sind, haben gar keine Arbeitnehmer angemeldet. Also wie wollen die ihre Leistungen erbringen? Das ist immer ein Hinweis darauf, dass eventuell hier Schwarzarbeit stattfindet.“
Auf dem Bau ist Schwarzarbeit eher die Regel als die Ausnahme, erzählt der Einsatzleiter, Zollamtsrat Ronny. Bei fast allen ihrer Kontrollen würden sie fündig. Es lohnt sich einfach zu sehr für die Baufirmen. Sie sparen Kosten, die Strafen und Bußgelder sind gering. Und oftmals werden die Verantwortlichen auch gar nicht belangt.
„Die andere Seite ist da auch recht clever, die haben Mechanismen entwickelt, um die Aufklärung so weit zu erschweren, dass nur, weil wir die jetzt festgestellt haben, wir eben nicht zu verwertbaren Beweisen kommen und dadurch die Ermittlungsverfahren wasserdicht machen.“
Die Beamten, die wir zum Schutz hier nur beim Vornamen nennen, halten kurz vor der Baustelle für eine letzte Einsatzbesprechung. Zwei Zivilbeamte haben das Bauvorhaben gerade ausgekundschaftet. Eine Luxus-Villa.
„Wir waren jetzt gerade noch mal da, haben uns mit einer Person da unterhalten. Es soll tatsächlich ein Einfamilienhaus sein. Aber nicht wie man sich das vorstellt, dass da 150 Quadratmeter sind. Das sind locker 400 Quadratmeter und soll einem kroatischen Mitbürger gehören, der stinkreich ist.“
Die 20 Ermittler fahren ein paar Hundert Meter zur Baustelle vor – dann laufen sie mit Schusswesten und Waffe im Halfter ins Gebäude.
„Wir gehen jetzt rein.“
Ein paar Minuten später darf ich nachkommen. Einige Beamte versuchen, mit drei Arbeitern zu sprechen.
„Sie verstehen Deutsch?“ – „No“ – Little englisch.“
Es sind albanische Staatsbürger. Sie sind mit einem Touristenvisum in die EU gekommen – eine Arbeitserlaubnis haben die drei jungen Männer nicht. Die Ermittler fragen nach dem Namen des Arbeitgebers. „I dont know!“, sagt einer. Auch den Namen ihres Chefs kennen sie nicht, behaupten sie. Seit einer Woche seien sie in Deutschland. Am Tisch neben den Albanern sitzt ein deutscher Arbeiter – er sei Garten und Landschaftsbauer, sagt er.  
„Darum bin ick hier, ich will da Pflanzen einsetzen.“
Die drei albanischen Arbeiter, kenne er nicht, behauptet er. Die Beamten befragen sie weiter, mithilfe von albanisch-sprachigen Formularen und Google-Übersetzer.  
„Wir versuchen, gerade rauszukriegen, wer der Arbeitgeber ist, von wem die Beteiligten die Arbeitsanweisungen bekommen. Weil das dann im Nachgang von erheblicher Bedeutung ist. Aber die haben keinen Namen, keine Firma, sagen: ´Ne, kennen wir nicht.`“

Der jährliche Schaden geht in die Milliarden

Etwa 360 Milliarden Euro dürfte die Schwarzarbeit in diesem Jahr in Deutschland umfassen. Deutlich mehr als 2021, sagt Bernhard Boockmann von der Uni Tübingen. Er untersucht Jahr für Jahr, welches Ausmaß Schwarzarbeit in Deutschland hat.
„Wir sehen derzeit ein deutlich verschlechtertes Konsumklima und das kann bedeuten, dass die Haushalte geringere Ausgaben planen, infolge der gestiegenen Preise. Und das wiederum bedeutet, dass Druck auf die Anbieter besteht, günstiger anzubieten, sodass sie unter Umständen in die Schattenwirtschaft ausweichen.“
Die durch die Energiekrise getriebene Inflation, die höheren Materialkosten, die deutlichen Anzeichen für eine Rezession sind dabei die entscheidenden Faktoren, sagt der Ökonom.
„Immer dann, wenn es der offiziellen Wirtschaft gut geht, ist die Schattenwirtschaft tendenziell niedriger. Und dieser Mechanismus könnte auch wirken, wenn wir in eine Rezession eintreten, könnte es sein, dass das die Schattenwirtschaft erhöht.“

Wo Schattenwirtschaft Alltag ist

Firmen aber auch Privathaushalte dürften vor allem in den Bereichen sparen, wo sowieso schon viel schwarzgearbeitet wird: im Handwerk, bei haushaltsnahen Dienstleistungen, in der Reinigungsbranche etwa. Und eben auf dem Bau.
Im Hauptzollamt Berlin bin ich mit Axel Osmenda verabredet. Er ist Sachgebietsleiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Eine konkrete Prognose, ob die Schwarzarbeit in diesem Jahr ansteigt, wagt er nicht.
„Jede Kostensteigerung führt dazu, dass der Anreiz größer wird, Leute schwarz zu beschäftigen. Ob es aber tatsächlich so ist aufgrund des Mindestlohns, kann ich nicht belegen. Schwarzarbeit findet im Verborgenen statt und letztendlich kann keiner sagen, wie viel wird tatsächlich in Deutschland schwarzgearbeitet.“  
Was er sagen kann: In manchen Branchen gehört Schwarzarbeit längst zum Alltag. Allen voran auf dem Bau. Dort gebe es kaum große Vorhaben ohne illegale Beschäftigung, sagt er und präzisiert:
„Man muss es etwas einschränken: Bei Innenausbau, bei den Elektrikern ist es nicht so verbreitet. Aber wenn es um Stahlarmierungsarbeiten, Trockenbau geht – dann gibt es schon zahlreiche Unternehmen, die nicht legal arbeiten.“  

Strukturen von Organisierter Kriminalität

Auf dem Bau würden ganze Firmenkonstrukte nur zu dem Zweck geschaffen, um legale Arbeit vorzutäuschen. Da würden Subunternehmen zum Schein gegründet, um die Beschäftigung von Schwarzarbeitern zu verschleiern:
„In der Baubranche ist das sehr verbreitet, da wird durch Gründung von Gesellschaften legale Arbeit vorgetäuscht, durch angeblichen Subunternehmereinsatz – das sind Dimensionen, die wir in einem eigenen Bereich bekämpfen, die organisierte Form der Schwarzarbeit, wir bewegen uns aber da teilweise auch im Bereich der Organisierten Kriminalität.“
Auch in der Logistikbranche grassiert Schwarzarbeit inzwischen massiv. Hier sind die Ermittler der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf eine neue Strategie von Firmen aufmerksam geworden. Sie stellen Fahrer aus Staaten außerhalb der EU als Praktikanten an. In einem aktuellen Fall haben große Berliner Logistikfirmen 3000 Beschäftigte aus Drittstaaten mit dieser Methode eingeschleust und sie dann hier schwarzarbeiten lassen.
„Man tat so, als ob die Arbeitnehmer ein Praktikum in Deutschland absolvieren im Rahmen ihrer Studiengänge, die sie im Ausland absolvieren. Da gib es Erleichterungen bei der Einreise. Die sind dazu genutzt worden, diese Leute nach Deutschland zu bekommen. Im Nachhinein haben wir festgestellt, dass die Universitäten, bei denen die immatrikuliert waren, gar nicht existierten.“

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Bei der Kontrolle in der Luxus-Villa in Wilmersdorf sind die Beamten bei der Befragung der albanischen Arbeiter etwas weitergekommen.
Der deutsche Gärtner habe sie zur Baustelle gefahren, sagen sie. Und ihnen für die ersten drei Arbeitstage Geld gegeben. 240 Euro Cash für jeden. Der Gärtner läuft nervös telefonierend vor dem Haus herum, kommt dann zum leitenden Beamten, reicht ihm das Telefon. Es werde gerade ein Arbeitsvertrag für die Albaner aufgesetzt, außerdem seien die erst seit gestern auf der Baustelle.
„Wenn sie mir erzählen, die sind den ersten Tag hier, das ist Quatsch. Okay, deswegen sage ich es ihnen ja, das ist schon die erste Unstimmigkeit. Also wäre jetzt ein Vertrag zu machen für den ersten Tag.“
Der FKS-Beamte stellt klar, dass die Albaner etwas völlig anderes erzählt haben. So oder so. Ein Arbeitsvertrag wäre für sie ohnehin nicht rechtsgültig, sie haben schließlich keine Arbeitserlaubnis. Für den Chef oder seinen Arbeitnehmer, den Gärtner, könnte es jedenfalls teuer werden – auf die Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitserlaubnis steht eine Geldbuße von bis zu 500.000 Euro.
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