Sascha Macht: „Spyderling“

Die ganze Welt als Brettspiel

05:27 Minuten
Auf dem Cover sind Autorenname und Buchtitel in schwarzer Schrift auf grauem Hintergrund zu sehen. Darunter ist ein gemaltes Auge in einem Viereck mit goldenem Rand, umringt von stilisierten bordeauxroten Brettern mit Goldrand.
© Dumont

Sascha Macht

SpyderlingDuMont Buchverlag, Köln 2022

480 Seiten

24,00 Euro

Von Nico Bleutge · 14.03.2022
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Er hat ein Händchen für eigensinnige Stoffe. In seinem neuen Roman beschwört Sascha Macht die Liebe zu Brettspielen und schickt seine Figuren nach Moldau. Der Trip ist auch eine Reise durch den eigenen Kopf.
Schon nach den ersten Seiten dieses Romans könnte man mühelos einen Katalog der besten Sprüche darüber anlegen, was ein Brettspiel ausmacht. Nicht mehr als „nutzloser Zeitvertreib“ oder „bedruckter Papiermüll“ für die einen, finden seine Verteidiger die Wirklichkeit in komprimierter Form darin: „das Leben in seiner Fülle und Komplexität“, eine Auseinandersetzung mit der „unbekannten Finsternis“ ringsum. Oder gleich das Höchste: „Was in den Spielen geschieht, betrifft die ganze Welt und all ihre Bewohner.“

Einladung vom Spielegott Spyderling

Zum Glück weiß Sascha Macht solche hehren Bestimmungen immer wieder ironisch zu brechen. Von jeher hat er ein Faible für das Schreiben über eigensinnige Vorlieben. Was in seinem Romanerstling „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“ Horrorfilme waren, sind nun Brettspiele. Ein Faszinosum, das seine Figuren nicht nur antreibt, selbst Spiele zu erfinden, sondern aus dem einige eine ganze Lebenskunst ableiten. Allen voran Daytona Sepulveda, die junge Icherzählerin.
Ein paar Jahre zuvor ist sie aus den USA nach Leipzig geflohen, nicht von ungefähr bezeichnet sie sich selbst als „verrückt gewordene Wanderin“. Nun ist sie mit einer Handvoll anderer Spieleentwickler einer Einladung des legendären Spielegotts Spyderling auf sein Weingut gefolgt, das mitten in der Republik Moldau liegt.

Sprachspiel im Spiel

Auf den ersten Blick passiert nicht viel auf diesem Anwesen. Die einen freunden sich an und plauschen über Spiele, die anderen pflegen ihre Animositäten. Ob Spyderling sich je sehen lassen wird, ja, ob er (oder sie?) überhaupt existiert, bleibt lange Zeit offen. Immerhin, nach vielen Tagen (und Seiten) auf dem Weingut faltet Sascha Macht die Straßen von Chişinău vor seinem Lesepublikum auf. Dazu gibt es jede Menge Spiele und Rückblenden in Daytonas Vergangenheit.
Das Schöne aber ist, dass er seine Spieleerfinder nicht als eine Horde besessener Freaks zeigt, sondern dem Roman bei allem Vergnügen an ironischen Volten einen harten Kern einschreibt.
Fast schon Pflicht bei diesem Thema, legt er sein Buch nach Vorbildern wie Roberto Bolaño oder Thomas Pynchon als ein mehrfach verschachteltes Spiel im Spiel an. Dazu gehören seitenlange Auflistungen und Sätze, die über mehrere Seiten reichen. Und immer wird damit gespielt, wie nah sich vermeintliche Wirklichkeit und Fiktion kommen können.

Alles könnte ganz anders sein

Es hat seine traurige Ironie, dass einer der Erzählstränge die Situation in der Ostukraine und in Transnistrien berührt. In der Erwähnung prorussischer Separatisten einerseits und des „letzten bisschen Sowjetunion“ andererseits erhält der Roman genauso wie in den Szenen aus Moldau eine unerwartete Aktualität.
Leider hat das Buch seine Längen und einige unmotivierte Wiederholungen. Auch ist es letztlich vielleicht doch nur die Geschichte von Daytona Sepulveda, der man folgt, die meisten anderen Figuren bleiben auffallend blass.
Stark ist der Roman aber dort, wo er die Welt der Spiele mit Daytonas mäanderndem Denken kurzschließt. Und mit ihrer traumatischen Erinnerung an ein Ereignis im Dschungel von El Salvador (was klugerweise bis zuletzt ungeklärt bleibt). An diesen Stellen bekommt man eine Ahnung davon, dass alles auch anders sein könnte, wie Daytona einmal meint – „so ganz, ganz anders, als es uns beigebracht wurde“.
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