Santo Piazzese: "Blaue Blumen zu Allerseelen"

Die illegale Ökonomie Palermos

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"Blaue Blumen zu Allerseelen" von Santo Piazzese
Ebenso systematisch und konzentriert wie sein Held Kommissar Spotorno geht auch der Autor Santo Piazzese vor. © Edition Converso/picture alliance/dpa/Oliviero Olivieri
Von Maike Albath · 04.06.2019
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Kommissar Vittorio Spotorno ist ein unbeirrbarer Polizist, der kaltblütige Morde in Palermo aufklären will. Mit dem Krimi "Blaue Blumen zu Allerseelen", der Ende der 90er-Jahre spielt, ist Santo Piazzese eine packende Mafia-Analyse gelungen.
Kommissar Vittorio Spotorno hat das Knäuel fast entwirrt, als ihm interne Mafia-Streitigkeiten in die Quere kommen. Noch zwei Tote, kaltblütig hingerichtet, wie es unter Ehrenmännern üblich ist. Eine Art Ausrufezeichen, womit man den anderen delinquenten Oberhäuptern der Stadt signalisiert: Wer sich zum Boss eines Viertels aufschwingen will, muss wissen, worauf er sich einlässt.
Dabei war der unbeirrbare Polizist der ganzen Angelegenheit, die ihn auf unerwartete Weise in seine Kindheit zurückkatapultierte und verschüttete Erinnerungen wachrief, bereits auf die Schliche gekommen. Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen hatte Spotorno zusammengesetzt und vor allem auf seine Intuition vertraut.
Die ersten Opfer waren nämlich Rosario Alamia und Gaspare Mancuso gewesen, erschossen am Steuer eines himmelblauen Fiat 127. Mit Rosario hatte Vittorio Spotorno früher am Strand der palermitanischen Außenbezirke Austern gesammelt.

Die Oberfläche ist trügerisch

Auf den ersten Blick wirkt es so, als habe man es auf Mancuso abgesehen gehabt. Gemeinsam mit seinem gewitzten neapolitanischen Assistenten Puleo beginnt der Kommissar zu ermitteln, immer wieder eingeholt von Szenen seiner Jugend – wie leicht hätte auch er in falsche Kreise geraten können, wäre er nicht aufs Gymnasium gegangen.
Er besucht die trauernde Mutter, stößt auf eine ungewöhnliche junge Frau und bemerkt schließlich die sprunghaften Umsatzsteigerungen des Reisebüros, das Rosarios Schwester mit ihrem Mann betreibt. Doch selbst als der Kommissar das typische Muster erkennt – eine der Mafiafamilien hatte Kredit zu günstigen Bedingungen gegeben, für neue Kunden gesorgt und das Geschäft mithilfe eines Strohmannes übernommen – zeigt sich das, was in Sizilien ganz häufig der Fall ist: Die Oberfläche ist trügerisch.
Ebenso systematisch und konzentriert wie sein Held Kommissar Spotorno geht auch der Autor Santo Piazzese vor. Jahrgang 1948, von Beruf Biologe, Zeit seines Lebens an der Universität beschäftigt und Verfasser einer kleinen Serie eher untypischer Noir, verfährt er nach dem Prinzip eines Wissenschaftlers und lässt seinen Protagonisten mit Hypothesen und Beweisführungen arbeiten.
Spotorno ist kein wild um sich schießender, einsamer Wolf, sondern ein sympathischer Familienvater mit Ehefrau und zwei Söhnen, der seinen Beruf aus ethischer Überzeugung ergriffen hat.

Ein Krimi mit investigativem Charakter

Ähnlich wie seine großen Vorbilder Andrea Camilleri und Leonardo Sciascia, die beide einen diskreten Auftritt haben, liefert Piazzese ein Porträt seiner Insel und ein Soziogramm der Sizilianer. "Blaue Blumen zu Allerseelen", im Original 2002 erschienen, spielt in den späten 1990er-Jahren und hat auch einen investigativen Charakter: Wie greifen Lokalpolitik, Wirtschaftsinteressen und organisierte Kriminalität ineinander?
Mit seinem Buch gelingt Santo Piazzese eine Mischung aus packendem Krimi, Gesellschaftsroman und Mafia-Analyse. Denn auch dies glückt dem Autor: Eine leicht nachvollziehbare Darstellung der illegalen Ökonomie Palermos. Wer Piazzese liest, begreift etwas von dem, das anders ist, als es scheint.

Santo Piazzese: "Blaue Blumen zu Allerseelen. Ein Palermo-Krimi"
Aus dem Italienischen übersetzt von Monika Lustig
Edition Converso, Bad Herrenalb 2019
338 Seiten, 21 Euro

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