Sai Baba

Das Göttliche in Ost-Berlin

Der indische Guru Sai Baba 1996 mit verzückten Zuhörerinnen in seinem Aschram in Südindien
Der indische Guru Sai Baba 1996 mit verzückten Zuhörerinnen in seinem Aschram in Südindien © dpa / picture alliance / Politikens Presse Foto
Von Dieter Bub · 04.03.2015
Die Anhänger Sai Babas huldigen einer Lehre, die Gleichberechtigung aller Religionen und allumfassende Liebe verkündet. Auch in der DDR fand der indische Guru viele Anhänger – bis heute bewahren sie Sai Baba die Verehrung.
Jeden Donnerstagabend treffen sich im Berliner Stadtteil Wedding die Anhänger Sri Sathya-Sai Babas – eines indischen Avatars, eines Göttlichen, der zu den Menschen gekommen sei. Ein Avatar ist ein göttlich Herabgestiegener:
"Er ist ... aus der höchsten Quelle hat er sich materialisiert. Er ist göttliches Bewusstsein. Hat sich einen Körper angenommen, damit er mit uns in Kontakt treten kann."
Gerda Bülow gehört seit Mitte der 80er-Jahren zu den Devodes, den Millionen Anhängern Sai Babas. Sie sagt, er habe sie gefunden. Das Ungewöhnliche: Gerda Bühlow lebte zu DDR-Zeiten mit ihrer Familie in Köpenick, im Osten Berlins:
"Da kam ungefähr 1985 eine Dame zu uns, die wir kannten, die auch spirituell interessiert war wie wir, und brachte ein Buch von Baba mit."
Die Schriften Babas fanden großes Interesse. Schon bald traf sich eine Gruppe, die sich in Ost-Berlin seiner Botschaft anschloss. Gerda Bühlow glaubt an ein Zeichen, eine Fügung:
"Wir hatten den Mut, die Westberliner zu empfangen. Die Westberliner hatten den Mut, rüberzukommen und Schriften mitzubringen, die sie eigentlich nicht durften. Sind also immer gut rübergekommen, sind auch nicht kontrolliert worden und das regelmäßig alle drei Wochen von '87 an."
Sai Babas Porträt hängt im Wohnzimmer
Seit 1987 ist das Wohnzimmer in der Gründerzeitvilla von Gerda Bühlow ein Ort der Meditation mit dem Porträt Sai Babas. Auch bei Brigitte und Horst Kuhn in Wendenschloss an der Spree brennt eine Kerze vor dem Bildnis des Verehrten, der 1987 ihr Leben veränderte. Früher waren beide im Verlagswesen in Ostberlin beschäftigt, waren sie, wie sie von sich sagen, biedere ordentliche DDR-Bürger mit den allseits üblichen Vorbehalten. Religion und Kirche hatten ihnen nichts bedeutet.
"Mit dem Göttlichen zu leben, täglich, ich wär nie auf den Gedanken gekommen. Und das wurde dann ganz anders."
Ihre Verwandlung begann im Herbst 1987.
"Da waren wir bei Freunden eingeladen und da kamen aus dem Westen, aus Westberlin, Sai Baba-Leute zu Besuch. Und das war so faszinierend, die hatten eine Ausstrahlung, das war uns fremd, diese Art, Menschen, die so rund sind, die so strahlen. Das war vollkommen neu. Die Sai Baba-Leute, die lebten mit Sai Baba, die kriegten Auskünfte, die konnten Fragen stellen. Das ist das Ungeheuerliche: dass man durch die Sai-Organisation, wenn man ein unbeleckter Bürger ist, sehr, sehr viel lernt. Man lernt mit Energien umzugehen, man lernt zu meditieren, man lernt zu vertrauen und zu verstehen."
Aus den Ungläubigen Kuhns, den ordentlichen Bürgern jenes Staates, dessen einzig wahre Religion der Marxismus war, wurden Anhänger eines fernöstlichen Predigers, der die Gleichberechtigung aller Religionen und die Botschaft von der allumfassenden Liebe verkündete.
"Sai Baba hat uns ganz viel Kraft gegeben. Wir haben uns ja hier getroffen zu einer Zeit: Wir wohnten unter lauter Kommunisten und wir haben uns getroffen und das war unheimlich gefährlich. Und wir haben ein totales Vertrauen gehabt und das ist nicht enttäuscht worden."
Die Stasi verstand die Gesänge nicht
Wenn sich 20, 30 Sai Baba-Anhänger trafen und über ein Dutzend Westautos vor der Tür standen, war selbstverständlich auch die Staatssicherheit mit einem Lada und Spitzeln unter den Gläubigen zur Stelle. Außer der Observierung geschah jedoch nichts, wohl auch deshalb, weil die Stasi in den für sie unverständlichen Gesängen keine Staatsgefährdung entdecken konnte.
Horst Simon fand über die Musik zu Sai Baba:
"Bei mir war es eher mit der Musik am Anfang. Als die hierherkamen, die Baba-Leute brachten ihre Gitarren mit, und der Gesang, die Badjans, das war für mich erst auch alles fremdartig. Aber im Laufe der Zeit bin ich dann reinjewachsen und habe mein Bandoneon genommen und habe mir die Sachen eingeübt. Vierzehn Jahre lang habe ich alle 14 Tage immer neues Programm gemacht und immer, wenn sie gesungen haben, habe ich dann mein Bandoneon geholt und mitgespielt, praktisch."
Nach 1989 haben sich die Kuhns leichten Herzens vom real existierenden Sozialismus und der DDR verabschiedet, von einem Staat, in dem Religion als gefährliche Abweichung von der Staatsdoktrin galt. Bis heute haben sie sich ihre Verehrung für ihren Göttlichen Führer bewahrt. Ost– und Westberliner treffen sich längst gemeinsam.
Sai Baba ist vor fünf Jahren gestorben, er habe, so Gerda Bühler, seine körperliche Hülle abgelegt, sei dennoch für die Millionen seiner Anhänger gegenwärtig. Davon ist auch Brigitte Kuhn überzeugt. Die Kuhns und Gerda Bülow haben Sai Baba noch in Putapardi leibhaftig erlebt:
"Tod in dem Sinne gibt es nicht. Wir mussten viele Dinge lernen, auch viele Vorstellungen über Bord werfen. Und man kann sich immer an Sai Baba wenden und man bekommt eine Antwort."
Mehr zum Thema