Religion, neu gemixt
Hoffeste, Mittelaltermärkte und Dorffeiern – was hat das mit Glaube zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Aber auf den zweiten Blick lassen sich bei solchen Veranstaltungen neue Formen des Religiösen aufspüren - so genannte "Religionshybride".
Später Vormittag auf dem Gelände des Klosters Rühn bei Bützow: Während auf dem Innenhof die Stände für das alljährliche Klosterfest aufgebaut werden, hält ein Zisterziensermönch in der Kirche einen katholischen Gottesdienst. Etwa 50 Gläubige füllen die vorderen Bänke. Unter ihnen ist auch Arnaud Liszka, 41 Jahre alt und Religionswissenschaftler der Universität Rostock.
Als der Gottesdienst zu Ende ist, taucht der gebürtige Franzose in das Markttreiben auf dem Hof vor der Kirche ein. Ein Schmied bearbeitet auf seinem Amboss ein Stück glühendes Eisen. Ein Töpfer dreht an seiner Scheibe. Daneben präsentiert eine Frau ihre selbstgeflochtenen Weidenkörbe. Es riecht nach Holzkohle und Bratwürsten. Familien in langen mittelalterlichen Gewändern schlendern von Stand zu Stand. Im Gegensatz zum Gottesdienst ist der Markt gut besucht.
Arnaud Liszka: "Dadurch, dass es trotzdem sehr kirchlich traditionell durchgezogen wurde, hatte es eine sehr geringe Anziehungskraft auf das Publikum des Festes. Es waren Leute, die extra für die Messe angekommen waren. Das hat man an ihrem Verhalten auch gemerkt. Das war weniger Teil des Klostermarktes als eine Sonderveranstaltung wahrscheinlich für Katholiken aus der Umgebung."
Nicht überraschend für ein Bundesland, in dem sich gerade mal 20 Prozent der Bevölkerung zu einer der beiden großen Kirchen bekennt.
Arnaud Liszka: "Das interessante an dem Projekt war, es gerade in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden zu lassen. Also ein Land, von dem man mit Sicherheit ausgehen kann, dass es entkirchlicht ist und das Interesse für das traditionell Religiöse ist nur noch minoritär vorhanden.
Mecklenburg-Vorpommern, wenn die Säkularisierungstheorie recht hat, stellt die Zukunft Europas dar. Diese Situation, die wir hier erleben, Kirchenmitgliedschaft bei 20 Prozent der Bevölkerung, ist auch etwas, das mittelfristig in Westdeutschland kommen wird. Und was auch zum großen Teil in England, Frankreich und Belgien der Fall ist."
Lesungen, Konzerte, Kräuterwanderungen, Mittelaltermärkte
Die Ausgangsidee des Forschungsprojektes „Religionshybride“ war die These, dass in Mecklenburg-Vorpommern Religion - genauer christliche Religionshybride - neu entsteht. Abseits der organisierten Religion der Landeskirchen. Um diese These zu untermauern, untersuchen Arnaud Liszka und seine Kollegen über 200 Kirchbau- und Gutshausvereine. Diese Vereine kümmern sich um den Erhalt und die Sanierung von alten Kirchen, Klosteranlagen und Gutshäusern. Was in diesen alten Gemäuern geschieht, ist ganz unterschiedlich: Lesungen, Konzerte, Kräuterwanderungen, Mittelaltermärkte. Arnaud Liszka besucht die Veranstaltungen – und beobachtet und dokumentiert, was er sieht.
Er geht auf einen jungen Mann in Jeans und Shirt zu. Es ist David Pilgrim, Marktleiter und Gründer des Klostervereines. Seine gesamte Freizeit steckt er in die Anlage aus dem 13. Jahrhundert, sagt er.
David Pilgrim:" Ich bin hier her gezogen 2004. Sah diese Klosterruine, und man sieht sie ja dann als jemand der hier wohnt jeden Tag. Und konnte sozusagen das Elend nicht mit ansehen, dass dieses alte Gemäuer verfällt. Und auf der anderen Seite, die Kirche, und wie gesagt, dass ich als Pastorenkind also wirklich christlich sozialisiert bin – liegt es einfach nahe, sich in irgendeiner Form zu engagieren."
Arnaud Liszka will David Pilgrim zu einem längeren Interview nach Rostock einladen.
David Pilgrim: "Grundsätzlich gerne. Und welcher Art inhaltlich sind die Fragen?
Arnaud Liszka: "Eine zentrale Frage für uns ist es, diese Beschäftigung mit Kirchgebäuden, Klosteranlagen...in wie weit hat das etwas mit Religion zu tun?
David Pilgrim:" Es darf gerne mehr echte Religion hier eine Rolle spielen. Aber es ist natürlich immer eine Gratwanderung, weil so etwas wie die Tempelrittervereine, die wir schon da hatten oder es waren ja auch schon aktive Ordensleute hier. Dieses Jahr eben mal den Deutsche Ordern als Experiment. Aber es soll schon immer auch einen historischen Anstrich haben."
Die Mitarbeiter des Forschungsprojektes sehen Anzeichen für Religion überall dort, wo Gemeinschaft, Identität und Transzendenz in Kombination auftauchen. Das Projekt "Religionshybride" wird mit insgesamt 400.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert.
Arnaud Liszka: "Das ist der Herold, der bei jedem Klosterfest ist und das ist eigentlich eine ganz interessante Geschichte."
Das 'Vater unser' auf Mittelhochdeutsch - Wann hört man das mal?
Der Mann mit dem braunen Filzhut und den Schnabelschuhen hat, über seine Figur des auf Mittelaltermärkten gespielten Herolds, zum Glauben und zur Kirche gefunden. Für ihn eine logische Konsequenz, deren Ursprung in seiner Faszination für das Mittelalter liegt:
Ton Herold: "Beispielsweise wenn man mal daran denkt, das 'Vater unser' auf Mittelhochdeutsch. Wann hört man das mal? Oder viele Dinge, die dann aus dem Mittelaltermarkt heraus zur Predigt werden. Das gehört einfach dazu und lockt auch Menschen in die Kirche, weil sie daran interessiert sind. Es ist ja nicht so, dass die Menschen nicht mehr glauben. Sondern es ist so, dass die Menschen – wie ich erfahren musste – ein bisschen den Glauben an die Kirche verloren haben, aber nicht den Glauben an Gott. Warum soll nicht das, was auch auf einem Mittelaltermarkt passiert, mit Träger für den Glauben sein. Denn letzten Endes muss man sich darüber auch mal klar werden. Gerade im Mittelalter war ja Glaube ganz anders angesiedelt. Das hatte ja einen ganz anderen Stellenwert. Viele tragen das heute noch immer in sich. Wie man den Glauben lebt, ist egal. Aber ihn überhaupt zu leben ist das Wichtige."
Der abendliche Gottesdienst hat bereits begonnen. Vor der Tür steht ein Ritter, der den Eingang bewacht. Arnaud Liszka fotografiert ihn noch schnell für die Dokumentation von „Religionshybride“. Die Forscher möchten während ihres dreijährigen Projektes auch untersuchen, inwiefern sich die Veranstaltungen über die Jahre verändern.
Arnaud Liszka: "Einerseits wird das Interesse für das Klosterfest an sich immer größer. Aber auch innerhalb des Festes wird anscheinend auch das Interesse für religiöse Themen immer größer."
Zwei Jahre nach Beginn des Forschungsprojektes sehen die Mitarbeiter um Arnaud Liszka ihre These bestätigt: In Mecklenburg-Vorpommern entstehen neue Mischformen von Religion. Und immer mehr Menschen interessieren sich dafür. Der Nachfolgeantrag für das Projekt ist bereits gestellt.