Sachbuch

Der Terror der permanenten Beleuchtung

Laserstrahlen in der Nacht
Dunkel wird's nicht: Das Licht von Diskotheken, Tankstellen und Laternen erhellt auch den ländlichen Nachthimmel. © dpa / picture alliance
Von Harald Welzer · 10.07.2014
Überall leuchten Laternen, Lampen und Scheinwerfer: Die Dunkelheit ist aus unserer Welt verschwunden, schreibt Paul Bogard in seinem Buch über "Die Nacht". An ihre Stelle tritt ein künstlicher 24-Stunden-Tag - der krank machen kann.
Es gibt keine Dunkelheit mehr. Diese betrübliche Aussage gilt nicht nur für Städte, in denen es zwar schummrige Orte gibt, aber keine physikalische Dunkelheit, keine Abwesenheit von Licht. Es gilt auch für ländliche Regionen, wo der Nachthimmel heute meist gräulich ist, nicht sternenfunkelnd. Kein Gedanke, dass man die Milchstraße sehen könnte; der Lichtschein der Großstädte erhellt auch den ländlichen Himmel, dazu werfen Autoscheinwerfer, Straßenlaternen, Tankstellenbeleuchtungen, wenn man besonderes Pech hat, Laserstrahlen von Dorfdiskotheken ihren Lichtschein in die Nacht, die es nicht mehr gibt.
Seltsam: Auch am Tag fahren seit einiger Zeit Autos mit gleißend weißem Licht durch die Gegend, und die Radfahrer rüsten nach und leuchten mit blendhellen LED-Lampen in den Tag. Licht überall, aber keine Dunkelheit, nirgends. Das rapide Verschwinden der Nacht fällt nicht auf, weil es ein schleichender Vorgang ist, wie jede Veränderung der Umwelt, in der man lebt.
Um so wichtiger ist das Buch "Die Nacht. Reise in eine verschwindende Welt" von Paul Bogard. Es nimmt einen tatsächlich mit auf eine Reise zu einem verlorenen Aspekt des Daseins: die Dunkelheit, die noch bis in das 20. Jahrhundert die Hälfte des Lebens bestimmte. Bogard beschreibt das Verschwinden der Dunkelheit historisch, von der Einführung der Gaslaternen bis zur Daueranleuchtung historischer Gebäude, die über Jahrhunderte nachts niemals so dramatisch inszeniert zu sehen waren wie heute.
Die Sehnsucht nach den dunklen Orten
Er erzählt von den wenigen wirklich dunklen Orten, die es heute noch auf der Erde gibt, vom sinnlichen Zusammenhang zwischen Gerüchen, Geräuschen, Farben und der Abwesenheit von Tageslicht, von der Poesie der Nacht, und von den Krankheitsfolgen der künstlichen 24-Stunden-Tage ohne Nacht. Es gibt begründete Hinweise darauf, dass bestimmte Krebserkrankungen bei Schicht- und Nachtarbeitenden häufiger auftreten als bei jenen, die die Nacht zum Schlafen nutzen – auch darüber finden sich in Bogards Buch interessante und beunruhigende Ausführungen.
Tatsächlich beginnt man sich, je weiter man liest, nach Orten zu sehnen, an denen es tatsächlich so dunkel ist, dass einem die Sterne nicht vorenthalten werden, und man beginnt zu verstehen, wieso es eine wachsende zivilgesellschaftliche Bewegung gegen "Lichtverschmutzung" gibt. Die immaterielle Verschmutzung der Dunkelheit durch immer mehr und immer helleres Licht spielt noch eine kleine Nebenrolle in den ökologischen Debatten – dabei ist der Terror der permanenten Beleuchtung keine ferne Folge von Handeln, das auf Umweltbedingungen keine Rücksicht nimmt, sondern etwas, in dem die Sinnlosigkeit des immer schneller wachsenden Energiebedarfs direkt erfahrbar wird: als Verlust von sensorischer Erfahrungsmöglichkeit, als Zerstörung nicht-künstlicher Welt.
Auch wenn das Buch nicht ohne Längen ist und sich gelegentlich in weitschweifiger Naturschwärmerei ergeht: Wenn man sich erinnern möchte, was der Erfahrung verloren zu gehen droht, sollte man "Die Nacht" lesen.

Paul Bogard: Die Nacht. Reise in eine verschwindende Welt
Blessing, München 2014

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