Deutsche Firmen und der Ukrainekrieg

Russland-Geschäfte trotz Sanktionen

08:44 Minuten
Giuseppe Nardi und Jonas Thielmann (v.l.) unterhalten sich in der Produktion der Firma Dr. Theiss Naturwaren GmbH in Homburg.
Zehn Prozent seines gesamten Umsatzes macht Dr. Theiss Naturwaren in Russland. Das saarländische Unternehmen betont etwa seine Verantwortung gegenüber den dortigen Kunden. © imago / BeckerBredel
Von Anke Schaefer · 17.05.2022
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Gegen Russland gelten viele Sanktionen. Doch es fließen noch immer Gelder dorthin – auch weil Unternehmen Geschäfte machen. Sprechen möchte niemand darüber, schriftlich ist die Rede von Verantwortung und Prüfung. Doch es geht offenbar auch anders.
Wegen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine haben westliche Regierungen zahlreiche Sanktionen gegen russische Unterstützer des Kreml verhängt. Es ist jedoch nicht der gesamte Zahlungsverkehr zwischen Russland und dem Westen zum Erliegen gekommen. Dabei geht es nicht nur um russisches Öl und Gas, das für die deutsche Industrie und zum Heizen benötigt wird, sondern auch um Firmen, die mit und in Russland gute Geschäfte machen.
Zum Beispiel im Saarland. Insgesamt 35 saarländische Firmen sind bei der IHK gelistet, die in Russland Produktionsstätten oder Niederlassungen haben oder Handel betreiben. Reden möchte kaum jemand. Aber klar ist: Die Wirtschaftsaktivitäten laufen weiter, so bestätigt es die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes. Der IHK sei kein Unternehmen bekannt, das seine Geschäfte in Russland freiwillig eingestellt hätte, solange man nicht gegen die Sanktionen verstoße, heißt es.

Schriftliches Statement statt Interview

Handeln wirklich alle weiter in Russland? Wenn man sich auf die Suche macht, entsteht immer wieder derselbe Dialog: Auf die Frage, ob ein Interview möglich ist, kommt ein „Nein“. Auf die Frage, warum nicht, heißt es zum Teil: „Weil wir nicht in der Öffentlichkeit stehen wollen.“ Statt der Einwilligung in ein Interview kommt von vielen Unternehmen ein schriftliches Statement, das veröffentlicht werden darf. Zum Beispiel von der DHS Dillinger Hütte Saarstahl AG:

„Russland ist kein klassischer Absatzmarkt für Produkte der SHS-Gruppe. Dillinger hat in der Vergangenheit in geringem Umfang Bleche für den Maschinen- und Anlagenbau nach Russland geliefert. Zurzeit bestehen keine Geschäftsbeziehungen mit Kunden in Russland. Wir prüfen permanent die aktuellen Entwicklungen und handeln im Einkauf und Vertrieb – wie im gesamten Unternehmen – entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und Sanktionen und setzen diese konsequent um.“

Stellt sich die Frage: Wenn die Sanktionen umgesetzt werden und keine Geschäftsbeziehungen mit Russland bestehen – warum kann man dann nicht darüber sprechen?
Die Dillinger Hütte mit Lichtern an den Gebäuden.
"Zurzeit bestehen keine Geschäftsbeziehungen mit Kunden in Russland", erklärt die Dillinger Hütte, das größte Grobblechwerk Europas, in einem Statement. Aber warum ist dann kein Interview möglich?© picture alliance / dpa / Andreas Arnold
Die Firma Globus hat Lebensmittelmärkte in Deutschland, Tschechien und Russland. Dafür steht der Einzelhändler mit rund 20.000 Mitarbeitenden auf der Prangerliste der US-Eliteuniversität Yale, die diejenigen westlichen Firmen aufführt, deren Waren nicht auf einer Sanktionsliste stehen und die weiter in Russland aktiv sind, also „business as usual“ machen. Globus sitzt im saarländischen St. Wendel und beschäftigt in Russland rund 10.000 Angestellte in 19 Hypermärkten. Auch hier gibt es statt eines Interviews ein schriftliches Statement:

"Die Ereignisse in der Ukraine verurteilen wir und die Entwicklungen der letzten Wochen haben uns sehr erschüttert. Aktuell arbeiten unsere deutschen und tschechischen Markthallen an vielen Standorten mit Hilfsorganisationen und privaten Initiativen zusammen und unterstützen die Flüchtlinge in den beiden Ländern, an den EU-Grenzen und in der Ukraine mit dringend benötigten Lebensmittel-, Kleider-, Geld- und Sachspenden. Als Reaktion haben wir unsere Investitionen in neue Projekte und unsere Expansion in Russland gestoppt. Als Lebensmittelhändler konzentrieren wir uns auf die Grundversorgung der Menschen vor Ort und deren Zugang zu Lebensmitteln. Zudem machen wir unsere knapp 10.000 russischen Kollegen, mit denen uns seit mehr als 15 Jahren eine große gegenseitige Wertschätzung verbindet, nicht verantwortlich für politische Entscheidungen.“

Werbung im belarussischen Staatsfernsehen

Das saarländische Familienunternehmen Globus will also die Russland-Geschäfte nicht aufgeben. Das scheint auch für Dr. Theiss Naturwaren so zu sein. 600 Mitarbeiter hat das Unternehmen in Homburg und liefert seit mehr als 30 Jahren nach Russland: vor allem Schmerzmittel und zum Beispiel auch die überall in ostdeutschen Ländern beliebte Zahnpasta Lacalut. Dr. Theiss Naturwaren steht als zweites saarländisches Unternehmen auf der Prangerliste der amerikanischen Yale-University. Zehn Prozent des Gesamtumsatzes macht es in Russland, hat dort 130 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Die Firma schaltete auch Werbung im belarussischen Staatsfernsehen, was Aktivisten der deutsch-schweizerischen Organisation „Libereco – Partnership for Human Rights“ kritisierten. „Aufgrund der Menschenrechtslage, der starken Repressionen die in Belarus herrschen, seit den Wahlen 2020 – mit inzwischen über 1.100 politischen Gefangenen, finden wir es grundverkehrt, wenn westliche Unternehmen wie Dr. Theiss in solchen Staatsmedien in Belarus Werbung schalten“, sagt der Präsident der Organisation, Lars Bünger. Denn: „Die befinden sich unter hundertprozentiger Kontrolle des Regimes, und dort wird Propaganda ausgestrahlt, die Opposition wird diffamiert, und es gibt regelmäßig Todesdrohungen gegen Regimekritiker."

Verantwortung gegenüber Kunden in Russland

Das gäbe reichlich Gesprächsstoff für ein Interview in Homburg. Doch mit Guiseppe Nardi, dem Geschäftsführer von Dr. Theiss Naturwaren, ist lediglich ein Hintergrundgespräch möglich, aus dem nichts veröffentlicht werden darf. Die Aktivisten von Libereco haben festgestellt, dass Dr. Theiss die Werbung in Belarus eingestellt hat. „Was Dr. Theiss Naturwaren betrifft, waren wir sehr erfreut, dass es dann zur Mitteilung kam, dass Dr. Theiss die Werbung eingestellt hat“, so Lars Bünger. „Wir mussten aber leider feststellen, dass Dr. Theiss immer noch im russischen Staatsfernsehen auf den Sendern Putins Werbung schaltet.“
Dem sei nicht so, heißt es aus dem Unternehmen. Dr. Theiss Naturwaren werde seine Produkte weiterhin nach Russland liefern. Zu den Gründen kommt dieses Statement:

„Wie zahlreiche andere betroffene Unternehmen, die ebenfalls versorgungsrelevante und lebenswichtige Produkte, Arzneimittel, Medizinprodukte und Schmerzmittel herstellen, ist sich auch das Unternehmen Dr. Theiss Naturwaren seiner Versorgungspflicht und seiner Verantwortung gegenüber seinen Kunden und Mitarbeitern des Unternehmens im In- und Ausland bewusst. Die Bevölkerung in Russland wird mit Gesundheitsprodukten für Erwachsene und vor allem für Kinder versorgt. Wie alle anderen Unternehmen auch, beobachtet und bewertet Dr. Theiss Naturwaren die Entwicklung fortlaufend. Darüber hinaus gibt Dr. Theiss Naturwaren zu bedenken, dass es auch vertragliche Vereinbarungen gibt, die einzuhalten sind.“

Freiwillige Entscheidung gegen Russlandgeschäft

Der saarländische Keramikhersteller Villeroy&Boch ist unter „V“ der letzte Eintrag auf der IHK-Liste. Die Sanitärfabrik von Villeroy&Boch, in der unter anderem Waschbecken, Bidets und Toilettenschüsseln gebrannt werden, steht in Mettlach an der Saarschleife. Markus Warncke, im Vorstand von V&B, schickt ein Statement zu den Entscheidungen in Sachen Geschäftsbeziehungen nach Russland:

„Villeroy&Boch betreibt in der Ukraine und in Russland keine Produktionsstätten. Für Russland, Weißrussland und die Ukraine, die zusammen weniger als drei Prozent unseres Konzernumsatzes ausmachen, besteht aktuell ein Auftragsstopp. Bestehende Lieferverträge haben wir gekündigt. Wir lassen hier das Geschäft bis auf Weiteres ruhen und werden die Lage neu bewerten, sobald die Situation es zulässt.“

Villeroy&Boch ist teilweise vom Embargo gegen Luxusgüter betroffen, für alle weiteren Verträge hat der Vorstand aber hier eine vollkommen freiwillige Entscheidung getroffen. Offenbar gibt es doch ein Unternehmen, das diesen Schritt gegangen ist und die Geschäfte in Russland freiwillig eingestellt hat. Für andere saarländische Firmen scheint dies kein gangbarer Weg zu sein.

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