"Kunst zu verkaufen darf kein Tabu sein"
In Nordrhein-Westfalen soll heute ein Runder Tisch darüber entscheiden, ob die Kunst-Sammlung der früheren Westdeutschen Landesbank auf dem freien Markt verkauft wird. Der Kulturwissenschaftler und Autor Wolfgang Ulrich sieht die Sache gelassen: Viele Unternehmen seien gar nicht in der Lage, Kunst auf Dauer zu verwalten und zu konservieren, sagt er.
Es gibt einen aktuellen Konflikt zwischen Steuerzahlern und Kunstfreunden. Erstere finden es gut, wenn öffentliche Einrichtungen bei knapper Kasse ihre Kunstsammlungen verkaufen. Letztere nicht, weil die Kunst dann meist bei privaten Sammlern landet und nicht mehr öffentlich zugänglich ist. Genau das könnte nun mit der Kunstsammlung der früheren Westdeutschen Landesbank passieren.
Heute soll ein Runder Tisch in Nordrhein-Westfalen entscheiden, ob die Sammlung auf dem freien Markt verkauft werden soll oder nicht. Sie befindet sich derzeit im Besitz der Portigon AG, welche die Rechtsnachfolgerin der Westdeutschen Landesbank ist.
Gehört eine Kunstsammlung wie diese der Öffentlichkeit, oder darf sie veräußert werden? Der Kulturwissenschaftler, Autor und Berater Wolfgang Ulrich sieht diese Frage gelassen. Sein Vorschlag: Die Kunst mit Bezug zum Land Nordrhein-Westfalen sollte an die heimischen Museen gehen, der Rest zu Geld gemacht werden.
"Es sollte kein Tabu sein, einzelne der Werke oder vielleicht auch letztlich den Großteil der Werke auf den freien Markt zu geben. Die Chancen sind gut, dass man jetzt hier deutlich mehr Geld erlösen kann als ursprünglich dafür ausgegeben hat. Insofern ist der Steuerzahler in dem Fall nicht der Benachteiligte", sagte Ulrich im Deutschlandradio Kultur.
Viele Unternehmen, die Kunstsammlungen angelegt hätten, seien gar nicht in der Lage, die Kunst auf Dauer zu verwalten und zu konservieren, betonte der Experte. Ulrich rechnet deswegen damit, dass in den nächsten Jahren auch andere Unternehmen Kunst verkaufen werden. Es werde viele ähnliche Fälle wie den der Portigon AG geben, sagte er.
Zugleich warnte er davor, in der Debatte immer von "Sammlungen" zu sprechen – oft seien es nur "Ansammlungen" von Kunst, so Ulrich. Es werde dementsprechend bei einem Verkauf keine "einmalige Leistung" zerstört, die jemand mit der Zusammenstellung der Werke vollbracht habe.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Die Portigon AG ist die Rechtsnachfolgerin der Westdeutschen Landesbank, und das hat unter anderem auch dazu geführt, dass sie zur Besitzerin der millionenschweren Kunstsammlung dieser ehemaligen Landesbank wurde. Aber sie darf sie nicht behalten, sie muss sie verkaufen. Wie aber und an wen, darüber wird seit Monaten gestritten.
Heute soll ein runder Tisch darüber entscheiden, ob und welche Werke an eine landeseigene Stiftung gehen und welche nicht.
Und dahinter steckt natürlich erneut die Frage, gehört eine Kunstsammlung wie diese – es sind unter anderem Werke von Macke, Uecker, Beuys dabei, viele andere, der Wert wird auf etwa 30 Millionen Euro geschätzt – gehört also eine solche Kunstsammlung der Öffentlichkeit oder darf sie einfach privat veräußert werden an den Meistbietenden?
Zu dieser Frage jetzt Wolfgang Ulrich, Autor, Kulturwissenschaftler, Berater und bis vor einem Jahr auch Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Schönen guten Morgen, Herr Ulrich!
Wolfgang Ulrich: Hallo, guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wenn Sie an diesem Tisch säßen und gar das letzte Wort da hätten, wie würden Sie denn entscheiden?
Es sind oft "Ansammlungen" von Kunst, keine Sammlungen
Ulrich: Ja gut, ich meine, man kennt die Sammlung jetzt als Außenstehender nicht, nicht zu hundert Prozent. Die Namen, die zirkulieren, lassen darauf schließen, dass hier schon jetzt sehr viele Künstler vertreten sind, die einen engen Bezug zu Nordrhein-Westfalen haben. Insofern sollte man vielleicht erst mal schauen, ob sich Museen des Landes für einzelne Arbeiten interessieren.
Den Rest könnte man aber vermutlich schon auf dem freien Markt verkaufen. Es ist halt immer so, dass man zu schnell schon von Sammlung redet und damit suggeriert, das sei eine in sich geschlossene Sache, die mit sehr viel Konzept und Herzblut zustande gekommen ist.
Gerade wenn es sich um Sammlungen von Unternehmen handelt, sind es oft auch eher Ansammlungen als Sammlungen. Das heißt, man zerstört hier jetzt nicht eine einmalige Leistung, die da irgendjemand vollbracht hat, sondern es sind doch eben oft Werke, die so im Lauf der Jahre zusammengekommen sind.
Man kann das an vielen Fällen sehen, nicht nur hier: Es war irgendwann mal Mode, dass Unternehmen Kunst gesammelt haben, gerade Banken, die irgendwas brauchten auch, die sehr abstrakte Produkte haben und deshalb vielleicht mit Kunst da so eine Sinnlichkeit schaffen können, sich repräsentieren können. Und die sind jetzt oft auch in der Lage, dass sie merken, sie können das vielleicht auch gar nicht sachgemäß verwalten.
Und selbst, wenn sie jetzt nicht verkaufen müssen, wie das jetzt hier bei Portigon der Fall ist, haben wir aktuell und haben wir sicher in den nächsten Jahren viele ähnliche Fälle noch zu gewärtigen. Deshalb kann man hier jetzt, glaube ich, auch nicht ein zu starkes Zeichen setzen. Wenn jetzt das Land alles pauschal hier aufkaufen würde, dann kommen wieder andere Unternehmen und verlangen dasselbe auch vom Land.
Kassel: Sie haben gesagt, es kommt noch was auf uns zu, aber es hat ja schon gerade in NRW Fälle gegeben, merkwürdigerweise immer in diesem Bundesland, wo im weitesten Sinne öffentliche Einrichtungen Kunst verkauft haben, zum Beispiel natürlich auch die ehemalige Spielbank AG, die dann WestSpiel hieß. Dann der Westdeutsche Rundfunk hat einen Teil seiner Kunstsammlung verkauft, die Auktion in London war erst vor ein paar Tagen.
Wie Sie es beschreiben, sehen Sie die Frage da ja immer eher darin, was sind das für Kunstwerke und worin besteht da ein öffentliches Interesse. Aber ist es nicht auch ein Unterschied, ob eine wirklich private Firma solche Kunst verkauft oder eine doch öffentlich-rechtliche Firma, wie all die genannten, wo man ja sagen kann, diese Kunstwerke wurden zum Teil ja indirekt doch durchaus auch durch Steuergelder erworben?
"Die Warhols hingen da so rum"
Ulrich: Ja, das stimmt. Wobei man vielleicht auch noch mal sagen muss, dass gerade diese Unternehmen oft gar nicht in der Lage sind, auf Dauer diese Kunst angemessen sozusagen zu pflegen, zu konservieren. Auch bei Portigon ist jetzt ja einfach auch schon was gestohlen worden, weil es nicht gut verwahrt war.
Diese Warhols, die da vor zwei Jahren von der WestSpiel versteigert wurden, die hingen da so rum, wo man hätte Angst haben müssen als Kunsthistoriker, dass sie da eher auf Dauer kaputtgehen. Klar hätte man sie auch einem Museum anbieten können. Solange Sie aber, sagen wir mal, die hohen Preise auf dem Kunstmarkt im Moment ausnutzen, kann man zumindest ja nicht davon sprechen, dass Steuergelder verschwendet werden. In dem Sinn hat man ja einen großen Gewinn gemacht.
Kassel: Aber das würde doch jetzt – entschuldigen Sie – im Portigon-Fall wieder dagegen sprechen, sich auf einen Verkauf an diese landeseigene Stiftung zu einigen, weil die würde ja wahrscheinlich nicht diese Maximalpreise in jedem Fall zahlen wie der freie Markt.
Ulrich: Das stimmt, aber da würde ich jetzt eben den Unterschied machen. Diese beiden Warhols hatten jetzt wirklich keinen engen Bezug zu Nordrhein-Westfalen. Zudem gibt es viele gute Warhol-Sammlungen, allen voran die Sammlung Ludwig in Köln. Also ich finde, das war jetzt kein Verlust für das Land, als diese beiden Bilder verschwunden sind, also verkauft wurden.
Jetzt in dem Fall bei Portigon, wo eben viele Künstler, Sie haben ja die Namen genannt, Macke, Uecker, Beuys vertreten sind, die wirklich einen engen Bezug haben zum Land, finde ich, ist der Fall doch noch mal ein bisschen anders. Da sollte man jetzt erst mal gucken, kann man das nicht halten oder sinnvoll integrieren in bestehende Landessammlungen, bevor man sich gleich dazu entschließt, das dann auf den freien Markt zu geben.
Aber wie schon gesagt, es sollte kein Tabu sein, einzelne der Werke oder vielleicht auch letztlich den Großteil der Werke auf den freien Markt zu geben. Die Chancen sind gut, dass man jetzt hier deutlich mehr Geld erlösen kann, als man ursprünglich dafür ausgegeben hat. Insofern ist der Steuerzahler nicht in dem Fall der Benachteiligte.
Kassel: Aber ich habe schon vorhin angedeutet, dann sehen wir ja regelrecht einen Konflikt zwischen Steuerzahler und Kunstfreund, das heißt, Kunst als einfache Wertanlage, als Geldobjekt zu betrachten, finden Sie jetzt als Fachmann nicht unbedingt grundsätzlich schlimm?
Der Preis ist oft das Spektakulärste am Werk
Ulrich: Nein, das finde ich nicht. Natürlich ist zu beobachten, dass die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt in den letzten zwei Jahrzehnten dazu geführt haben, dass fast nur noch über Preise gesprochen wird, weil die Preise oft das Spektakulärste sind an den Werken, dass die hohen Preise sich den Werken gleichsam auch einprägen und die Wahrnehmung extrem verändern. Das ist schon eine Entwicklung, die sollte man sehr ernsthaft reflektieren.
Ich kann aber tatsächlich jetzt keinem, der Kunstwerke besitzt, vorwerfen, dass er nicht auch eben von diesen Entwicklungen beeinflusst ist und eben am Überlegen ist, ob man hier nicht die momentan möglichen Gewinnchancen auch nutzt.
Kassel: Heute soll ein Runder Tisch darüber entscheiden, was aus der Kunstsammlung der früheren West-LB in Nordrhein-Westfalen werden soll. Was er in solchen Fällen empfiehlt, das haben wir gerade von Wolfgang Ulrich erfahren, Autor, Berater und Kulturwissenschaftler. Herr Ulrich, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Ulrich: Ich danke Ihnen, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.