Rüdiger Görner: "Romantik. Ein europäisches Ereignis"

Reise durch eine Epoche

05:16 Minuten
Buchcover "Romantik – ein europäisches Ereignis" von Rüdiger Görner.
Rüdiger Görner führt seine Leser in einer Art Spaziergang durch die Epoche der Romantik. © Deutschlandradio / Reclam Verlag
Von Jasamin Ulfat-Seddiqzai · 02.09.2021
Audio herunterladen
War die Romantik ein rein deutsches Phänomen? Oder ein europäisches? Der Literaturwissenschaftler Rüdiger Görner hält sich nicht mit gelehrten Debatten auf, sondern bringt uns in seinem Buch das Gefühl einer Epoche nahe.
Es gibt Themen, zu denen jeder etwas zu sagen hat – gewöhnlich gehören Literaturepochen nicht dazu. Mit Ausnahme der Romantik, die schon wegen der vermeintlichen Nähe zum Alltagsbegriff "romantisch" oft missverstanden wird.
Mit diesem Missverständnis räumt Rüdiger Görner nicht auf – so viel Vorwissen setzt er bei seinen Leserinnen voraus. Mehr Expertise braucht man aber nicht, um dem essayistischen, teils auch persönlichen, auf jeden Fall aber unterhaltsamen Buch einiges abzugewinnen.

Reise durch das Zeitalter des Reisens

Viele Romantiker waren Wanderer, die ihre künstlerische Inspiration aus tatsächlichen und erträumten Reisen zogen. Schifffahrten auf dem Rhein gehörten ebenso dazu wie einsame Routen durch die sächsische Schweiz. Auch Görner führt seine Leser in einer Art Spaziergang durch eine Epoche, die dank des gesamteuropäischen Fokus deutlich länger gefasst ist als die klassischen 40 Jahre der deutschen Romantik.
Dabei verraten die Kapitelüberschriften ("Vorspiel in Goslar", oder "Wie enden? – monströs mit Frankenstein"), dass es im Buch nicht ums professorale Belehren geht, sondern um eine Annäherung an eine Zeit, die mit ihren Ideen, Figuren, Theorien und Ästhetik bis heute weiterlebt.
So findet man keine trockenen Definitionen, sondern eine Sammlung verschiedener Eindrücke, einen Zugang zum Gefühl der Epoche durch Erzählung.

Die Romantik erlebbar machen

Das Buch geht nicht auf aktuelle Debatten um die Romantik als rein deutsches Phänomen ein. Stattdessen versucht der Autor,a die Romantik durch seine Betrachtungen erlebbar zu machen.
Künstler und Künstlerinnen bespricht er nicht einzeln nacheinander, sondern greift Werke immer wieder aufs Neue auf, betrachtet sie aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei geht er abwechselnd auf Poetisches, Erzählerisches, Musisches und Malerisches ein.
Görner betont, dass die Romantik aus Stimmungen und großen Namen bestehe. "Man muss diese Namen nennen, immer wieder, weil von ihnen bis heute eine Aura ausgeht, die jene Stimmungen mit erzeugt, die ihre Werke ausstrahlen".
Generell behandelt Görner Themen im Buch nicht erschöpfend. Stattdessen fungiert er als Stichwortgeber, erwähnt Namen, Bilder, Lieder, Gemälde und Orte, um zur eigenen Recherche zu animieren. Das Buch ist zwar nicht kurz, aber für eine so lang andauernde Epoche, die viele Werke hervorbrachte und sich über einen ganzen Kontinent erstreckte, doch überschaubar.

Und was hat das mit heute zu tun?

Genau diese Überschaubarkeit ist der große Vorteil des Buchs. Durch den zusammenfassenden Fokus wird deutlich, wie viele unserer heutigen Überzeugungen ihren Ursprung im romantischen Denken haben. So beschreibt Görner die bewusstseinserweiternde Leistung des Wissenszuwachses in der Romantik als die "Einsicht, dass menschliches Verhalten mit den inneren seelischen Verhältnissen zusammenhängt".
Auch die Idee, dass Natur lesbar sei, entstamme der Romantik, in der die Physik als die Grammatik der Natur verstanden wurde, die aufkommende Biologie als Typologie der Lebensformen.
Görner bricht seinen Stoff in kleine Geschichten herunter, das jedoch in langen Sätzen. Oft tut er das mit einem Augenzwinkern, etwa wenn er von der Bedeutung des Gedankenstrichs bei Novalis oder Hölderlin schreibt, und seine Erklärungen – mit Gedankenstrichen – immer weiter ineinander verschachtelt.
Dass er in seinem Erzählfluss sogar Laurel und Hardy, oder die deutschen Gangsterrapper Capo und Nimo erwähnt, zeigt, in welche selbst kleinsten Verästelungen Görner seinem Gedankenfluss folgt. Und so fühlt man sich am Ende zwar gut informiert, aber dennoch auf der Suche nach mehr.

Rüdiger Görner: "Romantik. Ein europäisches Ereignis"
Reclam, Stuttgart 2021
384 Seiten, 26 Euro

Mehr zum Thema