Am Freitag, den 30. Januar, setzen wir das Thema in Studio 9 am Morgen fort: Um 6:50 Uhr fragen wir Trendforscherin Lola Güldenberg, wie Konzerne sich auf Negativ-Schlagzeilen oder Kundenkritik einstellen.
Aldi nimmt Seife aus dem Produktprogramm
Eine Seife mit dem Bild einer Moschee auf der Verpackung, verletzt sie die religiösen Gefühle von Muslimen? Aldi-Süd hat ein solches Produkt jetzt aus dem Programm genommen. Der Trendforscher Andreas Schelske findet diese umstrittene Entscheidung nachvollziehbar.
Korbinian Frenzel: Zwei Meldungen habe ich für Sie: Die erste dreht sich um Aldi, um Aldi-Süd, um genau zu sein. Der Discounter hat vor genau einer Woche angekündigt, die Seife mit dem schönen Namen "1001 Nacht" nicht mehr in der bisherigen Form anzubieten, also mit der Silhouette einer Moschee auf der Packung.
Der Grund: Kunden hatten sich über Facebook beschwert, hier würden religiöse Gefühle von Muslimen verletzt. Die zweite Meldung ist die: Der größte Wissenschaftsverlag der Welt, die Oxford University Press, hat seine Autoren aufgefordert, in Zukunft auf die Verwendung von Bildern von Schweinen und auch Würstchen zu verzichten, am besten auf alles, das Spuren von Schweinefleisch enthalten könnte. Sie ahnen, es geht auch hier um die religiösen Gefühle von Muslimen, aber auch von Juden zum Beispiel.
Zwei Meldungen, zwei Beispiele für die Macht von Verbrauchern, die einem unheimlich werden kann – so geht es mir zumindest, möglicherweise meinem Gesprächsgast nicht, Andreas Schelske. Er bietet soziologische Beratung für gesellschaftliche Entwicklungen und kundenspezifische Interessen bei der Agentur "4Communication" in Hamburg an. Ich glaube, verkürzt kann man sagen, Trendforscher. Guten Morgen, Herr Schelske!
Andreas Schelske: Guten Morgen!
Frenzel: Fangen wir mal bei Aldi an: Ist es richtig, dass Aldi-Süd sich dem Druck einiger Hundert Kunden beugt?
Schelske: Na ja, es ist Frage, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, und ich denke, wir möchten in einer demokratischen Gesellschaft leben, und wir möchten in einer Gesellschaft leben, die sich nach ethischen Maximen orientiert. Und das ethische Maxim, dem wir so folgen, ist, dass wir quasi entscheiden an der Kasse, wie wir leben möchten und auf welche Weise wir leben möchten. Und dort haben wir Handlungsfreiheit und auch Kommunikationsfreiheit im Internet.
Und wenn sich Kunden im Facebook artikulieren, dass sie bestimmte Produkte nicht mögen, nicht gut finden, dann ist das, was wir in vielen Bereichen der Konsumentendemokratie – so habe ich das damals mit Peter Wippermann genannt –, erleben. Und Konsumentendemokratie heißt, wir entscheiden an der Kasse, für welches Unternehmen wir – oder welches Unternehmen wir leben möchten oder mit welchem Unternehmen wir leben möchten. Und teilweise ist natürlich vielleicht religiöse Überzeugung, politische Überzeugung, machtpolitische Überzeugung, sozialpolitische Überzeugung wichtig und werden dort entschieden. Das ist in sehr breitem …
Frenzel: Konsumentendemokratie, wenn ich da einhaken …
Schelske: Ja.
Konsumenten-Demokratie oder Tyrannei von Minderheiten?
Frenzel: Wenn Sie das sagen, das impliziert ja, Demokratie impliziert immer irgendwie auch eine Mehrheitsentscheidung. Hier habe ich aber den Eindruck, dass wir da eher eine Tyrannei von Minderheiten haben, die dann dazu führen, dass für eine große Mehrheit ein Produkt, wo sie vielleicht überhaupt kein Problem sahen, auf einmal ganz neutral, aseptisch daherkommt.
Schelske: Nein, nein. Demokratie ist natürlich einerseits eine Mehrheitsentscheidung für das Machtansinnen, für die Herrschaft in dem Volk. Aber auf der anderen Seite impliziert Demokratie ja Meinungs- und Pressefreiheit. Und ich würde mich hier auf die Meinungs- und Pressefreiheit erst mal beziehen und sagen: Okay, für die politische Willensbildung oder für die konsumentische Willensbildung ist es durchaus akzeptiert, dass man an der Kasse entscheidet, welches Produkt man kauft. Das Unternehmen kann ja trotzdem weiter produzieren, wie es will, oder es richtet sich quasi nach dem Wähler, nach dem Konsumenten, wie da quasi das Unternehmen dastehen möchten. Also Demokratie heißt, man hat Meinungs- und Pressefreiheit und nimmt diese Konsumentenrechte auch in Anspruch.
Frenzel: Dabei aber das Interessante ist, wenn sie sagen Meinungsfreiheit: Wir haben ja leider gerade ganz andere Dimensionen in der Schrecklichkeit, aber das Beispiel mit "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen in Frankreich, wo ja die große Befürchtung ist, wenn so etwas passiert, gibt es dann die Schere im Kopf. Fangen wir an Zeitungen an, vielleicht kritische Karikaturen nicht mehr zu veröffentlichen aus Angst. Letztendlich kann man das ja übertragen auf diese Beispiele, die wir da haben, dass dann Unternehmen sagen, um Gottes willen, wir wollen uns keinen Ärger machen mit irgendwelchen Minderheiten, sage ich jetzt mal, wir sind lieber vorsichtig. Das ist ja eigentlich die Produktschere im Kopf.
Schelske: Es ist jetzt schwer zu beurteilen, ob die Unternehmen tatsächlich sich in ihren Menschenrechten bedroht fühlen und Angst haben vor einem Anschlag. Das wäre natürlich außerhalb der Demokratie. Gewalt ist nicht erlaubt …
Frenzel: Aber selbst auf der Ebene darunter, also selbst, wenn es nur darum geht, dass man sich einer Sache beugt, der man vielleicht gar nicht so nachhängt, wo man sagt, ach, eigentlich finde ich es selber gar nicht so problematisch.
Eine Seife ist ja auch ein kommunikatives Produkt
Schelske: Na ja, es ist halt schwierig für Unternehmen, quasi in der Diskussion der Nachhaltigkeit, beispielsweise in der Diskussion der Ökologie, dass Unternehmen möglicherweise lieber mit Gen-Food operieren würden, lieber quasi auch schlechte Arbeitsbedingungen akzeptieren würden, aber jetzt quasi in der Öffentlichkeit schlecht dastehen mit so einer Verhaltensweise und sich beispielsweise auch diesem Druck beugen.
Also es geht hier quasi meiner Meinung nach um die Meinungsfreiheit, und wenn man dann doch mal auf die Presse zurückkommt, dann würde ich sagen, na ja, man kann mit dem Pressekodex des Presserats, da kann man ja auch schauen. Da gibt es Ziffer neun, Schutz der Ehre, Ziffer zehn, Religion und Weltanschauung: Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche und sittliche Überzeugung zu schmähen. In dieser Art und Weise kann man heutzutage auch Unternehmen verstehen, die ja sehr viel PR betreiben, also selbst auch Kommunikationsunternehmen sind.
So eine Seife wird ja nicht nur produziert, weil sie den Körper reinigt, sondern sie ist selbst ein kommunikatives Produkt. Und wenn sie ein kommunikatives Produkt ist, muss man natürlich auch kommunikativ in dem kommunikativen Umfeld reagieren.
Frenzel: Wenn wir jetzt noch mal bei der Seife, bei der Aldi-Seife sind – da gibt es aber auch eine Gegenbewegung. Da gibt es auf Facebook, die Aldi jetzt "Üldi" nennen, also so leicht türkisch, aus Protest gegen diese Entscheidung, weil sie sagen, habt ihr sie noch alle, dass ihr euch diesen Empfindlichkeiten beugt? Wie geht man denn als Unternehmen damit um? Dann hat man auf einmal zwei Gruppen. Muss man dann überlegen, welche ist gewichtiger?
Schelske: Na ja. Das hat Lucian Goldmann schon gesagt: Jede gesellschaftliche Situation hat dialektischen Charakter. Das heißt also, jede gesellschaftliche Situation produziert auch ihr Gegenteil. Und natürlich kann Aldi sich jetzt überlegen, wie sie mit der Situation umgeht und gewinnt möglicherweise ganz neue Kunden. Es ist halt so die Frage, ob Aldi diese Kunden dann auch haben möchte.
Aber letztendlich ist das tatsächlich möglich und ist auch eine kommunikative Reaktion, zu sagen, okay, wir öffnen uns jetzt quasi einem Islam-freundlichen Markt. Und wir haben eine sehr große Minderheit hier in Deutschland, das ist eine sehr große Käufergruppe, die vermutlich auch gern bei Aldi einkauft. Und: Warum nicht? Warum kann man sich nicht darstellen und sagen, wir sind ein Islam-freundliches Geschäft und verkaufen hier Seifen ohne Moscheen drauf?
Frenzel: Sagt der Trendforscher Andreas Schelske. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.