Ronja von Rönne: "Ende in Sicht"

"Ich hatte nicht im Kopf, dass ich über Depressionen schreibe"

10:38 Minuten
Porträt der Journalistin, Schriftstellerin und Moderatorin Ronja von Rönne.
Ronja von Rönne spricht öffentlich über ihre Depressionen. Viele Reaktionen, die sie darauf erhält, seien positiv, sagt sie. © imago / Future Image / C. Hardt
Ronja von Rönne im Gespräch mit Andrea Gerk · 11.01.2022
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Ronja von Rönne hat ein Buch über einen Roadtrip geschrieben, der mit dem Selbstmordversuch einer 15-Jährigen seinen Anfang nimmt. In dem Moment kommen zwei Todeswillige aus zwei Generationen zusammen – dennoch gibt es viel Humor.
Zwei Frauen, die komplett verschieden sind, treffen in Ronja von Rönnes neuem Roman aufeinander: Das einzige, was die beiden vereint, ist ihre Todessehnsucht: Jede für sich hat beschlossen, sterben zu wollen.
Die 15 Jahre alte Schülerin Juli stürzt sich also von einer Brücke und landet vor dem Auto der 69-jährigen Hella Licht, einst ein Schlager-Star, auf dem Weg in die Schweiz, zum Freitod. Licht bringt ihren VW Passat älteren Baujahrs rechtzeitig zum Stehen, verarztet die Schülerin und damit beginnt der Roadtrip der beiden.

Zwei todeswillige Frauen unterwegs

Ronja von Rönne sieht in dem Genre einen großen Vorteil. Das Setting ändere sich: Dadurch müssten die Figuren nicht ständig etwas machen. Und dennoch: „Mit jedem Setting ändern sich auch die Figuren.“

Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen: Wenn Sie das Gefühl haben, an einer psychischen Krankheit zu leiden, wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation befinden oder das auf einen Ihrer Angehörigen zutrifft, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen bzw. anzubieten. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (gebührenfrei) und im Internet unter telefonseelsorge.de.

Die Ausgangslage sind also zwei todeswillige Frauen, „zutiefst unglücklich, aus sehr unterschiedlichen Gründen“, wie die Bloggerin, Journalistin und Schriftstellerin ihre Protagonistinnen beschreibt. „Bei Hella ist es vielleicht etwas einfacher: Die ist mit den Jahren immer einsamer geworden, hat sich immer mehr isoliert. Hat so ein bisschen selbstgemachtes Unglück, würde ich fast sagen. Das würde ich ihr fast ein bisschen vorwerfen.“
Hella habe viel erlebt im Leben und schaue deutlich lieber zurück als nach vorne. Ihr Gegenüber Juli habe eigentlich wenig Probleme und sei sich dessen auch bewusst: „Aber sie hat ein großes Problem – sie ist nämlich depressiv.“
Dass es dafür eigentlich keinen Grund gebe, wisse die Schülerin auch: „Sie hadert nicht nur mit der Depression, sondern auch mit der mit der Schuld, die diese Depressionen mit sich bringt“, erklärt Ronja von Rönne. Juli fühle sich vor allem als Belastung für ihre Mitmenschen und kann nicht mehr.

Die Frage nach dem Warum

„Ich wäre total interessiert daran, wie Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen dieses Buch lesen“, sagt Ronja von Rönne. Die 29-Jährige hat selbst Erfahrungen mit Depressionen gemacht und hat ihre Erkrankung auch öffentlich gemacht. Vielleicht gelte auch für sie, dass die Geschichte zwar erfunden sei, sie aber alles empfunden habe.
„Bei Juli wollte ich so ein bisschen diese Grausamkeit und Unberechenbarkeit und Wahllosigkeit der Depression abbilden.“ Die allermeisten Menschen würden nach dem Warum fragen, schildert die Autorin. „Manchmal muss man einfach sagen: Es gibt keinen Grund, und das wollte ich bei Juli so ein bisschen machen."
Dabei habe sie beim Schreiben gar nicht im Kopf gehabt, dass sie ein Buch über Depressionen schreibe. „Ich habe irgendwann mal meinen Mann gefragt: Wieso fragen mich eigentlich alle im Interview nach Depression, das Buch geht doch um einen Roadtrip."
Ihr Mann, der Drehbuchautor Ben von Rönne, habe geantwortet: "Du bist eine super Autorin, aber du bist echt eine schlechte Leserin deiner Texte. Natürlich geht es um Depression.“

"Humor ist ein wahnsinnig wichtiges Werkzeug"

Trotz des Themas hat das Buch viel von einer Komödie. „Ich finde, Humor ist ein wahnsinnig wichtiges Werkzeug, um Macht über sein eigenes Narrativ zu entwickeln, auch im Kleinen, auch wenn man keine Bücher darüber schreibt“, sagt Ronja von Rönne.

Ich finde, man kann sich über die Depression auf jeden Fall lustig machen – nicht über Depressive, bitte! Das wäre etwas taktlos. Über die Depression, die eigene, auf jeden Fall. Und ich finde, gerade im Dunklen und Makabren steckt ja auch das Potenzial zu Humor.

Ronja von Rönne

Wenn jemand slapstickartig umfalle, müsse sie keinen Text darüber schreiben, weil das an sich schon lustig sei. „Aber in der Dunkelheit nach etwas Licht zu suchen, auch wenn es manchmal ein bisschen galgenhumorig daherkommt, hilft mir im Alltag", sagt von Rönne. Sie lese es auch gerne in anderen Büchern.

Krankheit macht von Rönne kraftlos

Ein Buch über den Alltag von Depressiven dagegen wäre wahrscheinlich sehr langweilig, meint die Autorin – davon abgesehen, dass sie in dem Zustand sowieso nicht die Kraft hätte, zu tippen oder sich einfach nur Essen zu machen.
Eine Depression inspiriere auch nicht, sagt Ronja von Rönne. „Sie verhindert eigentlich alles. Sie macht auch, mich zumindest, ein bisschen dümmer, ein bisschen dumpfer. Da ist so etwas wie Schaffen eigentlich gar nicht möglich.“ Deswegen habe sie die Protagonistinnen losgeschickt, damit die etwas erleben.

"Depression ist keine Künstlerkrankheit"

Das Buch würde sich nie selbst auf die Fahne schreiben, perfekt Depressionen abzubilden, sagt die Schriftstellerin, dazu sei das Phänomen ohnehin zu breit und das Auftreten zu unterschiedlich.
Und noch ein Anliegen hat sie: „Die Depression ist keine Künstlerkrankheit“, hebt sie hervor. Sie hält nichts von einer entsprechenden Romantisierung. „Die Depression ist eine Volkskrankheit.“
Seit sie ihre Depression öffentlich gemacht hat, habe sie viele Reaktionen bekommen von Leuten, die sich zum ersten Mal getraut hätten, mit ihrem Partner, ihrer Partnerin, ihren Eltern darüber zu sprechen. „Und das ist schon wahnsinnig berührend."
Obwohl inzwischen viel darüber gesprochen werde, gerade in der jüngeren Generation, sei die Toleranz aber immer noch nicht so, wie sie sein müsste. "Das Stigma ist, glaube ich, gerade bei der älteren Generation noch deutlich stärker vorhanden."
Deswegen könne es auch gar nicht genug Bücher darüber geben. "Und hoffentlich ist meines eins, das das Thema ein bisschen anders beleuchtet, weil es sich ein bisschen humorig dran wagt.“
(mfu)

Ronja von Rönne: "Ende in Sicht"
dtv, München 2022
256 Seiten, 22 Euro

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