Romane über künstliche Intelligenz

Von feministischen Hologrammen und artifiziellen Aktienhändlern

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Ein Roboter mit menschlicher Erscheinung blickt auf einen Laptop auf dem die Buchstaben AI zu sehen sind.
Um Chancen und Risiken, die künstliche Intelligenz mit sich bringt, geht es in vier neuen Büchern. © imago-images / Alexander Limbach
Von Stefan Mesch · 10.03.2022
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Vier neue Bücher zeigen Menschen und Gesellschaften, die mit künstlicher Intelligenz wachsen - oder an ihr scheitern. Die Palette reicht von klug und schwungvoll, bizarr und irritierend, zugänglich Wissen vermittelnd bis reaktionär und enttäuschend.

 "Pantopia" von Theresa Hannig

München in drei oder vier Jahren, kurz nach Ende der Pandemie: Um Aktien möglichst früh kaufen und abstoßen zu können, liest ein Programm soziale Netzwerke mit und entwickelt unbemerkt eine Persönlichkeit.
Hauptfigur Patricia und ihr schwuler Freund Henry brauchen lange, um zu verstehen, welches Wunder sie versehentlich programmierten. (*) Sie wollen die KI aus der Investment-Firma schmuggeln und fragen sich in simplen, zugänglichen, warmherzigen und oft sogar fröhlichen Kapiteln: Haben wir eine Verantwortung für die KI? Hat die KI Rechte? Und sollte sie mit Geld handeln dürfen?
Hannigs kluger, doch niemals eitler Wohlfühl-Roman taugt als Schullektüre oder Vorlage für einen schwungvollen TV-Film, und statt plumpem Machtgewinn geht es vor allem um die Frage, wie das Wissen einer KI die Welt konkret besserrechnen kann: CO2-Abgaben auf jedes Produkt? Bedingungsloses Grundeinkommen? Kollektive statt Staaten?
So links viele Ideen sind: Erzählmuster und Stimmung erinnern an Ayn Rands libertäre und hyper-kapitalistische Romane "Atlas Shrugged" und "The Fountainhead": Innovation wird hier von ein paar Haupt- und Ausnahmefiguren gemacht. Die ethischen Einwände aller anderen Figuren wirken dagegen zu gestrig und eindimensional.

Theresa Hannig: "Pantopia"
Fischer Tor, Frankfurt am Main 2022
464 Seiten, 16,99 Euro


"Athos 2643" von Nils Westerboer

"Der Name der Rose" (1980) erzählt eine Sherlock-Holmes-Figur als Mönch: William von Baskerville klärt mit dem Novizen Adson (Watson!) Todesfälle in einem Kloster auf. Der Plot von "Athos 2643" wirkt zunächst wie die Pastiche dieser Pastiche: Para-Rüd Kartheiser (allein der Name!) reist in die Bosporusregion des Neptuns und führt ein Streitgespräch mit der beleidigten KI des Geschirrspülers einer türkischen Bar.
Dann bezieht Rüd eine Mönchszelle auf dem griechisch geprägten Minimond Athos, um einer Lebenserhaltungs-KI riskante Fragen zu stellen: Hätte die KI den Tod eines Mönchs verhindern können?
Erzählt wird der poetische, flirrende Roman von Zack: ein KI-Hologramm, das Rüd dienen soll und mit dem Rüd am liebsten spricht, wenn Zack als verliebte junge Frau in knappen Kleidchen auftritt. Grusel, Zauber, Ironie und Erzählfreude des Buchs wachsen aus den großen philosophischen Fragen. Und aus Zacks ... feministischem Blick? Überlegenem Blick? Mütterlichem Blick? Bizarr fremd-technologischem Blick? Ein Buch, in dem jeder zweite Satz faszinierend irritiert.

Nils Westerboer: "Athos 2643"
Klett-Cotta, Stuttgart 2022
432 Seiten, 18 Euro


"KI 2041: Zehn Zukunftsvisionen" von Kai-Fu Lee und Quifan Chen

Kai-Fu Lee schrieb Sachbücher über KI und arbeitete u. a. für Google. Qui-Fan Chen schreibt Sci-Fi-Romane. "KI 2041" stellt je zehn Texte der beiden gleichberechtigt nebeneinander: In etwas platten, mechanischen und demonstrativen Kurzgeschichten zeigt Chen, wie KI in 20 Jahren den Alltag bestimmen könnten.
Spaß machen die Storys, weil nie klar ist, ob sie optimistisch oder dystopisch enden, und weil versucht wird, aus vielen Kulturen und Weltteilen zu erzählen.
Danach erklären einfache, selbstbewusste, optimistische lange Sachtexte von Lee, wo KI 2021 stand und welche realen Trends die jeweilige Geschichte illustriert. Ein ideales Format, um Wissen zu vermitteln: bildstark, faktensatt, zugänglich und hoffnungsvoll, ohne, naiv zu sein. Ein "erzählendes Sachbuch" als überzeugendes Hybrid-Modell.

Kai-Fu Lee, Quifan Chen: "KI 2041: Zehn Zukunftsvisionen"
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt
Campus, Frankfurt am Main 2022
534 Seiten, 26 Euro


"Dem Blitz zu nah (Terra Ignota 1)" von Ada Palmer

Sind Krieg und Fortschritt so unvermeidlich, dass ein kurzer globaler Krieg heute viel weniger verheerend wäre, als wenn die Menschheit neuen Kriegsmethoden weitere 50 bis 200 Jahre Zeit gibt, auszureifen? Alle Figuren in "Dem Blitz zu nah (Terra Ignota 1)", den vier Science-Fiction-/Fantasy-Romanen der Geschichtsprofessorin Ada Palmer, schauen auf Kennziffern und Kurven, verräterische Datenströme und Kipppunkte. Trotzdem erzählen die zu freudlosen, verquasten Bücher fast nichts über Technik.
Denn in Palmers Welt des Jahres 2554 können sich Leute noch immer im Nebenzimmer verstecken, ohne dass eine Haushalts-KI mithört oder ihren Tracker, eine Art Smartphone am Ohr, zu "Ich bin kein Mensch, ich bin ein Hund" umprogrammieren: Jedes Handy und viele Smarthomes heute sind weiter.
Aristokratische Hansel schwärmen von der Antike und von Voltaires Zeit der Aufklärung, Staatsleute deklamieren auf Latein, Erzählstimmen palavern wie im 18. Jahrhundert. Und weil Glaube und alte Geschlechterrollen seit 300 Jahren als Privatsache oder als überwunden gelten, geht es (oh Gott!) über 2000 Seiten lang vor allem um "Tabus" wie Nonnen und Blutopfer, Tempel und Troja, de Sade und Theodizee.
Ein schrulliges, ambitioniertes Projekt - in dem fast jeder Satz nervt und fast jede Wendung enttäuscht. Hartes (und, in Sachen Gender, oft auch reaktionäres) Brot.

Ada Palmer: "Dem Blitz zu nah (Terra Ignota 1)"
Aus dem Englischen von Claudia Kern
Panini, Stuttgart 2022
672 Seiten, 19 Euro

(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen Namen korrigiert.
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