Roman

Rätselhafte Katastrophe

Von Gerrit Bartels · 27.06.2014
Ein Brand mit vielen Todesopfern verändert 1929 ein Nest in den Bergen Missouris. Daniel Woodrells Roman "In Almas Augen" erzählt von den Folgen der Katastrophe – und den Rätseln, die mit ihr verbunden sind.
Es ist eine Katastrophe, die gerade nicht die Welt bewegt hat, eine unter vielen, zumal 1929, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Eine echte Katastrophe zwar, aber eine, die sich irgendwo im Hinterland der USA ereignet hat. Weit weg von den Zentren an der Ost- und Westküste, in einem Nest in den Bergen Missouris, den Ozarks, in West Table: 42 Menschen sterben, als die Arbor Dance Hall wörtlich in die Luft fliegt, und viele werden verletzt – und leiden ein Leben lang nicht zuletzt unter den psychischen Nachwirkungen.
Dieser letztlich unaufgeklärte Brand des Tanzsaals in West Table ist der Ausgangspunkt von Daniel Woodrells Roman "In Almas Augen": Für die Einwohner ihr Städtchen das Zentrum der Welt und die damalige Katastrophe "eine aufregende Geschichte mit Feuer, vielen Toten, vielen Verdächtigen und wenigen Fakten, ein großes Verbrechen oder ungeheures Missgeschick, ein nicht enden wollendes Rätsel".
Verbrechen oder Missgeschick?
Tatsächlich aber beginnt man sich auch als deutscher Leser, für den die Ozarks genauso weit weg sind wie die Anden oder der Kilimandscharo, mehr und mehr für diesen (tatsächlich 1928 in West Plains, Missouri stattgefundenen!) Brand und die Bewohner des fiktiven Ortes West Table zu interessieren. Und das liegt an der Art, wie der 1953 geborene, in Kansas und St. Louis aufgewachsene Schriftstellers Daniel Woodrell diese Geschichte aufbereitet hat. Sein Icherzähler Alek ist 12 Jahre alt, als er 1965 erstmals von der Katastrophe erfährt, und zwar aus dem Mund seiner Großmutter Alma, einer inzwischen höchst wunderlichen alten Frau mit langen weißen, fast bis auf den Boden reichenden Haaren: Sie kennt den Verursacher des Brandes.
Häufig zwischen den Zeiten hin und her springend erzählt Woodrell von Alma und ihrem aufopferungsvollen Leben als Putz- und Zugehfrau, als Dienstmagd, von ihrem versoffenen Mann, den drei Söhnen, ihrem Enkel Alek und seiner Mutter, die ihrerseits aus einer angesehen Familie stammt. Und auch von Ruby, die anders als Alma ein leichtes Mädchen ist, die alles vom Leben haben will und die mit einem Honoratioren der Stadt, dem verheirateten Bankdirektor Arthur Glencross, ein Liebesverhältnis hat.
Spannendes Kleinstadtporträt
Es gibt keine wirkliche Hauptfigur in diesem schon neunten Roman von Woodrell. "In Almas Augen" ist vielmehr das Porträt einer amerikanischen Kleinstadt, das mitunter mit seinen vielen Strängen an die Kurzgeschichten eines Richard Ford oder auch an Sherwood Andersons Klassiker "Winesburg, Ohio" erinnert. Denn der Brand mag das eine sein. Er sorgt für die Krimi-und Schauerelemente dieses Romans. Die Abgründe des menschlichen Miteinanders aber sind das andere: das Scheitern, die Hoffnungslosigkeit, die Durchtriebenheit.
Daniel Woodrell versteht es, genauso unaufdringlich wie eindrücklich zu erzählen; noch seine vermeintlich unwichtigsten Nebenfiguren, die, die bei dem Brand ums Leben gekommen sind, strahlen auf den manchmal nur zwei, drei Seiten, auf denen er sie porträtiert, eine ungeheure Lebendigkeit aus. Und auch die Spannung hält er bis zum Schluss: Es ist einfach nur eine unglückselige Liebe, die zu dem Brand in West Tables geführt hat. Das ist das unspektakuläre Ende eines spektakulär guten amerikanischen Romans.

Daniel Woodrell: In Almas Augen
Roman
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind Verlag, München 2014
188 Seiten, 16, 90 Euro

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