Alexander Osang: "Fast hell"
Aufbau Verlag, Berlin 2021
237 Seiten, 22 Euro
Erscheint am 18.1. 2021
Die verletzlichen Seiten eines Reporters
06:17 Minuten
In seinem Roman „Fast hell“ porträtiert Alexander Osang einen umtriebigen Ostdeutschen, den er aus New York kennt. Zusammen reisen sie über die Ostsee nach St. Petersburg und in die Vergangenheit, begleitet von Fragen nach Biografie und Geschichte.
"Hier hat meine Klassenlehrerin gewohnt, die war zehn Jahre lang meine Klassenlehrerin."
Kaum zwei Minuten von seiner Wohnung entfernt, da beginnt er, der Mont Klamott, eine überwucherte Trümmerhalde unweit des Alexanderplatzes. Die Rockband Silly besang die grüne Oase in den 80er Jahren. Alexander Osang, der noch immer hier wohnt, erklomm sie bereits in den 60ern.
"Hier bin ich auch Schlitten gefahren, hier war diese Todesbahn. Hier gab es eben auch im Osten schon Tennisplätze, das wusste ich aber natürlich nicht, weil ich im Osten noch kein Tennis gespielt habe. Tennis ist ja so der weiße Sport, der Kapitalistensport. Früher habe ich Tischtennis gespielt und nach der Wende hab‘ ich dann angefangen Tennis zu spielen, aber eigentlich auch erst in New York."
Kaum zwei Minuten von seiner Wohnung entfernt, da beginnt er, der Mont Klamott, eine überwucherte Trümmerhalde unweit des Alexanderplatzes. Die Rockband Silly besang die grüne Oase in den 80er Jahren. Alexander Osang, der noch immer hier wohnt, erklomm sie bereits in den 60ern.
"Hier bin ich auch Schlitten gefahren, hier war diese Todesbahn. Hier gab es eben auch im Osten schon Tennisplätze, das wusste ich aber natürlich nicht, weil ich im Osten noch kein Tennis gespielt habe. Tennis ist ja so der weiße Sport, der Kapitalistensport. Früher habe ich Tischtennis gespielt und nach der Wende hab‘ ich dann angefangen Tennis zu spielen, aber eigentlich auch erst in New York."
Levi's und Motorradhelm
Osang spricht schnell, wahrscheinlich denkt er noch schneller als wir unterwegs sind - immer schon den nächsten Gedanken im Anschlag.
Es ist diese innere Unruhe, vielleicht nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen zu können, die ihn schließlich nach New York trieb, wo er jahrelang für den "Spiegel" schrieb. New York, das wurde die einzige Stadt, die mit seinen Erwartungen vom Westen mithalten konnte. Nach all den Jahren der Sehnsucht hinter der Mauer, in denen Osangs Westwelt vor allem nach seiner Levi´s Jacke oder seinem orangefarbenen Motorradhelm roch, holte er dort aus - zum großen Aufschlag.
Es ist diese innere Unruhe, vielleicht nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen zu können, die ihn schließlich nach New York trieb, wo er jahrelang für den "Spiegel" schrieb. New York, das wurde die einzige Stadt, die mit seinen Erwartungen vom Westen mithalten konnte. Nach all den Jahren der Sehnsucht hinter der Mauer, in denen Osangs Westwelt vor allem nach seiner Levi´s Jacke oder seinem orangefarbenen Motorradhelm roch, holte er dort aus - zum großen Aufschlag.
"Der Reichensport gehört wahrscheinlich sozusagen zu meinem Aufsteigerwunsch dazu, Tennis zu lernen und Skifahren zu lernen. Diese Dinge habe ich erst relativ spät nach dem Fall der Mauer gelernt."
Der kleine Lebensplan: Sportreporter
Als die Mauer fiel, war Alexander Osang 27 Jahre alt. In der DDR besuchte er einen katholischen Kindergarten, war Ministrant und gleichzeitig stolzer Pionier. Später besuchte er in der brandenburgischen Provinz eine Berufsschule für Wasserwirtschaft und absolvierte seinen Wehrdienst. Danach wollte er Sportreporter werden.
"Wenn sie irgendwo gut waren, dann waren sie im Sport gut, wahrscheinlich waren sie auch im Dopen extrem gut, aber eben auch im Sport. Und als Sportreporter hätte man auch mal in den Westen fahren können. Und das war so mein kleiner Lebensplan, glücklicherweise kam es nie so weit, weil dann die Mauer fiel und dann war das eigentlich wurscht."
Nach der Wende: der Urknall
Der Mauerfall – für Alexander Osang ein Befreiungsschlag. Er sei nach der Wende wie eine Feuerwerksrakete in die Welt geschossen, ein Gefühl von Urknall, gemischt mit dem Wunsch viel nachholen zu müssen. Schreibend.
"Meine Art und Weise, mit der Welt zu kommunizieren, ist ja schreibend. Das ist ja, wie ich die Welt begreife. Und insofern ist es sehr persönlich: Wie sehe ich die Welt, wie verändern sich die Dinge schreibend, wie verändere ich auch die Welt schreibend? Was ist eigentlich unsere Legacy, was bleibt eigentlich dann von uns?"
"Meine Art und Weise, mit der Welt zu kommunizieren, ist ja schreibend. Das ist ja, wie ich die Welt begreife. Und insofern ist es sehr persönlich: Wie sehe ich die Welt, wie verändern sich die Dinge schreibend, wie verändere ich auch die Welt schreibend? Was ist eigentlich unsere Legacy, was bleibt eigentlich dann von uns?"
Eine Art Doppelporträt
Wir, das waren die Ostdeutschen, deren Umbrüche Osang in den 90er-Jahren fast rauschhaft beschrieb. Ein heimatloser Weltreisender, der über seine Möglichkeiten staunte. Heute ist der Autor angekommen. Groß, schlank, immer noch schnell. Als wir im Kreis laufen, dort wo er im Park für gewöhnlich seine Laufrunden dreht, bleiben die Schneeflocken in den graumelierten Haaren hängen. Erst nach einer Stunde setzt er sich die Mütze auf den Kopf, fast beiläufig.
Der Himmel ist milchig grau, fast hell, so wie die Nächte in Osangs neuem Roman. Darin fährt er mit Uwe und dessen 80-jähriger Mutter über die Ostsee nach St. Petersburg, um Uwes atemberaubendes Leben in vier Tagen niederzuschreiben. Er verwebt Uwes Biografie der letzten 30 Jahre mit seiner eigenen Geschichte zu einer Art Doppelporträt.
"Je länger ich das mache, umso mehr begreife ich, wie vermessen auch dieser Beruf ist. Also dass man irgendwie so ein Leben beschreibt. Das ist immer nur meine Sicht auf den Menschen. Weil ich eben meine eigenen Erfahrungen habe, an denen ich dieses Leben messe. Aber Reportagen sind nun mal subjektiv, insofern berührt dieses Buch auch diese verletzlichen Stellen in dem Reporterberuf."
"Je länger ich das mache, umso mehr begreife ich, wie vermessen auch dieser Beruf ist. Also dass man irgendwie so ein Leben beschreibt. Das ist immer nur meine Sicht auf den Menschen. Weil ich eben meine eigenen Erfahrungen habe, an denen ich dieses Leben messe. Aber Reportagen sind nun mal subjektiv, insofern berührt dieses Buch auch diese verletzlichen Stellen in dem Reporterberuf."
Der Reporter als Privatdetektiv
Als Reporter habe er manchmal monatelang Zeit gehabt, seine Protagonisten kennenzulernen, sie einzukreisen.
"Ich habe so viel über Angela Merkel wahrscheinlich wie nirgendwo gelernt, als ich mal einen Tag mit ihrem Vater verbracht habe. Und später hat nie wieder einer mit ihm geredet, weil Angela Merkel, die hat sofort gesagt: ‚Du redest nicht mehr mit Journalisten!‘
"Ich habe so viel über Angela Merkel wahrscheinlich wie nirgendwo gelernt, als ich mal einen Tag mit ihrem Vater verbracht habe. Und später hat nie wieder einer mit ihm geredet, weil Angela Merkel, die hat sofort gesagt: ‚Du redest nicht mehr mit Journalisten!‘
Natürlich werden die dann unfassbar misstrauisch, wenn man dann wie so ein Privatdetektiv anfängt, in diesen Leben herum zu recherchieren. Ich versuche das schon, wenn das geht, mache ich das. Das ist vielleicht auch ein alter Ostkomplex, dass ich versuche Leben über Biografien zu erklären."
Viel Kraft gezogen aus den Fragen
Dieses Interesse für seine Figuren, das ist Osangs großes Bedürfnis, sein Antrieb. Vielleicht auch um die eigene Biografie daran zu messen.
"Ich hatte teilweise diese Biografien bewundert für ihre Standfestigkeit. Ich war so ein Blatt im Wind irgendwie, hatte ich den Eindruck in dieser Wendezeit. Aber mittlerweile bin ich mir da nicht so sicher. Mittlerweile glaube ich, dass ich ziemlich viel Kraft aus diesen Fragen gezogen habe."
"Fast hell" ist ein sehr persönliches Buch darüber, wie wir deutsche Geschichte schreiben, damit sie in unser Weltbild passt. Wir seien Charaktere einer großen Erzählung, Täter oder Opfer, Helden oder Schurken. Und Osang versucht in dieser Erzählung seinen Platz zu finden. Ernsthaft und engagiert.
"Ich hatte teilweise diese Biografien bewundert für ihre Standfestigkeit. Ich war so ein Blatt im Wind irgendwie, hatte ich den Eindruck in dieser Wendezeit. Aber mittlerweile bin ich mir da nicht so sicher. Mittlerweile glaube ich, dass ich ziemlich viel Kraft aus diesen Fragen gezogen habe."
"Fast hell" ist ein sehr persönliches Buch darüber, wie wir deutsche Geschichte schreiben, damit sie in unser Weltbild passt. Wir seien Charaktere einer großen Erzählung, Täter oder Opfer, Helden oder Schurken. Und Osang versucht in dieser Erzählung seinen Platz zu finden. Ernsthaft und engagiert.