Roman "Aufprall"

Als in Kreuzberg noch Häuser besetzt wurden

15:29 Minuten
Schwarz-Weiß-Bild einer Hausbesetzung in Kreuzberg in den 80er-Jahren. Menschen sitzen und stehen vor einem besetzten Haus.
Die späten 80er-Jahre in West-Berlin seien genauso untergegangen wie die DDR nach dem Mauerfall, sagt Heinz Bude. © picture alliance / akg-images
Karin Wieland, Bettina Munk und Heinz Bude im Gespräch mit Frank Meyer · 08.10.2020
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Karin Wieland, Bettina Munk und Heinz Bude gehörten in den 80er-Jahren zur Hausbesetzerszene. In ihrem Roman "Aufprall" erzählen sie eine fiktive Geschichte rund um ihre Erlebnisse und Erinnerungen. Im Gespräch blicken sie aber auch kritisch zurück.
Die bildende Künstlerin Bettina Munk, die Sachbuchautorin Karin Wieland und der Soziologe Heinz Bude lebten in den 1980er-Jahren in Berlin-Kreuzberg in besetzten Häusern. "Wir haben unterschiedlich lang in unterschiedlichen Häusern gelebt", erzählt Karin Wieland. Sie hätten alle drei damals verschiedene Dinge erlebt und jeweils ihre eigenen Motive gehabt. In ihrem Kollektivroman "Aufprall" haben sie all das aber in einer fiktiven Handlung zusammengeführt.

Wohnen als politisches Projekt

Die Personen im Roman gehören der "Gruppe Aufrührerischer Jungmenschen" an und haben unterschiedliche Motive, Häuser zu besetzen: Für sie gehe es, ähnlich wie heute, um zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Außerdem verstehen sie Wohnen als politisches und künstlerisches Projekt. Sie wollen nicht in einer Zweizimmerwohnung versauern. Sie haben eine Vision, die Raum braucht, um sich zu entfalten. Was liegt da näher, als ein leer stehendes Haus zu besetzen, fragt Wieland.
"Wir gehörten immer zu den Aussteigern", sagt Bettina Munk, "und unsere Erfahrungen aus dem Aussteigergefühl heraus haben wir in diese Figuren gelegt." Diese Figuren hätten nie alle so zusammengefunden, wenn es diese Besetzung nicht gegeben hätte, ergänzt Karin Wieland. So etwas wäre heute in dieser Heterogenität gar nicht mehr vorstellbar – der Dauerkiffer mit dem Philosophiestudenten. Es gab damals kein Casting, alle gehörten dazu. Das sei zwar enorm anstrengend, aber rückblickend auch bereichernd.

Auch viel Unsinn gemacht

Heinz Bude betont die Notwendigkeit, sich trotz dieser Unterschiedlichkeiten aufeinander verlassen zu können. Damals sei es ja auch darum gegangen, ob sich in diesen Häusern eine terroristische Vereinigung bilden würde. Wenn man wisse, dass es da einen großen, mächtigen Gegner gibt – die Staatsmacht –, dann schweiße das diese unterschiedlichen Menschen zusammen.
Rückblickend, sagt Bude, hätten sie damals auch viel Unsinn gemacht, viele "bescheuerte Dinge" und viel Sinnloses. Dies alles in einem Roman zu verarbeiten, sei ein spannender Prozess gewesen. "Für mich war es sehr interessant und erschließend, in die Fiktion zu gehen, weil man da an ganz andere Ebenen des eigenen Erlebens dran kommt. Das ist anders als bei einem Sachbuch."

Eine Welt des Experimentalismus

Der entstandene Roman sei auch eine Erinnerung an diese Zeit, die späten 80er-Jahre. Das Buch korrigiere vielleicht mit seinem rauen, puren, anti-nostalgischen Tonfall ein Bild über diese Zeit, meint der Soziologe.
"Die späten 80er-Jahre in West-Berlin sind genauso untergegangen wie die DDR nach dem Mauerfall", sagt Bude. "Wir zeigen eine Welt des Experimentalismus, die aber nur gelingen kann, wenn man sich da ganz reinstürzt. Man schafft nur dann etwas, wenn man sehr viel von sich hergibt. Das ist vielleicht eine der Botschaften dieses Romans", so Bude.
(nis)

Heinz Bude, Bettina Munk, Karin Wieland: "Aufprall"
Hanser Verlag, München 2020
384 Seiten, 24 Euro

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