Roisin Murphy: "Take her up to Monto"

Arrangements wie ein unbezwingbarer Berg

Ex-Moloko-Sängerin Roisin Murphy bei einem Auftritt im Juni 2015.
Roisin Murphy bei einem Auftritt im Juni 2015 © dpa / picture alliance / Jose Sena Goulao
Von Jutta Petermann · 12.07.2016
Sperrige Synthesizer-Klangwände, gegeneinander laufende Beats und Soundkaskaden, die auch mal an den Gehörgängen kratzen: Mit ihrem neuen Album "Take her up to Monto" fordert die Sängerin Roisin Murphy den Hörer heraus, bewegt sich jenseits hergebrachter Schemata.
"'Hairless Toys' wirkt eher wie das ruhige Kind und 'Take her up to Monto' ist das Geschwisterchen, das etwas verrückter geraten ist, etwas extremer. Die Songs darauf sind großartig, weil sie extrem sind, aber sie waren am Anfang ein wenig einschüchternd. Einige Arrangements wirkten wie ein großer Berg, auf den man raufklettern muss, so dass ich mir sagte, da komme ich später drauf zurück.
Manchmal muss man einfach was liegen lassen und wenn Du Dich dem später wieder zuwendest, weißt Du, wie Du damit umgehen musst. Ich denke, es ist das, warum ich mich vor diesen Songs gefürchtet habe, was sie so großartig macht."
Furcht und Roisin Murphy, das klingt wie Koketterie. Eigentlich ist die 43-jährige Irin für ihre Exaltiertheit bekannt. Seit gut 20 Jahren arbeitet sie nach der Devise: Je schräger die Kostüme für die Videos und die Bühne, desto besser.
Ihre variantenreiche Stimme diente ihr schon für viele Experimente und ihre Musik war immer vom Mut geprägt, dem Hörer Tanzmusik zu liefern, die ihn auch mal aus dem Takt bringt. Aber die neuen Songs haben es in sich, fordern den Hörer heraus, noch mehr als die Songs vom Vorgängeralbum "Hairless Toys". Ins Studio nahm Murphy, die mal Kunst studieren wollte, große Kladden mit und den Mut, ihren Geistesblitzen zu vertrauen.

Ihre Ideen rausgelassen

"Ich mache große Skizzenbücher mit Ausschnitten von Zeitungen und Magazinen als Anregung für meine Texte. Im Fall des Songs 'Gone Fishing' auf dem letzten Album war es zum Beispiel so, da hatte ich am Abend vorher einen Film gesehen und ich wollte darauf basierend einen Song schreiben. Wenn man einmal ins Studio gegangen ist, sollte man seine Ideen raus lassen."
Und Roisin Murphy lässt es raus auf "Take her up to Monto", frickelt sich gemeinsam mit ihrem Songschreiber-Partner, Mitproduzenten und bestem Freund Eddie Stevens durch sperrige Synthesizer-Klangwände, gegeneinander laufende Beats und Soundkaskaden, die auch mal an den Gehörgängen kratzen.
Freie Musik will sie machen, unbeeindruckt von hergebrachten Formeln und Schemata. Aber eines vergisst die Irin nie dabei: Auch klangliche Schönheit hat immer ihren Platz.
Der kryptische Albumtitel "Take her up to Monto" ist angelehnt an einen alten ironischen Song über den Dubliner Stadtteil Monto, den Roisin Murphy als Kind oft mit ihrem Vater gesungen hat.
"Ich mag einfach das Fragmentarische, das Postmoderne daran. So wie ich mit dem Albumtitel etwas aus meiner Kindheit benutze, das immer noch in mir ist. Und der Song selbst ist stark fragmentiert. Da ist der Autor von der 'Irish Times', der in den 1950ern dieses satirische Stück über die irische Geschichte geschrieben hat, und der wird später der führende Jazzliebhaber Irlands und nichts davon passt zusammen oder ergibt einen Sinn, alles sind Bruchstücke von Gedanken und Dingen, und das passt wiederum gut zum Album."

Murphy dreht ihre Videos mittlerweile selbst

Seit dem letztjährigen Album "Hairless Toys" dreht Roisin Murphy die Videos zu den Songs selbst. Sie konnte sich keinen guten Regisseur leisten, gibt sie unumwunden zu, die Nachwuchsregisseure, die sie hätte bezahlen können, hatten noch weniger Ahnung als sie und sie war schon lange neidisch auf Musikerinnen wie FKA Twigs, die selbst Regie führt bei ihren Videos.
"Für die Videos zu den Songs von 'Take her up to Monto' habe ich etwas gemacht, für das es noch keine Vorbilder gab. Es war so etwas wie eine Trapeznummer ohne Sicherheitsnetz. Es ging nur darum, was wäre die ehrlichste bildliche Gestaltung für mich in diesem Moment. Aber das war auch ängstigend, ich hatte keine Ahnung, was am Ende herauskommen würde, als ich mich da hinein stürzte."
Für das Video zu "Ten Miles High" etwa tobt sie sich am Schnittprogramm aus und spiegelt fast alle Szenen. Die nackte, graue Realität von Straßenzügen, U-Bahnfahrten oder Bahnhofshallen, durch die sie in bunten und schrägen Kostümen stapft, bekommen dadurch einen durchgeknallt-futuristischen Look.

In die Musik gestolpert

In die Musik ist Roisin Murphy durch einen Zufall hineingestolpert, als sie 1994 den Musikproduzenten Mark Brydon auf einer Party kennen lernte. Heute dagegen kann jeder, der will, Musik machen, die technischen Mittel sind einfach zu bedienen und erschwinglich. Trotzdem ist ihre Karriere so nicht wiederholbar, glaubt Roisin Murphy, weil man ihr damals noch Zeit ließ, ihren Weg zu finden - was auch eine finanzielle Frage ist.
"Ich lebe allein, seit ich 16 Jahre alt bin, das war damals in Manchester. Ich hatte eine kleine Wohnung und die Regierung bezahlte sie und ich hatte Geld, um weiter zur Schule gehen. Ich wusste nicht, was ich aus meinem Leben machen sollte und dann stolperte ich in die Musik, sonst wäre ich wohl eher bildende Künstlerin geworden. Aber dann passierte das mit der Musik und das scheint mir heute für die Generation meiner Kinder nicht mehr möglich, da fehlt heutzutage die Unterstützung der Regierung."
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