House-Musik mit Botschaft

Von Judith Kochendörfer · 22.12.2006
Der britische Musiker Matthew Herbert ist einer der umtriebigsten und vielfältigsten Musikschaffenden auf der Insel. Kürzlich hat er das erste Soloalbum von Roisin Murphy, der Stimme von "Moloko", produziert. Er selbst etablierte sich in den neunziger Jahren als Techno- und House-Produzent. Zurzeit läuft am Royal Court Theatre in London das Stück "Drunk enough to say I love you?", zu dem er die Musik geschrieben hat.
Zwei Stunden vor seinem Konzertauftritt in einem Berliner Club sitzt Matthew Herbert noch im Tourbus und arbeitet an neuen Projekten. "Er arbeitet eigentlich immer", sagt der Tourmanager. Nun ja, es gäbe ja auch immer etwas zu tun, als freischaffender Künstler habe man schließlich nichts sicher, sagt Matthew Herbert selbst.

Der 34-Jährige hat sehr helle Haut, eine hohe Stirn, schwarze Haare und trägt ein dunkles Hemd. Ein bisschen introvertiert, aber durchaus gesprächig gibt er sich im Interview in einer der Künstlergarderoben.

"Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen, also war es nicht leicht, sich zuhause die Zeit zu vertreiben. Das tat ich dann eben mit den Musikinstrumenten. Meine Eltern unterstützen und ermunterten mich einfach, das war wahrscheinlich ihr größtes Geschenk. Es war weniger Unterstützung in der Musik als vielmehr die Möglichkeit, Musik zu machen, wenn ich wollte."

Unten im noch leeren Saal proben ein paar Musiker der Band. Matthew Herbert sitzt im Backstageraum und plaudert über seine ersten Berührungen mit Musik. Sein Vater arbeitete in einem Londoner Tonstudio und der junge Matthew bekommt früh Klavier- und Geigenunterricht, malt Bilder, spielt Theater, singt im Chor. Ziemlich bald hat er auch seine erste Band zusammengetrommelt.

"Meine erste Band war eine Big Band, damals war ich 14. Das waren 18 oder 19 Leute, die in einem Raum zusammenkommen mussten. Es war ziemlich kompliziert, die alle zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort und alle mit dem gleichen Spielniveau zusammenzubringen.

Aber so um 1987 rum, da war ich 17, wurden elektronische Musikgeräte billiger und waren plötzlich in normalen Musikläden erhältlich. Das war spannend, denn nun brauchte ich nicht mehr 19 Leute, um Musik zu machen. Ich wurde eigenbrötlerisch und idealistisch. Ich konnte meine eigenen Ideen ausarbeiten, in meinem eigenen Rhythmus, zu meinen eigenen Standards. Das Studio wurde quasi zur Band."

Mittlerweile hat Matthew Herbert aber wieder mehr Lust darauf, mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Am Abend, auf der Bühne, steht er dann auch mit seinen Mitstreitern: sie an den Instrumenten, der Künstler selbst am Mischpult. Er hält eine Blechdose in der Hand und presst sie zusammen. Das dabei entstehende Geräusch nimmt er gleichzeitig auf und kreiert mit dem Klang sofort einen Rhythmus. Auf diesem schließlich baut dann der nächste Song auf.

Matthew Herberts erste Alben sind Technoplatten. Völlig alleine zuhause am Computer konzipiert, in seinem eigenen Tonstudio, in dem er während seines Theaterwissenschaftsstudiums in Exeter die meiste Zeit verbringt. Doch der Musiker möchte mehr als an Housestücken basteln. Er gründet die Matthew Herbert Big Band und spielt Swingmusik. Oder er spaziert mit einem Recorder unterm Arm in Restaurants, nimmt Essensgeräusche auf und verarbeitet sie zu avantgardistischen Musikstücken. Seit diesem Jahr wendet er sich wieder eingängigeren Melodien zu - es entsteht das Popalbum "Scale". Orientiert sowohl am klassischen Songwriting, als auch an seinen früheren Klangexperimenten.

"Ich mag das klassische Songwriting der 30er Jahre. George Gershwin, Cole Porter, Irving Berlin. Das entstand aus Reibung: Die jüdische Vergangenheit reibt sich am Blues und der schwarzen Musik. Ich mag alles, worin ein bisschen Spannung, ein bisschen Reibung steckt."

Und das gilt nicht nur für die Musik, sondern auch für die Politik zum Beispiel. Oder für Wirtschaft und Umweltschutz.

Matthew Herbert ist Idealist. Er hält eine Veränderung für notwendig und nutzt jede Gelegenheit, dabei mitzuhelfen. Beispielsweise durch politische Statements auf seinen letzten Alben.

In denen regt sich Matthew Herbert über Fast Food auf oder über die Verschwendung von Erdöl. Noch wichtiger als seine Songtexte sei es aber, den Menschen vorzuleben, was man selbst für verbesserungswürdig halte, sagt er.

"Zum Beispiel haben unsere Alben keine Plastikhülle, die Hülle ist aus Papier, das einzige aus Plastik ist die CD selbst. Oder wir schränken uns beim Fliegen ein und touren dieses Jahr nur noch mit dem Bus. Letztes Jahr habe ich etwa 200 Flüge gemacht, dieses Jahr nur noch 10. Keine Sandwiches aus dem Supermarkt, keine Coca-Cola, nichts von all dem bearbeiteten Essen, das gefährlich ist, nicht nur für Menschen, sondern für den ganzen Planeten."

So stehen im Backstagebereich frische Brötchen, Bio-Milch und Fair-Trade-Kaffee für die Musiker bereit. Seine Bandmitglieder konnte er von umweltbewusstem Leben schon überzeugen – bei seinem Publikum ist er noch dabei.

"Das Erste, Wichtigste ist also wirklich, bei sich selbst anzufangen, und dann übt man hoffentlich auch einen Einfluss auf die anderen aus. Ich möchte das auf musikalischem Wege machen, weil ich glaube, dass es niemand sonst mit Musik macht. Wenn es da noch jemanden im Musikbereich gäbe, dann würde ich es vielleicht mit Sport machen oder womit auch immer."