Robert Macfarlane: "Sind Flüsse Lebewesen?"

Ein Appell für den Schutz der Flüsse

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Das Buchcover von Robert Macfarlanes Buch "Sind Flüsse Lebewesen?" zeigt den Namen des Autors und den Buchtitel auf einem grün-blauen Hintergrund, der abstrakt an einen Fluss erinnert.
© Matthes & Seitz

Robert Macfarlane

Aus dem Englischen von Frank Sievers und Andreas Jandl

Sind Flüsse Lebewesen?Matthes & Seitz, Berlin 2025

416 Seiten

29,99 Euro

Von Susanne Billig |
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Flüsse sind keine bloßen Ressourcen, sondern lebendige Gebilde mit einer eigenen, komplexen Integrität, schreibt der Essayist Robert Macfarlane in seinem neuen Buch. Sie verdienen Dankbarkeit, Respekt, Schutz – und vielleicht sogar Rechte.
In seinem neuen Buch „Sind Flüsse Lebewesen?“ erzählt der englische Naturschriftsteller Robert Macfarlane von Reisen in drei sehr unterschiedliche Flusssysteme: den Río Los Cedros im ecuadorianischen Nebelwald, die versehrten Wasseradern der indischen Metropole Chennai und den Mutehekau Shipu – oder Magpie River – im kanadischen Nitassinan.

Der Fluss als politsches Subjekt

Jeder der Flüsse ist von Umweltzerstörung bedroht und steht zugleich für die Vision einer würdevollen Beziehung zwischen Mensch und Wasser.
In Ecuador begegnet uns der Fluss als „lebende Wunderkammer“, eingebettet in ein empfindliches Ökosystem, das durch Goldabbau gefährdet ist. In Chennai wird die Frage nach der Lebendigkeit des Wassers schmerzhaft konkret: Kann ein Fluss, der schwarz vor Gift ist, noch leben? Und in Kanada wird der Fluss zum politischen Subjekt – die Innu-Gemeinschaft hat ihm Rechte zugesprochen und zur juristischen Person erklärt.

Trauer und Verbundenheit

Nicht nur die atemberaubenden Naturbeschreibungen machen dieses Buch so besonders, sondern auch die Lebensgeschichten der Menschen, denen der Reisende begegnet. Eng führt er ihre Geschichten am Schicksal der Flüsse entlang: Giuliana, die im Nebelwald gegen den Bergbau kämpft und dabei etwas zurückgewinnt, das sie verloren glaubte. Yuvan, der junge Aktivist aus Chennai, der den Tod seiner Schwester mit der Sprache der Natur verarbeitet. Die kanadische Innu-Dichterin Rita Mestokosho, die den Fluss als Träger von Erinnerung und Geist begreift.
Die sehr persönlich und teils über viele Seiten hinweg erzählten Lebensgeschichten heben das Buch weit über einen ökologischen Essay hinaus und machen es zu einem zutiefst menschlichen Werk über Trauer, Verbundenheit und die tragende Kraft der Wildnis.

Die Umweltbelastung ist enorm

Doch das Buch führt auch eindringlich vor Augen, wie massiv die Wassernatur bedroht ist. Die Flüsse Adyar und Cooum im indischen Chennai müssen als „offene Kloaken“ die Abwässer einer stark wachsenden Bevölkerung aufnehmen. Laut einem Bericht der zuständigen Umweltschutzbehörde aus dem Jahr 2023 ist das Wasser an vielen Stellen „für keinerlei Leben mehr geeignet, da kein Sauerstoff darin gelöst ist“ und weist verheerend hohe Konzentrationen von Schwermetallen, Fäkalien und coliformen Bakterien auf
Doch warum in die Ferne schweifen – auch so gut wie alle Flüsse und Seen in seiner Heimat England sind über die gesetzlichen Grenzwerte hinaus verschmutzt, erzählt der Autor. Als Beispiel nennt er das träge Wasser des Wye im Grenzgebiet von England und Wales, das die giftigen Abwässer riesiger Hühnerfarmen in die Landschaft hinaus transportiert.

Eine dringende politische Forderung

In seinem Buch verwebt Robert Macfarlane ökologische Forschung, indigene Weltanschauungen, menschliche Begegnungen und feine Naturbeobachtungen zu einem Plädoyer: Flüsse sind keine bloßen Ressourcen, sondern lebendige Gebilde mit einer eigenen, komplexen Integrität.
Sie verdienen Dankbarkeit, Respekt, Schutz – und vielleicht sogar Rechte. Das ist, in einer Zeit der eskalierenden Umweltzerstörung, für den Autor keine romantische Idee, sondern eine dringende politische Forderung.
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