Robert E. Lerner: "Ernst Kantorowicz. Eine Biographie"

Die zwei Leben des Ernst Kantorowicz

06:16 Minuten
Cover: "Robert E. Lerner: Ernst Kantorowicz: Eine Biographie"
Cover: "Robert E. Lerner: Ernst Kantorowicz: Eine Biographie" © Deutschlandradio / Klett-Cotta
Von Marko Martin · 06.02.2020
Audio herunterladen
Robert E. Lerner widmet dem exilierten deutsch-amerikanischen Intellektuellen und Mittelalter-Forscher Ernst Kantorowicz eine eindrucksvolle Biographie. Kantorowicz hatte mit dem Buch "Die zwei Körper des Königs" Weltruhm erlangt.
Zuletzt wurde sein Buch zitiert, um vermeintlich kundig die Causa Harry und Meghan zu kommentieren. Genauer gesagt: Ernst Kantorowicz' 1957 erschienene Mittelalter-Untersuchung "Die zwei Körper des Königs" wurde als Titel herangezogen, um anhand der Rückzugs-Story eines gegenwärtigen Prinzen ein altes, aber mittlerweile eindeutig obsolet gewordenes monarchisches Prinzip zu erläutern: Der Herrschende führt zwei Existenzen – eine individuelle, also folglich sterbliche, und eine symbolische, quasi ewige, die völlig in der Funktion aufgeht. Auf französisch hieß dies einst "Le Roi est mort, vive le Roi."

Heitere Gelehrsamkeit

Wie hätte wohl Ernst Kantorowicz, 1895 als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Likörfabrikanten im damaligen Posen geboren und 1963 an seinem Lehr- und Wohnort im amerikanischen Princeton verstorben, auf die Banalisierung seines vielhundertseitigen Hauptwerkes reagiert, das voller Exkurse in die Religions- und Kunstgeschichte steckt und sogleich bei Erscheinen als ein Meilenstein der Geschichtsschreibung gefeiert worden war?
Wahrscheinlich hätte er solch fragwürdige Verkürzung mit einem gutgelaunten Bonmot abgetan, war er doch in seinem "zweiten Leben", der Zeit von 1938 bis zu seinem Lebensende, ein geradezu fröhlicher Wissenschaftler, ungemein beliebt bei Kollegen und Studenten. Jene waren von Kantorowicz´ "alteuropäischer" Gelehrsamkeit äußerst angetan, auch wenn sie vermutlich nur wenig wussten vom Vorleben ihres berühmten, geistig freien Professors, der 1950 sogar auf die Universität von Berkeley verzichtet hatte, als man von ihm einen dubiosen "Loyalitätseid" gefordert hatte, der von der damaligen McCarthy-Hysterie inspiriert war.

Vom George-Jünger ...

Anders als viele aus Nazideutschland in die Vereinigten Staaten geflüchteten Schriftsteller, Wissenschaftler und Intellektuellen war Kantorowicz jedoch alles andere als ein genuin Linksliberaler, sondern hatte in seinem "ersten Leben" 1919 an der Seite der ultrarechten Freikorps in Berlin gegen die Spartakisten und danach gegen die Münchner Räterepublik gekämpft.
In der Weimarer Republik prominentester "Schüler" im elitären Kreis um den Dichter Stefan George, hatte er dann 1927 sein Buch über den Staufer-"Kaiser Friedrich der Zweite" geschrieben, das in Stil und Zugriff zwar die bis dato im Kleinteiligen gefangene deutsche Geschichtsschreibung revolutionierte, dies jedoch (wie er später selbstkritisch anmerkte) auf durchaus fragwürdige Weise: Lyrische Emphase und Raunen über Schicksal, Macht und "Große Männer" machten das bald zum Bestseller avancierte Buch auch anschlussfähig an jene Kreise, die den Parlamentarismus verabscheuten und sich nach einem Führerstaat sehnten.
Diese quasi erste Banalisierung eines Kantorowicz-Buches endete im radikal Bösen, und der von einem mediterranen Edel-Deutschland schwärmende Wissenschaftler sah sich 1933 als Jude universitär geächtet, auch wenn er danach als prominenter Privatgelehrter noch fünf Jahre im Land verbrachte, ehe ihm kurz nach den November-Pogromen gerade noch die Ausreise glückte. Seine achtzigjährige Mutter indessen, um deren Übersiedlung Kantorowicz, zunehmend verzweifelter, von den USA aus kämpfte, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort an Herzkrankheit.
Die wenigen Briefe, die sie ihrem Sohn zuvor hatte zukommen lassen, sprechen in der fein nuancierten Sprache des deutschjüdischen Kulturbürgertums von zunehmender Gefahr, aber auch seelischer Vereinsamung – unprätentiös und gerade deshalb unendlich berührender als all das kalte Stefan-George-Pathos, dem ihr Sohn einst anheimgefallen war.

... zum Liberalen

"Wie kam es, dass er, der einst Hindenburg rechts überholt hatte, am Schluss links von Kennedy stand?" Auf über fünfhundert Seiten inklusive einem profunden Anmerkungsteil geht der emeritierte amerikanische Mittelalter-Forscher Robert E. Lerner dieser Geschichte nach, doch ist seine nun auf Deutsch erschienene Biographie auch für jene hochinteressant, die keine Experten sind in punkto Riten und Symbole der Staufer- oder Tudor-Zeit.
Lerner nämlich verliert sich nicht in Textexegese, sondern zeichnet voller Erzähl-Elan die Linien einer Jahrhundert-Existenz nach, nicht zuletzt den Weg von einer kryptischen Innerlichkeit hin zu einem public intellectual, der dann seine amerikanische Staatsbürgerschaft auch als Auftrag für Engagement und Widerspruch begriff. So spannend und plausibel aber auch die Kontinuitäten und Brüche im Leben des Ernst Kantorowicz beschrieben sind, sein Biograph versteigt sich nicht zu steilen Erklärungen, sondern bleibt ein ironisch-modester Chronist: "Was hingegen Kantorowicz´ Motivation betrifft, gilt: Wir tun unser Bestes."
Auch das turbulente Liebesleben jenes "EKa", wie er einst von seinen Freunden und auch in diesem Buch genannt wird, gelangt dank Robert E. Lerners Souveränität aus dem Halbschatten des neugierig-empört Gewisperten. Die Bisexualität des bis ins Alter hinein attraktiv-charismatischen deutschjüdisch-amerikanischen Wissenschaftlers kommt auch deshalb unaufgeregt zur Sprache, weil sie nicht mit den vielleicht naheliegenden, doch im Fall von "EKa" unzutreffenden Thesen einer "mehrfachen Minderheits- und Ausgrenzungserfahrung" überfrachtet ist. Diese Biographie ist nicht nur die maßgebliche zu Leben und Werk von Ernst Kantorowicz, sondern öffnet auch die Augen für jene verblüffenden intellektuellen Wandlungsprozesse, die es in jenem radikalisierten 20. Jahrhundert eben auch gab.

Robert E. Lerner: Ernst Kantorowicz. Eine Biographie
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gruber
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2020
554 Seiten, 48 Euro

Mehr zum Thema