150. Geburtstag Stefan George

Formstrenger Mystiker der Moderne

Von Christian Lindner · 12.07.2018
"den wert der dichtung entscheidet nicht der sinn, sondern die form", schrieb der Lyriker Stefan George. Er scharte einen Kreis von Bewunderern um sich, die ihn ehrfurchtsvoll "Meister" nannten. Vor 150 Jahren wurde er geboren.
Das heute großenteils versunkene Werk Stefan Georges stand einmal für einen derartig bewunderten Aufbruch in die Moderne, dass ein Komponist wie Arnold Schönberg früh, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einige Gedichte vertonte.
"Streng ist uns das glück und spröde
Was vermocht ein kurzer kuss?
Eines regentropfens guss …"
Dieser Ruhm wurde genährt auch durch den Mythos, der sich um Georges Person rankte und Gottfried Benn 1933 in einer Totenrede verwundert feststellen ließ:
"Nur wenige hatten ihn leiblich gesehen, nie hatte er öffentlich vorgetragen, nie in einer Zeitung sich geäußert, er besaß keine ständige Wohnung, … wie ein Schild standen immer gewisse Namen vor ihm, hüteten ihn, waren sein Kreis, erhöhten und verdunkelten ihn zugleich …"

Mann mit besonderer Aura

Auch wenn aufgrund solcher Verborgenheit der Klang der Georgeschen Stimme in keiner Tonaufnahme aufbewahrt ist, so wird eine Lesung Bruno Schoenfelds aus dem Jahr 1928 für den Autor selbst seiner Aura nahe gekommen sein:
"Wer je die flamme umschritt
Bleibe der flamme trabant!
Wie er auch wandert und kreist:
Wo noch ihr schein ihn erreicht
Irrt er zu weit nie vom ziel …"
Es war die Aura eines Mannes, der früh auf seine Besonderheit setzte. Schon als 16-Jähriger erschien er seinen Mitschülern seltsam bizarr:
"Die grauen, undefinierbaren Augen, niemand eines Blickes würdigend, zum Fenster hinaus gerichtet – so lehnte er uns restlos ab."

Studieren, reisen, schreiben

Geboren am 12. Juli 1868 in Büdesheim bei Bingen als Sohn eines Weingutbesitzers und später finanziell durch eine kleine Apanage abgesichert, studierte George auf kein Ziel gerichtet in Berlin, reiste durch Europa, lernte in Paris den Schriftsteller Stephan Mallarmé kennen und entwickelte im Umfeld von dessen Symbolismus seine Grundideen:
"den wert der dichtung entscheidet nicht der sinn sondern die form."
Die seit 1890 in Büchern wie "Hymnen", "Pilgerfahrten", "Algabal", "Das Jahr der Seele", "Der Teppich des Lebens" oder "Der siebente Ring" gesammelten Gedichte fielen wegen der darin immer radikaler werdenden Schreibgesten auch sofort auf:
"Ihr tratet zu dem herde
Wo alle glut verstarb
Licht war nur an der Erde
vom monde leichenfarb …
Tretet weg vom herde
Es ist worden spät."

Ein Kreis auserwählter männlicher Jünger

Für Theodor W. Adorno speicherten solche Zeilen "das Gefühl eines Weltalters". Da hatte George aber längst auch begonnen, sich als Dichter-Seher zu stilisieren, als herumreisender Führer eines aus einem "heiligen Krieg" geborenen neuen "geheimen Deutschlands", der im Kreis seiner sorgfältig auserwählten männlichen Jünger als "Meister" angesprochen und entsprechend hofiert und gern beherbergt wurde.
Porträtskulpturen des Dichters Stefan George sind am Dienstag (11.03.2008) im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar (nahe Ludwigsburg) im Rahmen einer Ausstellung mit dem Titel "Das geheime Deutschland. Eine Ausgrabung" zu sehen.
Porträtskulpturen des Dichters Stefan George in einer Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum © picture-alliance/ dpa / Bernd Weißbrod
Außenstehende, die einen flüchtigen Blick ins Innere des Kreises erhaschen konnten, waren entsetzt – wie Ernst Bertram, der in George einen Werwolf vor sich zu haben meinte – oder belustigt, wie Harry Graf Kessler:
"George spricht so nachdrücklich und monumental und mit so einem dantesken Aufrecken des Kopfes, dass man fast nicht das Alberne merkt; fast nicht."
"Die Geburt der Poesie aus dem Geist männlicher Erotik", kommentierte ironisch Georges jüngster und gründlichster Biograf Thomas Karlauf mit Hinweisen auf Georges homoerotische Schmachtereien nach jungen Knaben.
Karlauf sprach zugleich aber auch angesichts der berühmtesten deutschen Intellektuellen und Wissenschaftler, die zum George-Kreis gehörten, wie Friedrich Gundolf, von einem "letzten rauschhaften Höhenflug des deutschen Geistes am Vorabend der Katastrophe" - wenn auch voller Verstiegenheit, Dünkel und Wahn.
Immerhin, als 1933 die Nationalsozialisten sich vor dem Autor verneigten und ihn vereinnahmen wollten, entzog sich George und ging in die Schweiz. Dort ist er im Dezember 1933 in Minusio bei Locarno gestorben und begraben worden.
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