„Was ich hier schildere, sind die ungefilterten Eindrücke und Erfahrungen, die ich in fast 15 Jahren bei der Bundespolizei gewonnen und gemacht habe, sowie meine ganz persönlichen Schlüsse und Konsequenzen daraus. Die Realität, wie ich sie erlebte, widerspricht den praxisfernen und idealisierten Vorstellungen, die viele Menschen von der Migrations- und Integrationspolitik haben, auf teilweise absurde Weise. Es sind Geschichten voller Grenzerfahrungen und moralischer Dilemmata, die weder den Anspruch auf Objektivität noch auf die Erfüllung wissenschaftlicher Standards erheben.“
Jan Solwyn: „An der Grenze"
© Heyne Verlag
Subjektive Sicht auf Missstände
07:01 Minuten

Jan Solwyn
An der Grenze. Verfehlte Politik, Überforderung, Flüchtlingselend: Wie ein Bundespolizist die Realität an unseren Grenzen erlebtHeyne Verlag, München 2025256 Seiten
20,00 Euro
In einer Mischung aus Erlebnisbericht und persönlichen Betrachtungen schildert Jan Solwyn die Sicht eines ehemaligen Bundespolizisten. Der erlebt die Unzulänglichkeiten einer Migrationspolitik und wird von wachsenden Missständen zerrieben.
Mit seinem Buch werde er wohl viel Beifall von Anhängern rechten, rassistischen und nationalistischen Gedankenguts bekommen, befürchtet Jan Solwyn im Prolog, von Menschen also, deren Ansichten er nicht teilt. Ebenso rechnet er mit Kritik und Vorwürfen aus den Reihen derer, die die Polizei als Teil eines Repressionsapparates sehen oder ihr einen strukturellen Rassismus unterstellen.
Er wolle sich jedoch weder politisch irgendwo anbiedern noch irgendwelche festgefahrenen Weltbilder bestätigen. Auch einer, wie er schreibt, „bedenklichen, politischen Korrektheit“ versuche er nicht gerecht zu werden.
Geschichten und Grenzerfahrungen
Stattdessen gehe es ihm darum, wahre Geschichten zu erzählen, von Menschen und Ereignissen, die ihn geprägt haben. Er schreibt:
Einsätze auf Lesbos, in der Ukraine und im Nahen Osten
Chronologisch berichtet Jan Solwyn davon, wie er 2011 als 20-Jähriger nach der Ausbildung seinen Dienst als Bundespolizist in Dortmund antrat, jahrelang am Flughafen Köln/Bonn arbeitete und von 2016 bis 2024 schließlich bei den spezialisierten Kräften der Bundesbereitschaftspolizei für Auslandseinsätze tätig war – unter anderem auf der griechischen Insel Lesbos, in der Ukraine und im Nahen Osten.
In all diesen Jahren erlebte er eine tiefe Kluft zwischen dem Anspruch einer vernünftigen, moralisch vertretbaren Migrationspolitik und dem von Straftaten, Dysfunktionalität und einem frustrierenden Umgang mit illegal Eingereisten geprägten polizeilichen Arbeitsalltag. Er beklagt den fehlenden Willen der politisch Verantwortlichen, sich mit den Folgen illegaler Einwanderung konsequent auseinanderzusetzen.
Fast täglich wurde er mit einreisenden jungen Männern aus Afghanistan oder Nordafrika konfrontiert, die trotz fehlender Papiere und Falschangaben ungehindert ins Land kamen: „Afghanen gaben ihre afghanische Herkunft meist offen preis, wohingegen Nordafrikaner fast immer, auch wenn die Dolmetscher dies widerlegten, angaben, aus dem Nahen Osten zu stammen. Die Falschangabe ‚Syrien‘ war dabei die beliebteste Lüge. Hielten sie diese auch vor dem Ausländeramt aufrecht, konnten sie als vermeintliche Syrer ohne Identitätspapiere ins Asylverfahren gehen.“
Zwischen Frustration und Wut
Besonders frustrierend für Jan Solwyn und seine Kollegen: Selbst bereits überführte Straftäter tauchten immer wieder in ihrem Einsatzgebiet auf, um erneut straffällig zu werden. So zum Beispiel ein Algerier namens Ali A., der nach abgelehntem Asylantrag seit vielen Jahren in Deutschland geduldet wurde, obwohl seine Liste an Straftaten lang war: Diebstahl, Drogenhandel, Körperverletzung und Vergewaltigung.
Als er erneut gestellt wurde, eine Stichwaffe und Drogen bei sich trug und in Ermangelung eines ausreichenden Haftgrundes auf freiem Fuß belassen werden musste, bemerkte Jan Solwyn, wie der ältere Kollege, mit dem er auf Streife war, darum kämpfte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Solwyn schildert die Szene so:
„Der Kollege atmete schwer durch die Nase aus und wandte sich mir zu. ‚Ein Kollege und ich haben diesen Drecksack vor circa vier Jahren festgenommen. Hat ’n 14-jähriges Mädchen vergewaltigt. Meine Tochter war damals im gleichen Alter. Das vergess ich nie. Du kannst dir das, Gott sei Dank, noch nicht vorstellen. Aber ... für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, dass er bei der Durchsuchung etwas Dummes tut.‘ Ich musste schlucken. ‚Sagen wir so, es war gut, dass du heute dabei warst und ich ihm nicht allein begegnet bin.‘“
Erlebnisberichte und persönliche Betrachtungen
In seinem Buch mischt der ehemalige Bundespolizist Erlebnisberichte und persönliche Betrachtungen, in denen er etwa die aus seiner Sicht verfehlte Migrationspolitik der Bundesregierung oder die tendenziöse Berichterstattung in den Medien kommentiert. Immer wieder spricht er von fehlendem Respekt, Beleidigungen und tätlichen Übergriffen, denen er und seine Kollegen ausgesetzt waren.
Wenn sie Menschen kontrollierten oder überführten, die ganz offensichtlich nichtdeutscher Herkunft waren, lag der Rassismusvorwurf stets in der Luft. Mit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 wurden die Zweifel an der Handlungsfähigkeit des Staates, dem er diente, immer größer. Solwyn schreibt: „Ich war ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie und hielt sie für das beste Regierungssystem. Aber wo waren die Volksvertreter, die sahen, dass das, was gerade in Deutschland und Europa geschah, grundsätzlich falsch und gefährlich war?“
Den Dienst quittiert
Jan Solwyn quittierte Anfang 2024 den Dienst und wanderte nach Israel aus – der Liebe wegen, aber wohl auch, weil ihn die deutschen Zustände zunehmend frustrierten.
Sein Buch ist in der Tat subjektiv – Polizeikritik sucht man darin vergebens –, fehlende Integration sei häufig selbstverschuldet, linke Politik mache die deutsche Mehrheitsgesellschaft für sämtliche Fehlentwicklungen verantwortlich, Medien verzerrten den Blick auf die Realitäten ...
Die im Prolog geäußerte Befürchtung, rechten Akteuren mit solchen Ansichten Munition zu liefern, ist in der Tat nicht unberechtigt. Interessant ist Solwyns Buch dennoch, weil es auf authentische Weise eine Perspektive zeigt, die sonst nur sehr selten wahrnehmbar ist: die Perspektive eines pflichtbewussten Bundespolizisten, der die Unzulänglichkeiten der Migrationspolitik hautnah miterlebt und von wachsenden Missständen zerrieben wird.