Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, ist freier Autor und Journalist. Er war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland spielte der diplomierte Orchestermusiker u.a. beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Er wurde an der Hebräischen Universität Jerusalem und der FU Berlin in Germanistik und Geschichtswissenschaft promoviert. Waldman beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.
Juden und Araber
Al-Aksa-Moschee und Klagemauer: Ihre angebliche Liebe zu Jerusalem "feiern" Juden und Araber immer wieder mit Gewalt, sagt Ofer Waldman. © Unsplash / Levi Meir Clancy
Vereint im Kult der Gewalt
Die Gewalt rund um dem Tempelberg zu Ramadan und Pessach ist traurige und blutige Realität. Jerusalems Altstadt werde dann alljährlich zu einer Art "Freiluftkultstätte", meint der Journalist Ofer Waldman, der dafür nur noch Zynismus übrig hat.
Man sagt, es gäbe im Herzen Jerusalems einen heiligen Ort.
Hätte sich ein Besucher aus einer anderen Welt in den letzten Wochen in Jerusalem umgesehen, wäre er zu der Überzeugung gekommen, dass die ganze Jerusalemer Altstadt und vor allem der Tempelberg eine Art riesige Freiluftkultstätte sind. Ort eines Kultes zu dem es gehört, Flaggen zu schwenken. Mit Pfefferspray als Weihrauch und Schlagstöcken als Gebetsutensilien. Ein Kult mit Menschenopfern.
Begangen wird jedoch dabei weder der muslimische Ramadan-Monat, noch das jüdische Pessach-Fest oder das christliche Ostern. Vielmehr ist Jerusalem zur Kultstätte des israelisch-palästinensischen Konflikts geworden. Hier wird er ausgiebig gefeiert, hier versammeln sich alle, die sich den Konflikt zur Religion gemacht haben. Sie tragen unterschiedliche Flaggen, die an Stöcken befestigt sind, die im zweiten Teil des Rituals zur Ausübung des strickten Gewaltgebots angewendet werden.
Das ganze Land in Flammen
Der Zeitpunkt des Kults bezieht sich auf frühere Kulte, die in Jerusalem gefeiert worden – Ramadan, Pessach, Ostern – so wie neue Religionen sich immer die alten Feiertage zu eigen machen, um die Menschen für sich zu gewinnen.
Auch vor einem Jahr feierten die Gläubigen des israelisch-palästinensischen Konflikts wieder ihren Kult. Von Jerusalem ausgehend setzten sie das ganze Land in Flammen. Es folgten mehrere Tage des Bürgerkrieges: Aus Gaza flogen Raketen auf Tel Aviv, die israelische Luftwaffe bombardierte palästinensische Ortschaften im Gazastreifen. Innerhalb Israels zogen jüdische und arabische Anwohner gegeneinander auf die Straße. Mit Messern, Stöcken, gelegentlich mit Schusswaffen, folgten sie der Liturgie ihres Kultes.
Versuche, sich dem Kult zu widersetzen
Doch nicht alle im Land schließen sich dem Kult an. Einige Häretiker, Juden und Araber, versuchen sich zu widersetzen. Wie vorheriges Jahr, als sie unter dem Eindruck des kurzen Bürgerkriegs es sogar geschafft haben, eine Regierung einzurichten, an der sowohl Juden als auch Araber beteiligt sind. Sie brachten Zivilprojekte auf dem Weg – vor allem für die benachteiligte arabische Bevölkerung Israels. Sie nannten es „Regierung der Veränderung“.
Schulausbau, Förderprojekte, Gewaltbekämpfung. Mehr und mehr Juden fingen an, Muslime mit Ramadan-Kareem zu begrüßen – dem traditionellen Gruß zum heiligen muslimischen Fastenmonat – während Muslime sich auf einmal eine Zukunft im israelischen Staat vorstellen konnten.
Regierung brachte eine neue Sprache
Diese Regierung hing an einer sehr knappen Mehrheit im Parlament, sie wurde von allen Seiten als Verräterregierung beschimpft. Die Probleme des Konflikts, allen voran die Besatzung Palästinas, konnte diese Regierung nicht lösen, aber sie brachte eine neue Sprache ins Land.
Die Konfliktgläubigen sahen ihren Kult gefährdet. Also zogen sie wieder nach Jerusalem. Jüdische Nationalisten, die sich nach dem Wiederaufbau des jüdischen Tempels sehnen trugen Israelfahnen durch das muslimische Viertel der Stadt, skandierten rassistische Parolen, schlugen auf arabische Passanten ein.
Jerusalem, ein heiliger Ort?
Junge Palästinenser, die alle jüdischen Verbindungen mit Jerusalem abstreiten, warfen aus der Al-Aksa-Moschee Steine auf jüdische Passanten. Die Jerusalemer Polizisten machten das, was Jerusalemer Polizisten seit dreitausend Jahren machen. Sie zogen ihre Schlagstöcke und schlossen sich dem Gewaltexzess an. Vereint in ihrem Gewaltkult, feierten Juden und Araber ihre angebliche Liebe zu Jerusalem.
Ist der Ton hier unangebracht? Sollte nicht präzisiert werden, dass es mal diese, mal jene Kultanhänger sind, die das Feuer auslösen?
Als Jerusalemer bleibt einem nur der Zynismus übrig. Und eine endlose Trauer. Man sagt, es gäbe im Herzen Jerusalems einen heiligen Ort. Ich glaube daran. Gesehen habe ich ihn aber nie.