Reisebuch

Den Massen entfliehen

Von Manuela Reichart · 03.03.2014
Auch wenn der Reisende noch so sehr die Ränder sucht, so gehört er doch zum Touristenstrom. Journalist Dirk Schümer hat ein hellsichtiges und auch lustiges Reisebuch über das Phänomen Tourismus geschrieben.
Wer will schon zur Gruppe der Massentouristen gehören? Dirk Schümer, langjähriger Kulturkorrespondent der "FAZ" in Amsterdam, Wien und Venedig, erzählt, wie er einmal "morgens gegen neun in der Hadriansvilla unweit von Rom auf eine Gruppe deutscher Touristen traf. An die fünfzig typische Bildungsreisende, Sonnenhüte, graue Anglerwesten, riesige Kamerataschen, nicht einmal die notorischen weißen Söckchen in Sandalen durften fehlen. Frisch aus dem Bus geeilt, hatte die Herde die himmlische Ruhe dieses Herbstmorgens in einer der schönsten Ausgrabungsstätten Europas in Sekundenschnelle zerstört.“
Die Leute fotografieren und reden laut, sie "schwenken ihre Kunstführer“ und versammeln sich dann, um ihrem Reiseleiter zu lauschen.
"Und der, mit einer Kennermiene, als gehöre ihm das ganze Areal, sagt die unschlagbaren Worte: 'Nun aber schnell, bevor die Massen kommen.’“
Touristen sind immer die anderen, aber der kluge Reisende weiß, dass er gleichwohl einer von ihnen ist. Auch wenn er sich auf seinen erlesenen Geschmack viel einbildet, wenn er die menschenleeren Orte sucht (und nur noch selten findet): Er gehört doch zum Touristenstrom, der für alle Regionen und Landstriche Segen und Fluch zugleich ist.
Urlaub in Pforzheim
Reisende bringen Geld zu denen, die es brauchen und zerstören gleichzeitig all das, was sie hat herkommen lassen. Falls man – empfiehlt Schümer – nach einsamen, unberührten Mittelmeer-Flecken sucht, solle man schnell nach Albanien reisen, da gebe es allerdings noch keine Restaurants oder Strandliegen. Man könne aber auch einfach zu Hause bleiben bzw. Urlaub in Wolfsburg oder Pforzheim machen. Da ist man sicher, ihnen nicht zu begegnen und nicht einer von ihnen zu sein: den Touristen.
Man liest dieses gut geschriebene Buch mit großem Vergnügen, mit Erkenntnis und freudiger Bestätigung, hat man sich doch immer schon etwa über den Hang zum teuren Skiurlaub gewundert: "Der Wintertourismus ist phänomenologisch betrachtet, die sonderbarste Völkerwanderung unserer Zeit, denn er transportiert Menschen aus recht bewohnbaren, bequemen Zonen wie der Norddeutschen Tiefebene in recht unbewohnbare, nämlich an die steilsten Abhänge des Wallis, der Dolomiten oder des Kleinwalsertales.“
Langweiliger als zu Hause
Wo dann Unfälle am laufenden Band passieren, Hubschrauberrettungsaktionen ebenso zum Alltag gehören wie Schneekanonen. Nicht nur die Berge, auch das touristisch bevölkerte Meer rückt der Autor ins Zentrum, der Strandurlaub, bei dem sich auf kleinstem Raum Menschen heftiger langweilen als zu Hause.
Es geht in diesen klugen Betrachtungen eines erfahrenen Reisenden um ekelhafte Hoteliers, um den Flugreisenden, der wie ein Galeerensträfling auf immer engeren Raum zusammen gezwängt wird, ums Handgepäck und die Frage, wie viel Kleidungsstücke man braucht und welche wirklich unerlässlich sind, ums Planen einer Reise und ums Essen in der Fremde.
Der Autor wünscht sich am Ende dieses eindrücklichen Kapitels, in dem es um Magenverstimmungen und Gastfreundschaft und nicht zuletzt um politisch korrekte oder unkorrekte Nahrungsaufnahme unter touristischen Bedingungen geht, endlich einen Sprachführer, in dem nicht die gängigen Fischsorten und Höflichkeitsphrasen aufgezählt werden, sondern man hilfreiche Redewendungen findet wie "Das war ja ein übler Fraß? Wollen Sie mich vergiften?“

Dirk Schümer: Touristen sind immer die anderen
Hanser Verlag, München 2014
240 Seiten, 17,90 Euro

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