Reihe: Auf und Apps – App-Trends 2014

Altes Vancouver und stürzende Kugeln

Luxushotel "The Empress" auf Vancouver Island in Kanada
Luxushotel auf Vancouver Island in Kanada © Imago / Travel-Stock-Image
Von Christine Watty · 23.12.2014
Wer die App "Circa 1948" öffnet, taucht ein ins Vancouver des Jahres 1948, trifft auf Kriegsveteranen, Prostituierte und Politiker. In "Globosome – Path of the Swarm" muss man kleine Kugeln durchs Gelände manövrieren und Freunde für sie finden.
"Das ist kein Spiel, das ist eine Geschichte", so hat der kanadische Künstler Stan Douglas seine App "Circa 1948" selbst beschrieben – hier muss also nichts gefunden und niemand getötet werden. Wer diese App öffnet, taucht mit ihr in die Vergangenheit ein – "circa 1948', eben; wir befinden uns in Vancouver. Zuerst die Frage: Wo soll's hingehen –in die "Hogans Alley" oder doch lieber in's "Hotel Vancouver"?
Das verlassene und etwas düstere Hotel Vancouver ist keine besonders einladende Lokalität, aber der Streifzug durch die Räume erinnert an heimliche Ausflüge als Kind: Um die Ecke schauen, stöbern, gucken, was hinter dem Tresen ist. Kann man die Treppe rauf, wie funktioniert der Fahrstuhl, was versteckt sich hinter den Säulen? Die Grafik ist Animations-Filmreif, die Details, vor allem die akustischen, beeindruckend. Denn überall wimmelt es von Geräuschen, Radio-Klängen, Zeitungsgeraschel.
Das Hotel ist völlig verlassen. Blinkt einer der Gegenstände auf und klickt man ihn an, hören wir die geisterhaften Wesen aus einer vergangenen Zeit miteinander reden.
Nutzer kann die Welt der App allein erkunden
Sowohl im Hotel als auch in der "Hogans Alley", treffen sich charaktervolle Gestalten – Kriegsveteranen, Prosituierte, Frischverheiratete, Einwanderer, Polizisten und Politiker. Ihre Gespräche erzählen womöglich die Story eines Mordes – aber es gibt keinen Anfang, kein Ende. Und in dieses "Dazwischen" wollte Stan Douglas auch. Das sei der beste Part jeder Erzählung, sagte er dem "Guardian": In der Mitte, da verstehe man, worum es geht.
Die kostenlose App, die das National Film Board of Canada produziert hat, hat es als genreübergreifende Kunstform nicht nur auf Mobiltelefone und Tablets geschafft, sondern auch schon auf das Tribeca-Filmfestival in New York. Es ist eine vor allem atmosphärische Reise in die Vergangenheit, die man mit "Circa 1948" unternimmt. Douglas' Idee, die Zeit zwischen Kriegsende und Beginn der politischen 50er-Jahre mit Kaltem Krieg und Atomkriegsbedrohung abbilden zu wollen, setzt er nicht lehrmeisterlich oder dokumentarisch um.
Er lässt uns als Nutzer seiner App die Welt allein erkunden, ohne Anleitung und Storyboard. Und spätestens, wenn man beginnt, sich im Hotel auszukennen und überlegt, wo man sich im verstaubten Frühstücksraum gerne selbst niederlassen würden - spätestens dann ist man angekommen, Vancouver, 1948, in Erwartung einer neuen Geschichte.
Die kleinen Kugeln einfach liebhaben
Viel heller und bunter wird es in einer anderen App, in "Globosome – Path of the Swarm". Die Protagonisten sind kleine Kugeln, die der Nutzer durch Kalibrieren – also Bildschirm-Hin-und-Her-Kippen, in Bewegung setzt und durch die Gegend rollen lässt.
Schmatzend und kichernd fressen sich die kleinen Kugeln durch die Natur, vermehren sich durch Teilung und juchzen, je nach Level, erfreut wenn sie zu ihrem Kugel-Schwarm zurückgelangen. Die Stimmung einer friedlichen Welt mit freundlichen sich im Wind wiegenden Gewächsen und bunten Blümchen, die die Kugeln aufisst, diese Stimmung allerdings bleibt nicht.
Der Weg des Schwarms wird härter, Kugeln geraten in Gefahr, stürzen fast von Felsen und kippeln vor Abgründen – und fordern die Geschicklichkeit des Nutzers heraus. Je schwieriger die Reise, umso klarer die Botschaft: Die Kugel braucht Freunde. Allein schafft sie es nicht, kann keine Barrieren durchbrechen. Eine liebevoll gemachte Lebensanalogie – ursprünglich als Demo entwickelt von einer Studentengruppe der Filmakademie Baden-Württemberg, nun zu einer ausnehmend schön gestalteten App herangereift.
Man kann spielen und dabei über die großen Fragen nachdenken: Einsamkeit und Gruppe, Wachstum und Ende oder gar Sinn des Lebens. Oder auch einfach nur – die kleinen Kugeln irgendwann richtig liebhaben.
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