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Software der Gefühle

Verschiedene Apps für Musikfestivals auf iPhone
Verschiedene Apps auf iPhone © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Jochen Dreier · 30.10.2014
Neue Apps eröffnen dem Kennenlernen übers Smartphone ungeahnte Möglichkeiten. Länder- oder soziale Grenzen soll es nicht mehr geben. Wie können Apps fremde Menschen einander näher bringen?
Es gibt nicht viele Szenarien, bei denen es gesellschaftlich akzeptiert ist, einfach mal einen Fremden anzusprechen. Die erste wäre nach dem Weg zu fragen – auch wenn dadurch der Eindruck entsteht, man könne nicht mit seinem Navigationsgerät oder der Karten-App umgehen. Dann wäre da noch das klassische - "ich glaube, Sie haben gerade dies oder jenes verloren". Wesentlich mehr Überwindung kostet es, jemanden anzusprechen, um ihn kennen zu lernen. Bevorzugt geschieht dies eher später am Abend und mit ein oder zwei Mut machenden Getränken intus.
Die US-amerikanische Künstlerin und Filmemacherin Miranda July möchte dies mit ihrer App "Somebody" ändern. Man meldet sich bei der Anwendung an, schreibt eine Nachricht, die an einen Bekannten übermittelt werden soll und dann sucht die App einen anderen Nutzer in der Nähe dieser Person, der ihm dann diese Nachricht sagt... Eine ziemlich konstruierte Situation. In einem Kurzfilm zur App überbringt jemand auf diese Weise sogar, einen Heiratsantrag...
Noch gibt es mehr Medienberichte als Nutzer der App. Einerseits, weil es wohl trotzdem schwierig ist, die bestimmte Zielperson zwischen lauter Fremden zu finden, aber wohl auch, weil es dennoch seltsam anmutet, Nachrichten von Fremden zu übermitteln. Miranda July sieht das Ganze auch mehr als soziales Experiment, als eine neue Messaging-App.
Miranda July: "Es geht mir gar nicht um schlichte Kommunikation, dafür haben wir viele gute Wege, es geht um diesen seltsamen Moment, den es so normalerweise nicht geben würde..."
Zum Beispiel könnte ein Fremder der morgendliche Wecker sein – zumindest seit es die App "Wakie" gibt. Das Prinzip ist simpel und deshalb so genial. Die App teilt die User in zwei Gruppen auf – Wakies und Sleepyheads. Die einen sind wach, die anderen möchten geweckt werden. Ist man wach, schaut man, ob jemand geweckt werden will und wird mit dieser Person per Anruf verbunden - kostenfrei irgendwo auf der Welt. Geht die Person ans Telefon ist eine Minute Zeit die Person zu wecken und ein kurzes Gespräch mit ihr zu führen. Andersherum kann man eine Weckzeit einstellen und sich wecken lassen – von einem fremden, in einer vermutlich anderen Zeitzone.
Übrigens: Falls mal niemand zur Hand ist, der einen weckt, dann ruft die App trotzdem automatisch an und spielt eine aufgezeichnete Nachricht ab...
Die Idee kam dem russischen Entwickler Hrachik Adjamian, weil er feststellte, dass er schneller wach wird, wenn jemand anruft – und bei fremden Personen sogar noch schneller. In Russland ist die App unter dem Namen Budist schon seit längerem auf dem Markt und hat dort 1,5 Millionen Nutzer.
Man bekommt einen Lebenseindruck vom Anderen
Eine Minute mit einem Fremden verbunden sein und das vielleicht gerade beim Aufwachen – eine tiefere Verbindung wird so wohl nicht entstehen. Entwickler am MIT Media Lab geben zwei Menschen zumindest 20 Tage dafür Zeit. "20 Day Stranger" nennen sie ihre App, die sich momentan noch in der Testphase befindet. Hier werden zwei Menschen über ihre Smartphones verbunden. All die Daten, die unsere mobilen Geräte aufzeichnen, werden von der App für die andere Person aufbereitet. Es wird einem gesagt, wann der Wecker losgeht, wie weit man geht oder fährt und Bilder aus Google Street View aus der Nachbarschaft gezeigt. Die Anonymität bleibt gewahrt, doch es soll ein Lebenseindruck des anderen entstehen.
Es werden möglichst Menschen verbunden, die sonst eben nicht im Bekanntenkreis auftauchen würden. So weit weg wie möglich, und möglichst auch auf einem komplett anderem sozialen Level, so Kevin Slavin, Professor am MIT und Chefentwickler der Anwendung.
Kevin Slavin: "Es geht nicht darum dich mit jemandem zu verbinden, den du kennen könntest, sondern mit jemandem, den du vermutlich nie kennen lernen würdest."
Am Ende dieser 20-tägigen Reise mit einem Fremden, gibt es genau eine Nachricht, die man der anderen Person schreiben kann. Eine andere Möglichkeit der Kommunikation gibt es nicht...
All diese Apps, die versuchen auf unterschiedlichste Art fremde Menschen zusammenzubringen, versuchen alle eine Antwort auf eine Frage zu finden:
Slavin: "Kann es sein, dass unsere technischen Möglichkeiten den Rest der Welt sogar unsichtbarer macht. Die Frage ist doch: Können wir eine Software entwickeln, die es schafft, dass wir etwas für Menschen fühlen, die wir nicht kennen, die nicht unsere Freunde sind, eine Verbindung aufbauen zu denen, die am wenigsten so sind wie wir?"
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