Raphaela Edelbauer über "Das flüssige Land"

"Ein kollektiv geträumter Albtraum"

09:06 Minuten
Der Blick fällt auf einen See, dessen blaue Tiefen von einer Bergkette umgeben sind.
Parabel auf den Heimatkitsch in Österreich: Raphaela Edelbauers "Das flüssige Land". © Unsplash/ Paul Gilmore
Moderation: Andrea Gerk · 10.09.2019
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Raphaela Edelbauers Erstlingswerk "Das flüssige Land" hat stark surreale Züge. So geht es um einen Ort, der von einer seltsamen Gräfin beherrscht wird und in einem Loch versinkt. Inspirationsquelle der Autorin: die österreichische Antiheimat-Literatur.
Andrea Gerk: Für den deutschen und den österreichischen Buchpreis ist der Roman "Das flüssige Land" nominiert. Geschrieben hat ihn die junge Schriftstellerin Raphaela Edelbauer, 1990 in Wien geboren, in Niederösterreich aufgewachsen, also in der Provinz, wo auch ihr Debütroman spielt.
Der führt nämlich in eine bizarre Kleinstadt, Groß-Einland heißt der Ort, in den es die Physikerin Ruth Schwarz verschlägt. Es ist die Heimat ihrer verstorbenen Eltern, und über diesen Ort wollen wir jetzt unbedingt mehr erfahren von Raphaela Edelbauer, die mir in einem Studio in Wien zugeschaltet ist.
Erst mal müssen wir, glaube ich, den Menschen, die uns zuhören, das Szenario Ihres Romans vorstellen. Am Anfang, ich habe es gesagt, kommen die Eltern der Erzählerin bei einem Verkehrsunfall um. Und da sie verfügt haben, in Groß-Einland begraben zu werden, macht sich Ruth auf die Suche. Erst scheint es ja gar nicht möglich zu sein, diesen Ort zu finden, aber dann ist sie da. Möchten Sie jetzt weitererzählen, was sie da vorfindet, was das für ein Ort ist?
Edelbauer: Es ist sehr schwierig, das in ein paar Sätzen zusammenzufassen.
Gerk: Wir können es ja zusammen versuchen.

Ein surrealer Ort mit feudalen Strukturen

Edelbauer: Ja, es ist ein relativ surrealer Ort, der in mehrfacher Hinsicht den normalen Gesetzmäßigkeiten einer Gemeinde zuwiderzulaufen scheint. Es geht darum, dass wir hier mit feudalen Strukturen konfrontiert werden, die sich irgendwie über die Jahrhunderte erhalten haben. Das heißt, es gibt eine Gräfin. Dazu muss man sagen, dass in Österreich ja seit geraumer Zeit der Adel strengstens abgeschafft wurde. Sowas sollte es eigentlich überhaupt nicht geben.
Dieser Ort befindet sich auf dem Privatgrundstück eines Grafenpaars, wobei immer nur die Gräfin auftritt. Unter dem Ort befindet sich - ich glaube, das ist die zentrale Metapher - ein riesiges Loch, in das die gesamte Gemeinde einzustürzen droht. Das heißt, es gibt Einsenkungen, die die gesamten historischen Gebäude entstellen, die den Hauptplatz parabelartig nach unten einsinken lassen und andere seltsame Dinge, mit denen sie konfrontiert wird.
Gerk: Sie beschreiben das als eine Art mittelalterlichen Marktplatz da, die Leute gehen immer ins selbe Wirtshaus, sie haben auch sowas Klischeehaftes, so wird das auch genannt. Also ich musste sofort, als ich ein bisschen mehr gelesen hatte, an Kafka denken, an "Das Schloss" auf diesem Hügel.
Edelbauer: Ja.
Das Bild zeigt die die österreichische Schriftstellerin Raphaela Edelbauer, die vor einer dunklen Holzwand sitzt.
Ist im Surrealen zuhause: die österreichische Schriftstellerin Raphaela Edelbauer.© dpa / picture alliance / APA / picturedesk.com / Helmut Fohringer
Gerk: Der Hohlraum unter diesem Ort, war das so eine Inspirationsquelle auch für Sie?
Edelbauer: Das sagen mir relativ viele Leser, aber das war tatsächlich keine Inspiration für mich. Tatsächlich habe ich mich mehr an der österreichischen Antiheimatliteratur orientiert. Ein ganz wichtiger Bezugspunkt war von Hans Lebert "Die Wolfshaut" beispielsweise.

Die Vergangenheit bricht aus dem Untergrund hervor

Gerk: Ja, da musste ich auch dran denken.
Edelbauer: Ein Buch, das leider schon seit sehr langer Zeit vergriffen ist. Ich weiß gar nicht, ob jetzt diese Neuauflage noch erhältlich ist. Ganz großartiges Buch, wo es darum geht, dass quasi die österreichische Vergangenheit aus dem Untergrund wieder hervorbricht.
Auf eine etwas andere Art und Weise als bei mir, aber diese gesamten Naturgewalten, die sozusagen das Erdreich auswaschen und diese Sedimente der verdrängten Historie wieder ans Tageslicht schwemmen, das war eigentlich beispielsweise ein Zentralpunkt, an dem ich mich da orientiert habe, aber Kafka liegt natürlich auch sehr nahe.
Gerk: Aber diese Antiheimatliteratur in Österreich, die hat ja schon so ihre Geschichte auch. Was hat Sie als doch sehr viel jüngere Autorin daran gereizt, sich auch noch mal in dieses urösterreichische Thema der Verdrängung und des Wegschiebens und dass man ja eigentlich in der Gesellschaft wirklich über so einem Hohlraum des Verdrängten lebt, was hat Sie daran gereizt, sich als so junge Autorin da reinzuknien?

Alte Sprachmuster und Themen sind plötzlich wieder da

Edelbauer: Na ja, also ich glaube, dass ich das Dauerbrennerthema Nationalsozialismus noch mal von einer anderen Seite her angeschaut habe, nämlich auf der einen Seite daher, dass wir ja jetzt momentan politisch mit Sprachmustern und mit Thematiken konfrontiert werden, von denen wir geglaubt haben, dass sie eigentlich schon längst gegessen sind. Auf eine Art und Weise, die einen bemerken lässt, es ist überhaupt nicht in der Vergangenheit, sondern es wird immer wieder aufgegriffen.
Es handelt sich um sehr, sehr tief eingewachsene Aspekte der österreichischen und natürlich auch deutschen Identität, die da wieder hervorgeholt werden. Auf der anderen Seite ging es mir um den insbesondere in Österreich überlebten Heimatkitsch quasi, aber mir wurde vor Kurzem gesagt, dass es auch in Deutschland durchaus solche Tendenzen gegeben hat in den 50er-Jahren, die die Landschaft sozusagen als das Unbefleckte, als das Unschuldige herausholen als Galionsfigur dessen, worauf wir ja doch stolz sein dürfen.

Das Wesen der Zeit

Gerk: Ja, und dieser Heimatbegriff, der wird ja auch von den unterschiedlichsten Seiten wieder vereinnahmt. Was ich ganz schön fand, was Sie gerade gesagt haben, dass das ja auch gegenwärtig ist, und darum geht es ja auch in Ihrem Roman ganz stark, um das Wesen der Zeit, um das Zusammenfallen von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft. Das ist auch eine Zeitreise. Ruth ist Physikerin, die auch über das Wesen der Zeit in ihrer Habil-Schrift arbeitet. Woher haben Sie denn all dieses physikalische Wissen, was da in Ihrem Roman vorkommt? Das ist für mich ja eher ein Angstfach, Physik, aber Sie scheinen sich da ganz wohlzufühlen.
Edelbauer: Auf der einen Seite bin ich naturwissenschaftlich sehr interessiert, ich habe sehr viel mit meinem Vater in meiner Kindheit darüber diskutiert, der ein sehr großes physikalisches Wissen hat, obwohl er Philosoph ist. Ich habe mich einfach eingelesen. Ich glaube, Theorien der Zeit, das ist was Fächerübergreifendes, das kulturwissenschaftlich eigentlich für jede Sparte relevant ist. Und natürlich recherchiert man als Schriftstellerin auch ein bisschen, zu einem gewissen Grad.
Gerk: Jetzt findet Ihre Hauptfigur Ruth Schwarz in dem Ort dann ein Haus und kauft das sofort. Das Geld kommt auch auf dubiose Art sofort von der Gräfin. Es ist alles ohnehin völlig undurchschaubar, wie da Abhängigkeiten und Verpflichtungen geschaffen werden. Weil ihr das Haus so total entspricht, wird sie dort auch heimisch. Und dann heißt es, das Haus sieht aus, als hätte jemand in ihren Kopf geschaut und nach den Patenten ihrer Sehnsüchte eine Schablone gefertigt. Da habe ich gedacht, vielleicht ist das Ganze ja auch ohnehin ein Traum oder ein Ausflug in die Psychiatrie, weil da wird auch ordentlich an Tabletten was weggeschluckt in Ihrem Buch. Kann das sein, dass das alles nur ein Albtraum ist?
Edelbauer: Ja, es ist ein Albtraum, aber es ist ein kollektiv geträumter. Nein, das wäre eine Ausflucht. Also, ich glaube, diese grauenhaften Machwerke, wo dann am Schluss jemand einfach aus seinem Traum aufwacht, und alles war eh nicht wahr, das würden wir uns alle wünschen für die Geschichte, aber so ist es leider nicht.

"Natürlich ist Ruth eine unzuverlässige Erzählerin"

Gerk: Aber es ist schön, wie Sie das in der Schwebe halten die ganze Zeit, dass es so vieldeutig ist und so vieles sein kann einfach, Ihr Buch.
Edelbauer: Ja.
Gerk: Würden Sie sagen, es hat was von einer Parabel?
Edelbauer: Um noch mal auf Ihre Folgefrage zurückzukommen, natürlich ist Ruth eine unzuverlässige Erzählerin. Das ist, glaube ich, ganz klar, und das ist eine Technik in der Literatur, die mich sehr interessiert, weil natürlich diese äußerst künstliche Erste-Person-Perspektive, wo jemand aus seinem Gedächtnis, das ja äußerst fehleranfällig ist, ganze Jahrzehnte detailgetreu rekonstruiert, das interessiert mich natürlich sehr, vor allem in diesem Themenkomplex von erzählter Geschichte, die ja immer verfälscht ist von der Wahrnehmung der Personen.
Noch mal bezüglich meiner Inspiration, natürlich sind wir jetzt die erste Generation, wo die Zeitzeugen des Nationalsozialismus komplett weggestorben sind. Das heißt, wir sind auf Erzählungen aus dritter Hand zurückgeworfen. Da ist immer sehr, sehr relevant, wer diese Erzählungen uns übermittelt und wie die dadurch verfälscht, verfremdet, durch welche Brechlinsen die gehen. Also diesbezüglich, glaube ich, hat mich auch dieses Tablettenthema sehr interessiert. Ob es eine Parabel ist, ja, natürlich.
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