"Einer flog übers Kuckucksnest" am RambaZamba-Theater

Verrückt fürs Publikum

05:37 Minuten
Ein Schauspieler in blauer Jeansjacke und dunklem T-Shirt balanciert auf einem Bein und rudert mit den Armen. Es ist ein Schauspieler der Theatergruppe RambaZamba in Berlin.
Alles irre - oder was? In "Einer flog über das Kuckucksnest", das im RambaZamba-Theater in Berlin Premiere feiert, geht es um Selbstbestimmung und Rebellion in einer psychiatrischen Einrichtung. © Andi Weiland
Von Gert Brendel · 15.10.2022
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"Wer ist hier irre?", fragt Jack Nicholson, als er in die Psychatrie eingeliefert wird. Das Berliner RambaZamba-Theater geht der Frage in dem Stück "Einer flog übers Kuckucksnest" nach, die Regie führt Leander Haußmann.
"Einer flog über das Kuckucksnest" zählt zu den Klassikern der Filmgeschichte. Unvergessen: Jack Nicholson, der sich als Psychatriepatient gegen eine sadistische Krankenschwester wehrt und mit seinen Mitpatienten den Aufstand probt.
Der  Film fragt danach, wer als „normal“ und wer als „verrückt“ gilt. Knapp 30 Jahre später bringt das Berliner RambaZamba-Theater den Stoff unter der Regie von Leander Haußmann auf die Bühne, gespielt von Schauspieler*innen mit und ohne Behinderung. Gerd Brendel besuchte die Proben und findet: Die Fragen von damals sind aktueller denn je .

Zahnräder in den Bäuchen, Gehirne aus Stein

Auf der Bühne des RambaZamba Theaters in Berlin Prenzlauer Berg, wo seit 30 Jahren Schauspieler*innen mit und ohne Behinderung spielen – und jetzt zum ersten Mal unter der Regie von Leander Haußmann: "Ich hab meinen Eltern auch gesagt: Ich muss unter Leander arbeiten, weil er symbolisiert die hohe Schule des Theaters", sagt Sebastian Urbanski, der mindestens genau so viel Theatererfahrung mitbringt wie Haußmann, anerkennend. Und was sagt der Regisseur?

Wir haben hier ein Theater, wo wir gelernt haben, wo alle ihre verschiedenen Stärken einbringen und sich mit ihren Schwächen ergänzen. Wie so ein Puzzle-Stein.

Das Ensemble von "Einer flog übers Kuckucksnest" steht unter den Stützfeilern einer Hochbahn in Berlin.
© Phillip Zwanzig

Regisseur Leander Haußmann

Das langjährige Ensemble-Mitglied Christian Bernhard spielt Chief-Häuptling Bromden. In der legendären Schlussszene des Films bricht er als einziger aus der Nervenheilanstalt aus. Hier auf der Bühne gehören ihm die letzten Worte:
"Wir haben Zahnräder in unseren Bäuchen, Gehirne aus Stein."

"Das ist ja im Grunde der Tod des Theaters"

Leander Haußmann könnte sich keine bessere Besetzung vorstellen: "Wenn wir uns den Schauspieler, den Christian, anschauen, dann hat er eine Stärke, die ich bei kaum einem Schauspieler gefunden habe und das ist seine unglaubliche Ausdauer. Eer steht den ganzen Tag, er ist so tief in seiner Rolle drin. Die Stärke besteht darin, dass eine große Freude und Offenheit bei den Proben herrscht. Dass es gar keine Angst gibt, ausschließlich die Freude, zu spielen."
Eine Freude, die Haußmann bei der Arbeit mit sogenannten normalen Ensembles vermisst. Alle bei RambaZamba haben zwar langjährige Bühnenerfahrung, dennoch:
"Das sind alte Hasen, die immer wieder so rangehen, als hätten sie noch nie Theater gespielt", sagt Haußmann. "Das wünschte ich mir da draußen – am Thalia, am deutschen Theater, Leuten zu begegnen, die nicht dauernd zu dir sagen: Wir sind Profis – wir wissen, was wir tun. Das ist ja im Grunde der Tod des Theaters."

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Hier drinnen auf der RambaZamba-Bühne ist das Theater an diesem Probennachmittag sehr lebendig, besonders die Szene, in der die Patienten betrunken von einem Ausflug zurück auf die Station torkeln. Mittendrin Sebastian Urbanski. Warum er Theater spielt?
"Weil mir das Spaß macht, auf der Bühne zu stehen, auch zu sehen, wie das Publikum reagiert. Und mir macht es auch Spaß, wie sich die Bühnenbilder verändern, mal steht da eine Hauswand, und mal ist es eine Irrenanstalt, das verwandelt sich ständig."

Modeboutique statt Angelausflug

Und warum ausgerechnet "Einer flog über das Kuckucksnest"?
"Wir sind ja mitten in einer Diskussion über Inklusion", sagt Regisseur Haußmann. "Die Hardliner würden sagen: Ein Nicht-Schwuler darf keinen Schwulen mehr spielen, ein Nicht-Verrückter darf im Grunde auch keinen Verrückten spielen – ja, seien wir ehrlich – viele hier gelten als verrückt.
Im Gegensatz zur legendären Besetzung des Films mit Danny deVito, dessen Rolle von Sebastian Urbanski gespielt wird, und Jack Nicholson in der Hauptrolle. Immer wieder werden ihre Szenen auf die Bühnenwand projiziert. Auch der Ausflug der Patienten fehlt nicht als Video-Einspiel. In Berlin fahren die allerdings nicht zum Angeln wie im Film, sondern stürmen eine Modeboutique in der Nachbarschaft, angeführt vom Ensemble-Mitglied Jonas Zippel.
"Wir haben den Jack Nicholson hier und den Jonas Zippel, und der wird dagegen gesetzt – und jeder hat seine Vorteile und Nachteile", sagt Leander Haußmann. "Jack Nicholson hat sein method acting, und Jonas hat das nicht, aber seine starke Persönlichkeit."
Genauso wie Sebastian Urbanski oder Christian Bernhard als Chief Bromden. Sie führen die Frage, wer wen auf der Bühne spielen darf, ad absurdum.

„Einer flog über das Kuckucksnest“ ist die erste Inszenierung von Leander Haußmann am RambaZamba-Theater. Er arbeitete unter anderem am Thalia-Theater Hamburg, dem Burgtheater Wien, dem Berliner Ensemble und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Von 1995 bis 2000 war Leander Haußmann Intendant des Schauspielhauses Bochum.

Online-Bearbeitung: ros
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