Rachel Cusk und die Kunst

Der Trost der Bilder

29:50 Minuten
Rachel Cusk steht vor Palmen und blickt glücklich nach oben.
Erleichtert, sich außerhalb der Sprache zu bewegen: die Schriftstellerin Rachel Cusk. © Imago / Agencia EFE / Marta Perez
Von Thomas David · 18.11.2022
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Rachel Cusk ist fasziniert davon, wie offen wir Bilder betrachten. Die britische Schriftstellerin möchte diese Wahrnehmung in der Sprache nachbilden. "Quarry" heißt ihr Essay darüber. Die Bilder dazu stammen von ihrem Ehemann.
In dem noch nicht ins Deutsche übersetzten Essay "Quarry" (2021) erzählt Rachel Cusk von einer Reise nach Griechenland, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Maler Siemon Scamell-Katz, unternahm. Es ist eine Reise in die der Sprache abgewandte Seite der Wahrnehmung.

In die Sprache übersetzen

Die britische Schriftstellerin sehnt sich nach einem Zugang zu diesem Bereich.

"Was mich ein Bild lehrt, wie ich von ihm getröstet oder angesprochen werde, der spirituelle Akt der Aufmerksamkeit, den man beim Erschaffen, aber auch beim Betrachten eines Kunstwerks vollzieht: All dies scheint mir ein sehr viel dauerhafteres Phänomen zu sein als das, was Sprache leisten kann. In den letzten Jahren habe ich mich beim Betrachten von Kunst daher immer öfter gefragt: Wie kann ich das mit Sprache machen? Kann man es mit Sprache erreichen? Kann man dieses Gefühl der Objektivität, der uneigennützigen Aufmerksamkeit, die man einem Kunstwerk schenkt, reproduzieren, ohne dass das Gehirn die konditionierten Denkmuster herbeifantasieren muss? Ich sehne mich zunehmend danach, das völlig andere Verhältnis, das ein Bild zur Zeit unterhält, in der Sprache zu durchdringen und zu verstehen."

Rachel Cusk

Muse, nicht Künstlerin

Die Fähigkeit zur Offenheit auch für Schwebezustände, für Unsicherheiten und Zweifel hat die scharfsinnige und kompromisslose Schriftstellerin schon in früheren Büchern bewiesen.
Der Roman "Der andere Ort" (2021) erzählt von einer Schriftstellerin, die einen berühmten Maler einlädt, sie an der englischen Küste zu besuchen. Die ältere Frau erhofft sich vom Künstler Austausch und Anerkennung und wird von dem Egozentriker fortwährend missachtet und gedemütigt.
Die problematische weibliche Erfahrung in einer patriarchalen Gesellschaft verschränkt sich im Roman mit ästhetischen Fragen, wie sie Cusk auch in Essays über Louise Bourgeois oder die lange nur als Muse Lucian Freuds bekannte Celia Paul gestellt hat.

Leerstelle Frau

Auch in der Trilogie "Outline" (2014-2018) ist die Suche nach einer anderen, in der bildenden Kunst verorteten Erfahrung bereits präsent: Die Schriftstellerin Faye durchlebt nach der Scheidung eine Identitäts- und Schaffenskrise. Sie ist eine Leerstelle im Zentrum der Romane und nimmt erst in den Gesprächen mit anderen allmählich Konturen an.

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Cusk verzichtet auf eine identitätsstiftende, von persönlicher Erfahrung und subjektiver Erinnerung geprägte Ich-Erzählung, sie verweigert die Story und bricht mit den Konventionen des Romans.

"Müde alte Sprachökonomie"

Rachel Cusks Ehemann Siemon Scamell-Katz ist Maler, und seine auf der gemeinsamen Griechenlandreise entstandenen Gemälde sind in "Quarry" abgebildet. Es ist ein Doppelessay, der in Sprache und Farbe, Wort und Bild Wahrnehmungen und Gedanken formuliert.
Reproduktion eines Gemäldes: eine changierende Farbfläche in braun und altrosa.
Gemälde von Scamell-Katz© Siemon Scamell-Katz / Foto: Anna Arca
Beim Besuch des Künsterehepaares in Paris sieht Feature-Autor Thomas David an der Wand hinter Cusk eines der im Essay enthaltenen Gemälde von Scamell-Katz. Es ist etwa ein Meter zwanzig auf ein Meter zwanzig groß und von einer erdenen, aus Braun- und Ockertönen bestehenden Farbigkeit – ein tiefes, irgendwie wolkiges oder gleichsam von Nebel verhangenes Farbfeld, in dem das Auge die vagen Schemen einer Figur wahrzunehmen meint, die sich bei näherer Betrachtung jedoch verflüchtigen.
Siemon Scamall-Katz führt David durch sein Atelier und zeigt ihm Bilder, von denen Rachel Cusk sagt:

"Wenn ich mir diese Dinge ansehe, Bilder, erschaffene Objekte, empfinde ich zunehmend Erleichterung darüber, mich außerhalb der Sprache zu bewegen. Darüber, dass Sprache irrelevant ist. Diese nichtsprachliche Erfahrung ist derzeit das einzige, das mich als Schriftstellerin interessiert. Kann ich etwas darüber sagen? Kann ich etwas darüber in dieser müden alten Sprachökonomie ausdrücken?"

Rachel Cusk

(pla)

Das Manuskript der Sendung können Sie hier herunterladen.

Es sprechen: Thomas Vogt, Cristin König, Stefan Gossler, Barbara Becker und Robert Levin
Ton: Sonja Maronde
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Redaktion: Jörg Plath

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