Rachel Cusk: "Danach. Über Ehe und Trennung"

Zum Teufel mit der Scheinheiligkeit

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Das Buchcover von "Danach. Über Ehe und Trennung" von Rachel Cusk.
Als ihr Buch "Danach" 2012 im Original erschien, wurde die Autorin Rachel Cusk dafür öffentlich angefeindet. © Suhrkamp/Deutschlandradio
Von Claudia Kramatscheck · 16.05.2020
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Was genau passiert, wenn eine Ehe kollabiert? Wenn man nicht mehr die Hälfte eines Paares ist, sondern nur noch man selbst? Die britische Schriftstellerin Rachel Cusk hat die eigene Trennung in einem Buch verarbeitet – und stellt sich schmerzhafte Fragen.
Es ist der Stoff, aus dem das Kino seine besten Filme bezieht: Eine Ehe zerbricht. Was folgt, ist ein Schlachtplatz der Emotionen, den nur gnädige Geister euphemistisch als Rosenkrieg bezeichnen. Gütliche Trennungen, allemal wo Kinder mit im Spiel sind, dürften bis heute in der Minderzahl sein. Die meisten Paare mutieren zu erbitterten Kontrahenten und bekämpfen sich aufs Schärfste.
Auch Rachel Cusk, der neue Star der amerikanischen Gegenwartsliteratur, musste das am eigenen Leib erfahren – und hat darüber schon 2012 ein Buch geschrieben, das nun unter dem Titel "Danach" endlich auch auf Deutsch vorliegt.

Das widersprüchliche Bedürfnis nach Sicherheit und Freiheit

Der Titel ist programmatisch. Denn Cusk, die sich hierzulande spätestens 2019 mit einem autobiografischen Essay über das Kinderkriegen und Mutterwerden einen Namen gemacht hat, liefert in "Danach" keine schlichte Chronik ihrer eigenen Trennung. Ausgehend vom Scheitern der eigenen Ehe, reflektiert Cusk vielmehr in grundsätzlicher Weise über jene Themen, die von Anfang an im Zentrum ihres schriftstellerischen Werkes stehen: die Suche nach (weiblicher) Identität, die Frage nach der Erzählbarkeit des eigenen Lebens, das widersprüchliche Bedürfnis nach Sicherheit und Freiheit zugleich.
Das klingt nach kommoden Themen. Doch Cusk schreibt schon in diesem frühen Band mit analytischer Schärfe und vehementer Offenheit zugleich. Die Kinder reklamiert sie für sich – und wundert sich, wo diese archaische Ketzerei sich all die Jahre in ihrer vermeintlich gleichberechtigten Ehe versteckt hat.
Porträt der kanadischen Autorin Rachel Cusk.
Rachel Cusk© Getty/Ulf Andersen
In einem bewusst fragmentarisch angelegten Mix aus Autobiografie und Meta-Reflexion begibt sie sich auf Spurensuche: befragt das überkommende Rollenbild ihrer Mutter; trauert um die eigene verleugnete Weiblichkeit; ahnt, dass ihre lang gehegte Emanzipation als Schriftstellerin mit einem Mann, der ihr zuliebe auf den Beruf verzichtet hat, am Ende womöglich nur eine Art beidseitiger Crossdressing war.
Denn noch immer, so resümiert Cusk, ist es die berufstätige Mutter, die Verrat am Gründungsmythos der Zivilisation begeht.

Zurück zu sich selbst – zur Not mit Gewalt

Cusk greift nicht zuletzt deshalb in "Danach" auf die griechischen Dramen zurück. Mit erfrischender Kühnheit, die sich um political correctness keinen Deut schert, postuliert sie das menschliche Bedürfnis nach Krieg und beklagt die Verpaarung der Gesellschaft. Sie ruft: Zum Teufel mit der Scheinheiligkeit der Heiligen Familie. Und erhebt zu ihrem role model die mit Blut befleckte Klytaimnestra, die einzig durch einen Akt der gewaltsamen Trennung die rettende Integrität zurückgewinnen kann.
Es ist dieser Moment, in dem das Danach und der Auftakt für das Neue in eins fallen, den Cusk zelebriert.
Als "Danach" 2012 im Original erschien, wurde Cusk dafür öffentlich angefeindet, vor allem von Frauen, und mutierte zur meistgehassten Autorin. Fortan mutierte auch ihr Stil: Das Autobiografische war nun darin präsent und verborgen zugleich. "Danach. Über Ehe und Trennung", erneut in der gelungenen Übertragung von Eva Bonné, bietet insofern doppeltes Lesevergnügen: hochaktuelle Lektüre und den Schlüssel zum Werk einer großartigen Autorin.

Rachel Cusk: "Danach. Über Ehe und Trennung". Essay
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
187 Seiten, 22 Euro

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