Rachel Cusk: "Der andere Ort"

Ausflug in ein erotisch vermintes Gelände

06:15 Minuten
Buchcover "Der andere Ort" von Rachel Cusk
© Suhrkamp Verlag

Rachel Cusk

Eva Bonné

Der andere OrtSuhrkamp , Berlin 2021

205 Seiten

23,00 Euro

Von Verena Auffermann · 24.11.2021
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Sie sucht seine Nähe – obwohl er ihr Selbstbild ins Wanken bringt. Die Icherzählerin in Rachel Cusks neuem Roman ist 50 Jahre alt und zufrieden verheiratet, als ein berühmter Maler in ihr Leben tritt. Er hinterlässt Spuren.
Rachel Cusk ist eine radikale und schonungslos ihr eigenes Ich reflektierende Autorin. Seit ihren beiden frühen Büchern „Lebenswerk“ und „Danach“ wird sie von den einen verehrt, von anderen angefeindet – und dabei gründlich missverstanden.
Ihre Analyse des Frau- und Mutterseins wurde als Attacke auf die Weiblichkeit gedeutet. Dabei gibt es wenige Autorinnen, die Realität und Illusion präziser auseinanderhalten und erhellender analysieren können.

Icherzählerin ist gealtert

Im Roman „Der andere Ort“ beschreibt sich die Icherzählerin nun als reife, in einer zweiten Ehe zufriedene Mutter einer erwachsenen Tochter. Sie lebt an einem abgelegenen Ort an der Küste Englands. In ihr einfaches selbstgenügsames Leben tritt der einst gefeierte Maler L., der Erzählerin als Person nur flüchtig, durch sein Werk aber eindrücklich bekannt.

"Vielleicht weiß ich nicht, wie ich eine Frau sein kann. Niemand hat es mir gezeigt."

Die Erzählerin in „Der andere Ort“

L. ist der egozentrische Künstler, der in Begleitung einer jungen Frau ein Nachbarhaus bezieht und durch seine Anwesenheit die Gedanken der Erzählerin besetzt und sie zwingt, ihr Leben neu zu betrachten.

Selbstbild und innere Wirklichkeit überprüfen

L.s Gegenwart durchbricht die selbst verordnete Ruhe. Die Icherzählerin prüft ihr Selbstbild, befragt ihre innere Wirklichkeit und gerät durch die dreiste Zurückweisung des Malers an die Grenzen ihres Selbst. „Vielleicht“, denkt sie, „weiß ich nicht, wie ich eine Frau sein kann. Niemand hat es mir gezeigt.“
Die Monate der Nachbarschaft enden mit einem Herzinfarkt des Malers und einer Krise ihrer eigenen Ehe.

Komplexität von Anziehung und Erotik

Der gedankenreiche Künstlerroman über die Magie des Malers L. offenbart die Verstörung durch einen Eindringling. „Der andere Ort“ ist ein Ausflug in ein erotisch vermintes Gelände, nicht vom Sex ist die Rede, sondern von komplexer Anziehung und Selbstsucht.
Rachel Cusks „Der andere Ort“ ist das erbarmungslos intelligente Porträt des Älterwerdens in einer flachen, vom Meer umgebenen Natur.

"Ich grabe und grabe"

„Ich möchte zur Wahrheit einer Sache durchdringen, ich grabe und grabe, bis ich sie unter Schmerzen ans Licht gezogen habe.“ Dieser Satz umschließt den Kern der Cusk‘schen Literatur.
„Der andere Ort“ ist ein Purgatorium. Das bisherige Leben steht auf dem Prüfstand. Fast wäre kein Stein auf dem anderen geblieben. Ein neues Stück psychologischer Tabula rasa im Werk der Aufklärerin Rachel Cusk. Raffiniert komponiert und eine versteckte Hommage an den von der Autorin verehrten englischen Schriftsteller D.H. Lawrence.

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