Deutsche Rabbinerin Stein Kokin

Zwischen Pandemie und Terrorangst

05:51 Minuten
Eine siebenarmige schwarze Menorah steht vor einer weißen Wand.
Wachsende Ängste vor antisemitischen Anschlägen und die Nachwirkungen der Pandemie erschweren das jüdische Gemeindeleben. © Unsplash / Victoria Strukovskaya
Von Rebecca Hillauer  · 03.02.2023
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Die Sicherheitslage für jüdische Gemeinden hat sich auch in den USA deutlich verschlechtert. Anemone Nitzan Stein Kokin spürt das deutlich. Die gebürtige Karlsruherin leitet die konservativ-liberale Masorti-Gemeinde Beth El in Phoenix, Arizona.
„Also unsere Synagoge hier ist eine der ältesten Synagogen in Phoenix. Das ist die kleine Kapelle.“
Rabbinerin Anemone Nitzan Stein Kokin führt durch die Synagoge ihrer Beth El Congregation in Arizona. Die Gemeinde wurde vor fast 100 Jahren gegründet.
„Und dieses Gebäude wurde in den 60er-Jahren gebaut. Nördlich von hier waren nur noch Orangenplantagen. Das war hier schon ein Zentrum für die jüdische Kultur.“

Große jüdische Gemeinde

Das jüdische Gemeindezentrum ist inzwischen wegen der rasant steigenden Mietpreise in einen anderen Stadtteil umgezogen. Phoenix ist eine der am schnellsten wachsenden Städte in den USA. Sie beherbergt die fünftgrößte jüdische Gemeinde im Land und die zweitgrößte Anzahl bucharischer Juden, das sind Juden aus Zentralasien. In der Gemeinde der deutschen Rabbinerin sind jedoch fast ausschließlich aschkenasische Juden.
In Karlsruhe aufgewachsen, konvertierte die damalige Protestantin 1999 zum Judentum. 2017 absolvierte sie als Erste das konservative Rabbiner-Seminar des Zacharias Frankel Colleges in Potsdam. In Phoenix sieht Stein Kokin sich in vielerlei Hinsicht als Brückenbauerin. Etwa, indem sie ihren deutschen Hintergrund dazu nutzt, den Mitgliedern ihrer amerikanischen Gemeinde Europa und Israel ein Stück näher zu bringen.

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„Vor zwei Jahren im Winter 2020, kurz vor der Pandemie, am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hatten wir hier das italienische Konsulat zusammen mit einem Überlebenden von der Schoah, der ursprünglich in Leipzig geboren war und dann in Italien als Jugendlicher versteckt überlebt hat. Haben wir hier eine große Gedenkfeier gehabt, wo er von seiner Kindheit und seinem Überleben erzählt hat. Das sind diese Kleinigkeiten, wo die Kontinente so ein bisschen mehr zusammenrücken.“
Das konkrete Zusammenrücken in der Kongregation ist hingegen zunehmend ein Problem geworden. Nicht nur wegen Corona, sagt die Rabbinerin.

Angst vor antisemitischen Anschlägen

Viele hätten auch Angst vor einem antisemitischen Anschlag. Erst im Januar 2022 nahm ein radikaler Muslim Geiseln in der Synagoge von Colleyville in Texas. Gravierender hält Stein Kokin jedoch ein Attentat in der Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania. Am 27. Oktober 2018 erschoss dort ein weißer Rechtsextremist elf Menschen.
„Nordamerikanische Juden haben durch die Assimilation wirklich frei gelebt. Und mit dieser Schießerei in Pittsburgh wurde man dran erinnert, dass es doch wieder Leute gibt, wo man ein Ziel ist. Man muss sich wieder schützen. In Deutschland, in Frankreich, in Großbritannien kommt man in keine Synagoge, ohne dass man sich anmelden muss - oder da ist eine Sicherheit. Das gab es hier nicht. Bis vor paar Jahren: Die Tür ist offen am Schabbat-Morgen, man kommt und geht rein. Das hat sich wirklich sehr geändert.“

Finanzmittel akquirieren gehört dazu

Aufgrund ihrer Erfahrungen aus Deutschland hat die Rabbinerin seit ihrem Amtsantritt mit Sicherheitsmaßnahmen vorgesorgt. Nach der Geiselnahme in Texas erhielt ihre Gemeinde zudem Fördermittel aus dem US-Bundeshaushalt für zusätzliche Maßnahmen. Vor allem die Finanzierungen würden sich in den USA deutlich unterscheiden, so die Rabbinerin:
„Die ganze Struktur ist hier anders. Die Gemeinde muss so viel Geld verdienen, dass sie mein Gehalt bezahlt. Das heißt, ich bin auch direkt involviert mit Fundraising. In Deutschland wird der Rabbiner über Bundesmittel finanziert. Das ist hier lokal organisiert.“

Weniger Seelsorge wegen neuer Aufgaben

Die Zeit für solche Aufgaben geht von der geistlichen Leitung der Gemeinde und der Seelsorge ab, die der Rabbinerin eher am Herzen liegt. Nach den Lockerungen der Corona-Maßnahmen käme ein Teil ihrer 500 Köpfe zählenden Gemeinde wieder in die Synagoge, sagt die Rabbinerin, der andere sei weiter über Zoom zugeschaltet.
„Ich mache dann das Zoom auf die Leinwand. Dann sehen die Leute von zu Hause uns hier in der Kapelle, und wir sehen die, die zu Hause am Bildschirm sitzen. Dann ist ein bisschen mehr ein Gefühl von Gemeinschaft.“
Darin sieht Rabbinerin Stein Kokin die große Herausforderung für die nächsten Monate: die soziale Isolation, die die Pandemie für viele mit sich gebracht hat, aufzubrechen und die Gemeinschaft wiederzubeleben. 

Online kann das Gemeinsame nicht ersetzen

„Weil natürlich die Leute dran gewöhnt sind. Man kann sich jetzt zum Gottesdienst in New York oder in Los Angeles einloggen und dann hört man da die tolle Predigt von dem Star-Rabbiner. Aber dann nicht zu vergessen, dass man doch seine Gemeinde braucht. Und anders herum die, die wir nicht sehen, weil sie zu Hause sind, die nicht zu vergessen.“
Wenn es nach der deutschen Rabbinerin geht, wird ihre amerikanische Gemeinde schon bald wieder zusammen Feste feiern. Oder wie früher nach dem Gottesdienst am Schabbat-Morgen gemeinsam zu Mittag essen.
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