Sprache ist ja insgesamt eine Frage der Gewöhnung. Wenn wir daran denken, wie wir vor gut zwanzig Jahren alle über die neue deutsche Rechtschreibung gestöhnt haben und gesagt haben: Ich werde nie niemals die "Schifffahrt" mit drei "f" schreiben! So denken sich viele auch heute: Ich werde niemals ein weiteres Pronomen lernen.
Pronomen in der deutschen Sprache
Männlich, weiblich und noch viel mehr: Pronomen für Menschen, die jenseits von "er" oder "sie" stehen, haben sich in der deutschen Sprache noch nicht durchgesetzt. © Getty Images / iStockphoto / lerbank
Der Vielfalt auch sprachlich gerecht werden
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Neben "er" und "sie" hat sich im Deutschen noch kein Pronomen für Menschen mit einer nonbinären Geschlechtsidentität etabliert. Das sei aber nur eine Frage der Zeit, sagt die Sprachwissenschaftlerin Miriam Lind. Sprache wandle sich durch Gewöhnung.
Mit der juristischen Anerkennung, dass neben weiblich und männlich noch weitere Geschlechtsidentitäten existieren, hat der Druck zugenommen, dieser Vielfalt auch sprachlich gerecht zu werden, sagt Miriam Lind. Die Linguistin forscht an der Uni Mainz zum Thema gendergerechte Sprache.
"Da ist unser Pronomensystem im Deutschen noch nicht angekommen", so Lind. Die Grammatik der deutschen Sprache mache eine Erweiterung im Vergleich zu anderen Sprachen allerdings auch komplizierter.
Die Schweden haben es leichter
Während in Schweden mittlerweile das Pronomen "hen" in Gebrauch ist, das für Personen, die weder weiblich noch männlich sind, immer in derselben Form benutzt werden kann, besteht im Deutschen die Herausforderung, dass Pronomen gebeugt werden, je nachdem, in welchem Fall sie auftreten. Ob Dativ, Genitiv oder Akkusativ - jedes Mal bedarf es einer anderen Form.
Die im englischsprachigen Raum bekannten Pronomen "they" und "them" für nichtbinäre Personen erlauben dabei zumindest eine gewisse Variation, erklärt Lind: They sei die Subjektform, statt „er isst einen Apfel“ heiße es "they isst einen Apfel". In allen anderen Fällen werde them verwendet: "Ich gebe them den Apfel."
Wenn erst einmal passende Formen einer größeren Öffentlichkeit präsentiert und häufiger angewendet würden, dann komme es in der Regel auch bald zu einer Gewöhnung, sagt Lind. Schließlich gebe es auch bei regionalen Dialekten eine Fülle von Unterschieden, sowohl in der Aussprache als auch bei grammatischen Besonderheiten. "Mit so etwas kommen wir gut klar, wir müssen es nur erst mal lernen“, so Lind.
Ältere fremdeln mit Neuerungen
Sprache biete schon seit Langem Stoff für kontroverse Debatten, betont Lind. "Das sehen wir schon bei den Sprachkritikern vor 300 Jahren. Sprache wurde immer als ein ganz wichtiges Kulturgut angesehen." Gerade in der derzeitigen Debatte um geschlechtergerechte Sprache werde allerdings "unheimlich viel politisiert und polemisiert“.
Sie habe den Eindruck, die Debatte werde dabei auch "künstlich aufgeheizt", um damit bestimmte politische Ziele durchzusetzen und „eine gewisse Ablehnung gegen Geschlechter-Diversität zu verbreiten“, kritisiert Lind.
Tendenziell würden Neuerungen im Zusammenhang mit gendergerechter Sprache umso heftiger abgelehnt, je älter die betreffenden Personen seien. Für viele Jugendliche sei das überhaupt kein Thema mehr, sowohl die Anerkennung von nichtbinären Personen als auch der Gebrauch entsprechender Sprachformen habe sich unter ihnen bereits weithin durchgesetzt, beobachtet Lind: „Ich glaube, da findet gerade ein generationeller Umbruch statt, mit dem sich das etablieren wird.“