Geschlechtergerechte Sprache bei Audi

Männer sind nicht mehr Mittelpunkt der Welt

10:18 Minuten
Eine Produktionsanlage von Audi. An den Karosserien arbeiten eine Frau und zwei Männer.
Autobau bei Audi: Die Mitarbeiterinnen können sich künftig angesprochen fühlen. © IMAGO/Sven Simon
Anatol Stefanowitsch im Gespräch mit Nicole Dittmer · 14.06.2022
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Weil der Autobauer Audi auf geschlechtsneutrale Sprache setzt, fühlt sich ein Mitarbeiter in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Er zog deswegen vor Gericht. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat dafür wenig Verständnis.
Die Veränderung der Sprache hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit ist ein umstrittener Prozess. Zum einen werden immer mehr gesellschaftliche Bereiche davon erfasst, zum anderen ist die Ablehnung zuweilen vehement, aber und an werden sogar die Gerichte bemüht. Ein Beispiel ist der VW-Konzern. Im vergangenen März veröffentlichte dieser eine Mitteilung für den Autobauer Audi, die mit den Worten überschrieben war: „Sprache für mehr Vielfalt: Audi gendert“.

Klage gegen den Arbeitgeber

In der Mitteilung heißt es, in offiziellen Schreiben wie Pressemitteilungen oder im Intranet werde künftig geschlechtsneutrale Sprache verwendet, etwa durch geschlechtsneutrale Begriffe wie Führungskraft statt Chefin oder Chef, oder durch einen Unterstrich bei Mitarbeiter_innen. Audi wolle so „alle Geschlechter und geschlechtlichen Identitäten gleichwertig und wertschätzend“ ansprechen.
Doch einem Audi-Mitarbeiter gefiel das nicht, er zog vor Gericht. Er sieht durch die Vorgaben seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Er wolle sich aussuchen können, wie sein Arbeitgeber ihn anspreche. Das Boulevardblatt „Bild“ zitiert ihn mit den Worten, die Regelung gefährde den „Schutz der geschlechtlichen Identität“, sei „unausgewogen“ und sogar „männerfeindlich“.
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch sieht das anders. Bisher sei es so gewesen, dass die Männer als einzige direkt angesprochen worden seien, erläutert er. Da dies durch eine gendergerechte Sprache wegfalle, könne der Verlust dieses Privilegs als ungerecht empfunden werden, so der Professor für Sprachwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Für alle anderen sei eine geschlechterinklusive Sprache indes „die Herstellung dessen, was für Männer schon lange Normalität ist – nämlich direkt angesprochen zu werden“.

Wo liegt das Problem beim Gendern?

Das generische Maskulinum sei „lange eine über eine stillschweigende Übereinkunft gestützte Gebrauchstradition“ gewesen, gibt Stefanowitsch zu bedenken. Diese Form werde aber erst seit 150 bis 200 Jahren genutzt. Wenn man sie stark verinnerlicht habe, könne es zu einer Umgewöhnungsphase kommen. „Wo das große Problem beim Gendern liegen soll, ist mir persönlich nicht nachvollziehbar“, sagt der Sprachwissenschaftler.
Er könne verstehen, dass neue Formen des Sprachgebrauchs erst einmal Fremdheitsgefühle auslösten, so Stefanowitsch. Nicht nachvollziehen könne er aber, „wie man sich so sehr darüber aufregen kann, dass diese sprachliche Vorherrschaft der Männer zu Ende gehen soll, dass man Gerichtsprozesse anstrengt, um ein Recht einzuklagen, indem man fordert, dass man nicht durch eine geschlechtsinklusive Form angesprochen werden möchte, sondern durch eine Form, die nur die eigene Gruppe – in diesem Fall die Männer – bezeichnet“.
Stefanowitsch vermutet nun, dass es wohl Männer gebe, „denen es ganz doll wehtut, dass sie nicht mehr der Mittelpunkt der Welt sind“. Doch dieser Zustand sei nun mal vorbei, auch wenn versucht werde, diesen wiederherzustellen oder an ihm festzuhalten.

Sprache folgt gesellschaftlichen Veränderungen

Die Aufregung über die geschlechtsneutrale oder geschlechterinklusive Sprache werde hauptsächlich von denjenigen erzeugt, die sich diesen Formen verweigerten, meint Stefanowitsch. Diese Gruppe könne aber gelassener sein, denn bislang verlange niemand von ihr, dass sie sich den Sprachregelungen anpasse. Das gelte auch für den klagenden Audi-Mitarbeiter, dem nicht vorgeschrieben werde, dass er wie in der Mitteilung sprechen oder schreiben muss.
Der Sprachwissenschaftler verweist zudem darauf, dass sprachliche Veränderungen häufig an gesellschaftliche Veränderungen „andocken“. Dagegen könne man nichts machen. Wer glaube, am generischen Maskulinum festhalten zu können, kämpfe auf verlorenen Posten.
Gleichzeitig rät Stefanowitsch aber davon ab, Menschen, die sich der Entwicklung verweigern, stärker unter Druck zu setzen: „Wenn sie es nicht als gerecht empfinden, dann sollen sie die Sprache so benutzen, wie sie sie empfinden. Dann merken wir eben, da haben wir es mit jemandem zu tun, der möchte das nicht. Dem ist das alles zu viel, der möchte sich an einer Geschlechterordnung orientieren, wie sie vielleicht vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren noch normal war, aber heute sicher nicht mehr.“
(Romana Westhof/rzr)

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