Prix Goncourt

Diesmal Tunis und nicht Paris

Die Jury des Prix Goncourt: Didier Decoin steht am Sprecherpult, links Ben Jelloun und Francoise Chandernagor (2. von links), Bernarnd Pivot (3. von links), rechts sitzen Regis Debray (2.-r) und Paule Constant.
Die Jury des Prix Goncourt: Didier Decoin steht am Sprecherpult, links Ben Jelloun und Francoise Chandernagor (2. von links), Bernarnd Pivot (3. von links), rechts sitzen Regis Debray (2.-r) und Paule Constant. © picture alliance / dpa / EPA / MOHAMED MESSARA
Von Dirk Fuhrig · 27.10.2015
Die Shortlist des renommierten Literaturpreises Prix Goncourt wird seit 100 Jahren in Paris verkündet - diesmal nicht. Die vier Finalisten wurden in Tunis bekanntgegeben, im Museum Bardó. Dieser Ort soll ein Zeichen der Solidarität sein, denn 22 Menschen wurden hier von IS-Terroristen getötet.
Der Prix Goncourt ist der renommierteste Literaturpreis, der in Frankreich vergeben wird. Die zehn Mitglieder der Jury versammelten sich vor über 100 Jahren zum ersten Mal in einem Restaurant in Paris, um das beste erzählerische Werk auszuzeichnen, das im Verlauf des Jahres in französischer Sprache erschienen ist. Am Dienstag Mittag sind die vier Finalisten für den mit zehn Euro dotierten Preis bekanntgegeben worden – und zwar in Tunis, im Museum Bardó, in dem die beiden Mörder des IS am 18. März 2015 22 Menschen töteten.
Für Bernard Pivot, den Vorsitzenden der Goncourt-Jury, sollte die Reise nach Tunesien ein Symbol der Solidarität sein:
"Französisch ist schließlich die Sprache der Menschenrechte. Und da erscheint es mir doch ganz selbstverständlich, dass wir als Akademie Goncourt mal hierhin, mal dahin gehen. Und heute sind wir eben in Tunis. Um zu sagen: Haltet durch! Die Franzosen denken an Euch, sie sind bei Euch."
Die Reise der Jury nach Tunesien ist also Solidaritäts-Veranstaltung, die den demokratischen Kräften dort moralische, kulturelle, intellektuelle Unterstützung bieten soll. Das ist auch vor dem Hintergrund der Anschläge vom Januar auf "Charlie Hebdo" zu sehen – Verteidigung der Meinungsfreiheit, in Frankreich ein sehr großes Thema.
Wer ist auf der Favoriten-Liste?
Auf der "zweiten Auswahl", der "Longlist" mit acht Titeln, standen ja schon überwiegend, muss man sagen, Bücher, die sich mit dem Maghreb, den arabischen Ländern befassten. Jetzt auf der kurzen Liste: drei von vier Werken spielen in der arabischen Welt:
Hédi Kaddour, "Les Prépondérants" ("Die Maßgeblichen" oder "Die Entscheidenden"); 1945 in Tunis geboren, als Tunesien noch Kolonie war; ein starker Roman aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, der die Wechselwirkungen und Spannungen zwischen Frankreich/Europa und den maghrebinischen Staaten bechreit. Im Mittelpunkt steht eine außerdordentlich starke arabische Frau. Alle Konflikte zwischen West und Ost sind da schon angesprochen. Wein wichtiges, ein kraftvolles Buch.
Tobie Nathan, "Ce pays qui te ressemble" (Dieses Land, das Dir ähnlich ist); spielt in Kairo; dort ist Nathan als Sohn jüdischer Eltern auch geboren (1948); auch biographisch also ähnlich zu Kaddour. Nathan ist Diplomat und Psychologe. In dem Buch geht es um die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Ägypten.
Drittes Werk über das Verhältnis von Orient und Okzident:
Mathias Enard: "Boussoule" – ein Roman, der zu großen Teilen in Wien spielt, Beziehung eines deutschen Musikers und einer französischen Orientwissenschaftlerin. Darin geht es um den ganzen Kosmos von Verbindungen, Klischees, persönlichen Beziehungen zwischen Europa und dem Nahen Osten.
Drei von vier der Romane spielen in der arabischen Welt – was ist der vierte Titel?

Nathalie Azoulai, gilt als Außenseiterin. Erstaunlich, dass sie es auf die letzte Auswahl geschafft hat. Die einzige Frau. Mit einem höchst literarischen Thema (Titel: "Titus n'aimait pas Bérénice"). Zurück ins 17. Jahrhundert zu Jean Racine, Autor der Tragödie "Bérénice"; eine der bekanntesten Tragödien des klassischen Kanons. Vermischung aus Literatur und Biographie, geschrieben in einer höchst klangvollen, poetischen Sprache. Es geht um Liebe, Gewalt, Macht. Sehr literarisch, sehr kunstvoll – ein schönes Werk, aber sicherlich kein Anwärter auf den Preis.
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