Literaturpreis Prix Goncourt

Warum "2084" nicht auf der Shortlist ist

Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal
Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal fehlte auf der Shortlist des Prix Goncourt. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Dirk Fuhrig · 28.10.2015
Der Prix Goncourt - in Frankreich ist er die literarische Auszeichnung mit dem höchsten Prestige, deren Shortlist am Montag bekannt gegeben wurde. Ein Name scheint zu fehlen: Boualem Sansal mit seinem Roman "2084". Entweder ist er schon zu erfolgreich oder zu islamkritisch.
Wie das so ist mit Favoriten – bei Jurys fallen oft ja die naheliegenden Kandidaten durch. Vielleicht ist Boualem Sansals Roman "2084" schon viel zu erfolgreich; er hat sich seit seinem Erscheinen in diesem Sommer schon rund 100.000 Mal verkauft, es ist das meistbesprochene Buch der Saison und stand auf allen Vorschlagslisten für französische Literaturpreise (Renaudot).
Es ist eine an George Orwell ("1984") angelehnte Utopie eines totalitären Big-Brother-Staates, in dem die Religion die Macht hat. Der Islam wird zwar nicht explizit genannt, die Anspielungen auf den IS sind aber mehr als deutlich.
Sansal hat schon den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Es gibt sehr kontroverse Meinungen zu dem Buch in Frankreich. Manche halten Sansal für "islamfeindlich" und das Buch für eine Art Fortsetzung von Michel Houellebecqs "Unterwerfungs"-Roman.
Sansal ist ja tatsächlich ein prominenter Islam-Kritiker; 2011 hat er für seine kritische Sicht auf die arabischen Länder auch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.
Wahrscheinlich gab es große Debatten um das Buch auch in der Jury. Wegen dieses Punkts der Islamfeindlichkeit. Vielleicht aber auch wollte man ein Werk, das ohnehin schon ein Bestseller ist, nicht auch noch zusätzlich fördern.
War ja auch bei Michel Houellebecq so, der bei "Elementarteilchen" übergangen wurde und erst später für ein wesentlich schwächeres Buch den Goncourt-Preis bekam.
Sansal schreibt gegen die Religion - islamfeindlich ist sein Buch nicht
Und klar: Warum soll ein Roman, den ohnehin schon alle kaufen, tatsächlich prämiert werden. Obwohl "2084" ein sehr starkes, kraftvolles Buch ist. Sansal ist Atheist und schreibt gegen die Religion; "islamfeindlich" ist sein Buch nicht.
Aber ich muss sagen: Es ist schon ein Überraschung und Enttäuschung. Denn es ist das Buch der Saison, der große Roman. Man hätte ihn zumindest auf der Shortlist (bzw. troisième sélection) sehen müssen.
Nathalie Azoulai, Mathias Enard, Tobie Nathan und Hédi Kaddour sind jetzt die Glücklichen für den Preis, der nächste Woche verliehen wird.
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