Privatsache
Hobbys, Gewohnheiten und Adressen fast jedes Bürgers lassen sich mittlerweile über das Internet schnell herausfinden. Achtlos stellen viele Nutzer ihre Daten ins Netz. Gleichzeitig scheint der Datenhunger des Staates ungebrochen. In seiner Streitschrift "Verteidigung des Privaten" warnt Wolfgang Sofsky vor dieser Entwicklung und zeigt an Beispielen die Gefahren und Risiken des Überwachungsstaats auf.
Das Recht des Bürgers auf eine vom Zugriff der Öffentlichkeit abgeschirmte Sphäre des Privaten gehörte zu den Errungenschaften europäischer Aufklärung. Heute ist diese Privatzone gleich mehrfach bedroht. Auf den Medienbühnen des Fernsehens und der illustrierten Presse laden nicht nur Prominente, sondern auch Durchschnittsbürger das Publikum zur Besichtigung ihres Intimlebens ein. Mit Lust schleifen die Individuen selber die Mauer, die das Private vom Öffentlichen trennt. Und auf der anderen Seite ist die Kontrolllust des Staates ungebrochen, der immer mehr über seine Bürger wissen und immer weiter in ihr Leben eingreifen will.
Die lückenlose Beobachtung wird von den meisten Zeitgenossen kaum zur Kenntnis genommen. Trotz gelegentlichen Missmuts schätzt der gläserne Bürger die Erleichterungen des digitalen Zeitalters. Für den Verlust der persönlichen Freiheit fehlt ihm der Sinn. Privatheit ist kein politisches Programm, das Wählerstimmen bringen könnte.
Die Bedeutung des Privaten erneut zu politisieren, ist die Absicht des Soziologen Wolfgang Sofsky, der als Privatgelehrter und Publizist gern landläufige Gewissheiten einer scharfen Prüfung unterwirft. Seine Streitschrift "Verteidigung des Privaten" will mit Nachdruck daran erinnern, dass es keine persönliche Freiheit geben kann ohne die Garantie einer geschützten Zone des Privaten, zu der alles gehört, was nur den Einzelnen und sonst niemanden etwas angeht. Ohne die Chance, im Abseits einen sicheren Ort zu haben, wird Individualität liquidiert und Freiheit zu einer leeren Phrase. Dieser Überzeugung liegt vor allem ein tiefes Misstrauen dem Staat, auch dem demokratischen Staat, gegenüber zugrunde:
"Die Grenzen des Privaten sind die Grenzen des Politischen. Die Verteidigung der Privatheit ist der wirksamste Einspruch des Individuums gegen den fatalen Universalismus der Macht. Sie entspringt der Einsicht, dass auch die demokratische Eliteherrschaft Unterwerfung fordert."
Das tönt apodiktisch, und bei der Auflistung abschreckender Beispiele fehlt es diesem Fundamentalisten der Machtkritik manchmal am Unterscheidungsvermögen. Sofskys Sache ist nicht das abwägende Urteil über verschiedene Schweregrade der Bedrohung, sondern der ebenso vehemente wie pauschale Alarmruf.
Das mindert den Wert dieses schmalen Bandes als notwendige Einrede gegen einen Zeitgeist aber nicht, der schon gar nicht mehr wahrnimmt, wo er sich leichtfertig von Freiheit und privater Lebensgestaltung verabschiedet. Während traditionelle Formen staatlicher Kontrolle der Bürger in der Regel rasch erkannt und skandalisiert werden, bleiben andere, nicht minder gefährliche unbeachtet.
So wendet sich Sofsky gegen das kaum je bezweifelte Gemeinsinn-Gebot, das den Bürger auf zivilgesellschaftliches Engagement, zur Teilnahme an Wahlen und gern auch zu weiter gehendem politischen Engagement verpflichten möchte. Für ihn gehören solche Entscheidungen in den Freiheitsspielraum des Bürgers und sollten nicht durch öffentlichen Druck befördert werden.
"Denn politische Freiheit heißt nicht zuletzt Freiheit von der Politik. Privatheit gewährt jedem das Recht, auf die Abgabe politischer Bekenntnisse zu verzichten."
Da ist weiter der Wohlfahrtstaat mit seiner fürsorglichen Belagerung des Einzelnen, der ihm bei der Erziehung, bei der Sorge für Gesundheit und für die Rente so hilfreich beisteht, dass der Bürger vergisst, welche Informationen er dabei von sich preisgeben und auf welche Gestaltungsfreiheit er verzichten soll. In einer Zeit, in der "soziale Gerechtigkeit" und der Kampf gegen soziale Ungleichheit die zentralen Zielgrößen politischen Handelns geworden sind, gilt das Beharren auf Privatheit, zu dem auch das Lob des Privateigentums gehört, als ein Luxus, den sich nur die sogenannten "Besserverdienenden" erlauben können. Sofsky weist dagegen darauf hin, dass jene Sucht nach sozialer Gleichheit bisher immer noch geradewegs in die Tyrannei geführt hat.
Noch folgenreicher ist nach seinem Urteil die erstaunliche Bereitschaft der Öffentlichkeit, die ausufernde Gedankenpolitik zu akzeptieren. Mit Hilfe von Sprachregelungen und strafrechtlichen Drohungen greift staatliche Macht in den Raum der persönlichen Vorstellungen, Meinungen und Erinnerungen ein und definiert das Feld des zulässigen Diskurses immer enger, natürlich nur, um den Bürger vor Missbrauch der Freiheit und vor Verletzung seiner Gefühle zu schützen.
Dagegen hält Sofsky mit der Emphase des Aufklärers fest:
"Der Missbrauch des Verstandes ist kein Grund, seinen weiteren Gebrauch zu verbieten. Und es ist kein Beweis für Courage, Meinungen, welche man für gefährlich, irreführend und unmoralisch hält, kurzerhand zu verbieten. Verstocktheit und Unbelehrbarkeit rechtfertigen kein Redeverbot."
Das geht ebenso eindeutig gegen Gesetze, die das Leugnen historischer Tatsachen unter Strafandrohung stellen wie gegen die Anstrengung, mit justiziellen Mitteln Vorurteile und Diskriminierung aus der Welt zu schaffen. Eine solche sittliche Mission wird Sofsky dem Staat niemals zugestehen. Er glaubt:
"Der Staat als Hüter der Sittlichkeit - das ist ein Vollbeschäftigungsprogramm für Heerscharen von Alarmrufern, Denunzianten und Anklägern."
Es überrascht da nicht, dass Sofsky kein Verständnis für die modische Idee hat, den Religionen besondere Reservatrechte auf Schutz vor Verletzung einzuräumen. Gerade weil er das Recht des Einzelnen auf seinen persönlichen Glauben und seine private Überzeugungen so entschieden verteidigt, kann er ihm nicht ersparen, mit abweichenden Überzeugungen konfrontiert zu werden, auch wenn das weh tut.
"Ein jeder mag glauben, was er will, aber er kann nicht erwarten, dass andere für heilig erachten, was er selbst für heilig hält."
Sofskys "Verteidigung des Privaten" ist das Plädoyer für eine andere Republik. Für eine Republik freier Bürger, die diese Freiheit mit vollem Risiko wollen, die nicht den wohlfeilen Verheißungen mentaler, polizeilicher und materieller Sicherheit anhängen und die sich nicht durch moralische Imperative vergesellschaften lassen wollen. Ob eine solche Republik heute noch möglich ist, mag man mit Gründen bezweifeln. Sofskys Buch macht aber seiner Einseitigkeiten darauf aufmerksam, was verloren ging, als man die Wertschätzung des Privaten durch den Kult des Sozialen ersetzte.
Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten - Eine Streitschrift
C. H. Beck, München 2007
Die lückenlose Beobachtung wird von den meisten Zeitgenossen kaum zur Kenntnis genommen. Trotz gelegentlichen Missmuts schätzt der gläserne Bürger die Erleichterungen des digitalen Zeitalters. Für den Verlust der persönlichen Freiheit fehlt ihm der Sinn. Privatheit ist kein politisches Programm, das Wählerstimmen bringen könnte.
Die Bedeutung des Privaten erneut zu politisieren, ist die Absicht des Soziologen Wolfgang Sofsky, der als Privatgelehrter und Publizist gern landläufige Gewissheiten einer scharfen Prüfung unterwirft. Seine Streitschrift "Verteidigung des Privaten" will mit Nachdruck daran erinnern, dass es keine persönliche Freiheit geben kann ohne die Garantie einer geschützten Zone des Privaten, zu der alles gehört, was nur den Einzelnen und sonst niemanden etwas angeht. Ohne die Chance, im Abseits einen sicheren Ort zu haben, wird Individualität liquidiert und Freiheit zu einer leeren Phrase. Dieser Überzeugung liegt vor allem ein tiefes Misstrauen dem Staat, auch dem demokratischen Staat, gegenüber zugrunde:
"Die Grenzen des Privaten sind die Grenzen des Politischen. Die Verteidigung der Privatheit ist der wirksamste Einspruch des Individuums gegen den fatalen Universalismus der Macht. Sie entspringt der Einsicht, dass auch die demokratische Eliteherrschaft Unterwerfung fordert."
Das tönt apodiktisch, und bei der Auflistung abschreckender Beispiele fehlt es diesem Fundamentalisten der Machtkritik manchmal am Unterscheidungsvermögen. Sofskys Sache ist nicht das abwägende Urteil über verschiedene Schweregrade der Bedrohung, sondern der ebenso vehemente wie pauschale Alarmruf.
Das mindert den Wert dieses schmalen Bandes als notwendige Einrede gegen einen Zeitgeist aber nicht, der schon gar nicht mehr wahrnimmt, wo er sich leichtfertig von Freiheit und privater Lebensgestaltung verabschiedet. Während traditionelle Formen staatlicher Kontrolle der Bürger in der Regel rasch erkannt und skandalisiert werden, bleiben andere, nicht minder gefährliche unbeachtet.
So wendet sich Sofsky gegen das kaum je bezweifelte Gemeinsinn-Gebot, das den Bürger auf zivilgesellschaftliches Engagement, zur Teilnahme an Wahlen und gern auch zu weiter gehendem politischen Engagement verpflichten möchte. Für ihn gehören solche Entscheidungen in den Freiheitsspielraum des Bürgers und sollten nicht durch öffentlichen Druck befördert werden.
"Denn politische Freiheit heißt nicht zuletzt Freiheit von der Politik. Privatheit gewährt jedem das Recht, auf die Abgabe politischer Bekenntnisse zu verzichten."
Da ist weiter der Wohlfahrtstaat mit seiner fürsorglichen Belagerung des Einzelnen, der ihm bei der Erziehung, bei der Sorge für Gesundheit und für die Rente so hilfreich beisteht, dass der Bürger vergisst, welche Informationen er dabei von sich preisgeben und auf welche Gestaltungsfreiheit er verzichten soll. In einer Zeit, in der "soziale Gerechtigkeit" und der Kampf gegen soziale Ungleichheit die zentralen Zielgrößen politischen Handelns geworden sind, gilt das Beharren auf Privatheit, zu dem auch das Lob des Privateigentums gehört, als ein Luxus, den sich nur die sogenannten "Besserverdienenden" erlauben können. Sofsky weist dagegen darauf hin, dass jene Sucht nach sozialer Gleichheit bisher immer noch geradewegs in die Tyrannei geführt hat.
Noch folgenreicher ist nach seinem Urteil die erstaunliche Bereitschaft der Öffentlichkeit, die ausufernde Gedankenpolitik zu akzeptieren. Mit Hilfe von Sprachregelungen und strafrechtlichen Drohungen greift staatliche Macht in den Raum der persönlichen Vorstellungen, Meinungen und Erinnerungen ein und definiert das Feld des zulässigen Diskurses immer enger, natürlich nur, um den Bürger vor Missbrauch der Freiheit und vor Verletzung seiner Gefühle zu schützen.
Dagegen hält Sofsky mit der Emphase des Aufklärers fest:
"Der Missbrauch des Verstandes ist kein Grund, seinen weiteren Gebrauch zu verbieten. Und es ist kein Beweis für Courage, Meinungen, welche man für gefährlich, irreführend und unmoralisch hält, kurzerhand zu verbieten. Verstocktheit und Unbelehrbarkeit rechtfertigen kein Redeverbot."
Das geht ebenso eindeutig gegen Gesetze, die das Leugnen historischer Tatsachen unter Strafandrohung stellen wie gegen die Anstrengung, mit justiziellen Mitteln Vorurteile und Diskriminierung aus der Welt zu schaffen. Eine solche sittliche Mission wird Sofsky dem Staat niemals zugestehen. Er glaubt:
"Der Staat als Hüter der Sittlichkeit - das ist ein Vollbeschäftigungsprogramm für Heerscharen von Alarmrufern, Denunzianten und Anklägern."
Es überrascht da nicht, dass Sofsky kein Verständnis für die modische Idee hat, den Religionen besondere Reservatrechte auf Schutz vor Verletzung einzuräumen. Gerade weil er das Recht des Einzelnen auf seinen persönlichen Glauben und seine private Überzeugungen so entschieden verteidigt, kann er ihm nicht ersparen, mit abweichenden Überzeugungen konfrontiert zu werden, auch wenn das weh tut.
"Ein jeder mag glauben, was er will, aber er kann nicht erwarten, dass andere für heilig erachten, was er selbst für heilig hält."
Sofskys "Verteidigung des Privaten" ist das Plädoyer für eine andere Republik. Für eine Republik freier Bürger, die diese Freiheit mit vollem Risiko wollen, die nicht den wohlfeilen Verheißungen mentaler, polizeilicher und materieller Sicherheit anhängen und die sich nicht durch moralische Imperative vergesellschaften lassen wollen. Ob eine solche Republik heute noch möglich ist, mag man mit Gründen bezweifeln. Sofskys Buch macht aber seiner Einseitigkeiten darauf aufmerksam, was verloren ging, als man die Wertschätzung des Privaten durch den Kult des Sozialen ersetzte.
Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten - Eine Streitschrift
C. H. Beck, München 2007

Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten.© C. H. Beck Verlag