Privatgelände – Durchgang verboten!
Während Innenminister Wolfgang Schäuble zur Terrorprävention den digitalen Lauschangriff propagiert, sollte man sich daran erinnern lassen, dass hier mehr verhandelt wird als konspirative Daten auf islamistischen Festplatten. In einer fulminanten Streitschrift will nun Wolfgang Sofsky das Recht auf Privatheit auch gegen solche staatlichen Übergriffe in Schutz nehmen.
Der Göttinger Soziologe argumentiert nicht aus der Distanz einer wissenschaftlichen Abhandlung, sondern in bester Tradition des amerikanischen Liberalismus mit der Winchester in der rhetorischen Armbeuge – gleichsam alles im Visier, das sich auf dem eigenen Grundstück rumtreiben könnte. Wolfgang Schäubles Bundestrojaner ist da nur ein neugieriger Eindringling unter vielen.
Das Private ist dabei für Sofsky weit mehr als das, was sich durch Gartenzäune einfrieden lässt; privat ist für ihn die Essenz des gesellschaftlichen Lebens schlechthin. Ohne ein privilegiertes Refugium, das dem Zugriff der Anderen entzogen bleibt, gäbe es keine Individuen, die sich aus freiwilligen Stücken zu Gemeinschaften zusammenschließen. „Das Selbst geht dem Sozialen voraus“, so die konsequent individualistische These.
Ohne Rücksicht auf die politische Unkorrektheit der Metapher legt er gleich noch einen obendrauf: „Die Mauer gehört zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit. (…) Hinter dem Wall kann das Individuum die Waffen fallen lassen, mit denen es sich gegen die Zumutungen der Öffentlichkeit zu wappnen pflegt. Die Mauer sichert die persönliche Freiheit.“ Erübrigt sich die Anschlussfrage, was Wolfgang Sofsky wohl von Online-Durchsuchungen hält.
Bisweilen schlägt jedoch die Empfindsamkeit des kritischen Diagnostikers um in Verfolgungswahn. Denn die Zumutungen einer neugierigen Öffentlichkeit beginnen für Sofsky schon überall dort, wo das Individuum gezwungen ist, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Das fängt im körperlichen Bereich mit den Ausdünstungen der Mitmenschen an, gegen die das hypersensible Selbst sich ebenso wenig zu schützen vermag wie gegen Störung durch Lärm oder verbale Rempeleien.
Mit allen radikalen Liberalen teilt Sofsky letztlich die Überzeugung, dass in der Gesellschaft alles Übel vom Staate ausgeht. Dieser nutzt nicht nur jede Gelegenheit aus, seine Bürger durch polizeiliche Aufsicht und pedantische Rechtssprechung zu drangsalieren. Auch in der fiskalischen Steuerhoheit entdeckt Sofsky einen gewaltsamen Übergriff, der die Freiheitsrechte der Privateigentümer in unzulässiger Weise beschneidet. Wird staatliches Handeln derart auf Herrschaft und Unterdrückung zugespitzt, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.
Hier ist Sofsky auf seinem Spezialgebiet; für sein Buch „Die Ordnung des Terrors“ über die NS-Konzentrationslager bekam er 1993 den Geschwister Scholl-Preis. Ohne die Verdienste dieser Untersuchung zu schmälern, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sofsky in seinem neuen Buch zwischen den Praktiken der Gestapo und denen heutiger Polizeibeamter gar nicht erst unterscheiden will, wenn er vor der „Politik des Schreckens“ warnt.
Hat also der Autor in polemischer Absicht die Kontrollmechanismen des demokratischen Rechtsstaats ignoriert? Wenn in diesen Tagen der deutsche Verteidigungsminister Jung verkündet, er wolle von Terroristen entführte Passagiermaschinen per Notstandsbefehl abschießen lassen, dann müssen wir sagen: Wolfgang Sofsky übertreibt zwar, aber er ist eben ein fantasiebegabter Realist.
Rezensiert von Ralf Müller-Schmid
Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten
C.H. Beck 2007
158 Seiten, 14,90 Euro
Das Private ist dabei für Sofsky weit mehr als das, was sich durch Gartenzäune einfrieden lässt; privat ist für ihn die Essenz des gesellschaftlichen Lebens schlechthin. Ohne ein privilegiertes Refugium, das dem Zugriff der Anderen entzogen bleibt, gäbe es keine Individuen, die sich aus freiwilligen Stücken zu Gemeinschaften zusammenschließen. „Das Selbst geht dem Sozialen voraus“, so die konsequent individualistische These.
Ohne Rücksicht auf die politische Unkorrektheit der Metapher legt er gleich noch einen obendrauf: „Die Mauer gehört zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit. (…) Hinter dem Wall kann das Individuum die Waffen fallen lassen, mit denen es sich gegen die Zumutungen der Öffentlichkeit zu wappnen pflegt. Die Mauer sichert die persönliche Freiheit.“ Erübrigt sich die Anschlussfrage, was Wolfgang Sofsky wohl von Online-Durchsuchungen hält.
Bisweilen schlägt jedoch die Empfindsamkeit des kritischen Diagnostikers um in Verfolgungswahn. Denn die Zumutungen einer neugierigen Öffentlichkeit beginnen für Sofsky schon überall dort, wo das Individuum gezwungen ist, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Das fängt im körperlichen Bereich mit den Ausdünstungen der Mitmenschen an, gegen die das hypersensible Selbst sich ebenso wenig zu schützen vermag wie gegen Störung durch Lärm oder verbale Rempeleien.
Mit allen radikalen Liberalen teilt Sofsky letztlich die Überzeugung, dass in der Gesellschaft alles Übel vom Staate ausgeht. Dieser nutzt nicht nur jede Gelegenheit aus, seine Bürger durch polizeiliche Aufsicht und pedantische Rechtssprechung zu drangsalieren. Auch in der fiskalischen Steuerhoheit entdeckt Sofsky einen gewaltsamen Übergriff, der die Freiheitsrechte der Privateigentümer in unzulässiger Weise beschneidet. Wird staatliches Handeln derart auf Herrschaft und Unterdrückung zugespitzt, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.
Hier ist Sofsky auf seinem Spezialgebiet; für sein Buch „Die Ordnung des Terrors“ über die NS-Konzentrationslager bekam er 1993 den Geschwister Scholl-Preis. Ohne die Verdienste dieser Untersuchung zu schmälern, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sofsky in seinem neuen Buch zwischen den Praktiken der Gestapo und denen heutiger Polizeibeamter gar nicht erst unterscheiden will, wenn er vor der „Politik des Schreckens“ warnt.
Hat also der Autor in polemischer Absicht die Kontrollmechanismen des demokratischen Rechtsstaats ignoriert? Wenn in diesen Tagen der deutsche Verteidigungsminister Jung verkündet, er wolle von Terroristen entführte Passagiermaschinen per Notstandsbefehl abschießen lassen, dann müssen wir sagen: Wolfgang Sofsky übertreibt zwar, aber er ist eben ein fantasiebegabter Realist.
Rezensiert von Ralf Müller-Schmid
Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten
C.H. Beck 2007
158 Seiten, 14,90 Euro