Pressefreiheit und Krieg

"In Russland ist kremlkritischer Journalismus tot"

07:58 Minuten
Die Nowaja Gazeta zeigt auf ihrem Titelblatt eine bandagierte Karte Russlands
Geknebelte und bedrohte russische Presse: Um trotzdem arbeiten zu können, haben unabhängige russische Medien, wie die regierungskritische Nowaja Gazeta, Redaktionen ins Ausland verlegt. © IMAGO/ITAR-TASS
Ulrike Gruska im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.05.2022
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In Russland sind regierungskritische Medien verboten, bei falscher Wortwahl drohen bis zu 15 Jahre Haft. In der Ukraine seien oppositionelle Sender noch aktiv, sagt Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen. Die kritischen Stimmen seien aber leiser geworden.
Kriegsberichterstattung ist häufig nicht neutral, die Parteien nutzen die Öffentlichkeit für ihre Propaganda. Auch im Ukraine-Krieg ist die Quellenlage für Informationen nicht gesichert. Es sei extrem schwer, nach journalistischen Standards zu verfahren, sagt Ulrike Gruska von Reporter ohne Grenzen, denn Informationen ließen sich kaum von mehreren Seiten aus überprüfen.

15 Jahre Haft bei falscher Wortwahl

In Russland gebe es de facto keine Pressefreiheit mehr, bis zu 15 Jahre Haft stehen auf Informationen, die Menschen verbreiten, die den offiziellen Verlautbarungen des Verteidigungsministeriums zuwiderlaufen.
„Es gab schon zu Beginn des Krieges die ganz klare Ansage der Medienaufsichtsbehörde, dass die Wörter Krieg, Angriff und Invasion nicht zu benutzen sind.“

Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai haben wir auch unsere Kolleginnen und Kollegen, die über die Ukraine und Russland berichten, gefragt, wie sie ihrer Arbeit in Zeiten des Krieges und neuer Mediengesetze in Moskau nachgehen können. Die Arbeit von ausländischen Medienschaffenden wird in Russland durch ein sogenanntes Fake-News-Gesetz seit Anfang März erheblich erschwert.

Kremlkritische Medien, wie der Radiosender Echo Moskau, wurden geschlossen. Auch die bekannteste regimekritische Stimme, die Zeitung Nowaja Gazeta, hat ihre Arbeit in Russland eingestellt, so Gruska.
„Und damit ist tatsächlich auf überregionaler Ebene der kremlkritische Journalismus erst mal tot.“
Wege, um unabhängig berichten zu können, gebe es nur vom Ausland aus, wie die bekannte Seite Meduza – und auch Nowaja Gazeta organisiere sich außerhalb Russlands neu, versuche von dort als unabhängige Redaktion Nowaja Gazeta Europe zu berichten.

Keine Gleichschaltung ukrainischer Medien

Falsch sei, dass auch ukrainische Medien unter staatlicher Kontrolle gestellt wurden, sagt Gruska. „Ich habe mich über die Berichterstattung in Deutschland geärgert, weil da nach einem Dekret von Selenskij sehr schnell von der Gleichschaltung der Medien in der Ukraine die Rede war.“
Stattdessen hätten sich einige der größten Fernsehsender der Ukraine nach Beginn des russischen Angriffs freiwillig und ohne jede Intervention der Politik zusammengeschlossen, als eine gemeinsame Anstrengung der Redakteure, um ein Programm zu machen.
„Mehrere Fernsehsender haben aus einem gemeinsamen Raum im Untergrund, also unter der Erde heraus, wo man auch vor Beschüssen sicher ist, Programm gemacht – und dieser sogenannte Fernsehmarathon läuft bis heute.“
Erst danach habe es ein Dekret von Präsident Selenskij gegeben und umfasse nur das Fernsehen und nicht die gesamten Medien des Landes.

Krieg schweißt die Bevölkerung zusammen

Auch wenn russischsprachige Sender im Zuge des Krieges verboten worden seien, gebe es nach wie vor mehrere oppositionelle Fernsehsender in der Ukraine, so Gruska. Diese Medien würden allerdings spürbar weniger kritisch berichten, wünschenswert bleibe eine größere Diversität in der Berichterstattung, damit Informationen besser eingeordnet werden könnten.
„Die kritischen Stimmen sind momentan leiser, so wie insgesamt in der Bevölkerung und im politischen Spektrum.“ Dies sei ein ganz üblicher Mechanismus in jedem Krieg. “Er schweißt die Bevölkerung und die angegriffene Gruppe zusammen.“
(mle)
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