Pop

Funk für White Boys

Von Tobi Müller |
Ende der 70er-Jahre war in Brooklyn Musik nach Herkunft getrennt - und dem weißen Jungen Jonathan Lethem tanzbare Musik wie Disco und Funk nicht zugänglich. Das änderte sich mit dem Album "Fear of Music" der Talking Heads. Von seiner Beziehung zu dieser Platte handelt sein neues Buch.
Gleich der erste Song des Albums lässt die Konvention hinter sich und arbeitet mit einem vorgefundenden Text, sagt Jonathan Lethem. "A bim beri glassala grandrid / E glassala tuffm I zimbra", singen die Talking Heads 1979 - und übernehmen damit einen Text aus dem Jahre 1916, eines der ersten Lautgedichte des DADA-Künstlers Hugo Ball: "Gadji beri bimba".
Lethem: "Die meisten Leute dachten Oh, das ist total funky, aber ich verstehe diesen Text nicht. Wer das Album kaufte, konnte die Lyrics allerdings auf der Innenhülle nachlesen.Und die erste Idee war wahrscheinlich: Ach so, das ist bestimmt Afrikanisch!"
Jonathan Lethem war ein weißer Junge in einem schwarzen Stadtteil von Brooklyn, als er von diesem Album hörte. Mittlerweile hat er neun Romane geschrieben, viele davon spielen in seiner Heimatstadt New York. Aber kein Buch ist so stark autobiografisch wie "Talking Heads – Fear of Music", wenn das auch heißt: die eigene Jugend im Spiegel der Kunst und ihrer Zeit zu verstehen. Das Buch beginnt so:
"Im Sommer 1979, in New York, saß ein 15-jähriger Junge in seinem Zimmer und lauschte einer Stimme, die aus dem Radio zu ihm sprach. Die Stimme sagte: 'Die Talking Heads haben ein neues Album. Es heißt Fear of Music.' Es war die Stimme von David Byrne, dem Sänger der Band Talking Heads."
Städte, Drogen, Sex, Musik, das Leben
Doch der Spot enthielt keine Musik. Nur das Versprechen, mit dieser Platte alles zu erfahren, was einem Jungen wichtig ist: Städte, Drogen, Sex, Musik, das Leben. Er habe dieses Album damals, als Teenager, am liebsten anstelle seines Kopfes tragen wollen, erklärt Lethem den Untertitel des Buches. Aber wie verhält es sich für den 50-jährigen Autor? Wenn man seinen eigenen Kopf hat? War das Buch auch ein Versuch, das Album zu besiegen?
"Das kann schon sehr heftig werden", weiß Lethem:
"Man erobert etwas, von dem man einst selbst erobert wurde. Ich hatte aber eine lange Beziehung mit diesem Album, und die konnte ich auffrischen. Beim Schreiben hatte ich das Gefühl, ich würde die Platte jetzt endlich heiraten."
Wie in jeder Ehe gibt es auch für Jonathan Lethem und "Fear of Music" Zeit für Erlebnisse – und Zeit, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Jeder Song kriegt ein einzelnes Kapitel, in dem Lethem zunächst in ganz eigenen Worten die Musik beschreibt, gefolgt von Beobachtungen über die Band, die Zeit, die Kunst:
"'Life During Wartime' markiert einen dieser Momente im Leben einer Band, in dem ihnen wie von selbst und plötzlich die ganze Fülle ihres Könnens zur Verfügung steht", schwärmt Lethem. Völlig egal, dass das Riff auf O.V. Wrights "Nickel and a Nail" oder irgendeinem anderen Blues-Funk-Sumpf gestolpert kommt, um von dieser Band in Richtung Discosound einer Grace Jones geschickt zu werden; ebenfalls egal, ob die dystopischen Versatzstücke vielleicht aus Material bestehen, das vielleicht bei Philip K. Dick oder dem Dylan von "A Hard Rain’s Gonna Fall" Verwendung fand.
Lethems eigene musikalische Biografie
Lethem trennt nie zwischen Science Fiction und Philosophie, Pop und Hochkultur. Diese Geste wirkt weniger modisch als konkret begründet. Immer wieder kommt Lethems eigene musikalische Biografie ins Spiel:
"Als Kind hörte ich die Sorte Soul, die Hippies wie meine Eltern hörten. Otis Redding, Aretha Franklin. Doch in unserer Nachbarschaft hörte man eher den Salsa der Lateinamerikaner, und die Schwarzen hörten Disco und Funk auf der Straße. Aber damit durfte ich mich eben nicht identifizieren. Im Gegenteil: Diese Musik sagte mir streng, dass sie nicht zu mir gehörte."
Kaum vorstellbar heute: Musik, nach Herkunft sortiert. 1979 aber ein echtes Problem für einen White Boy, der auch mal tanzen wollte. Hier halfen die Talking Heads, denen Lethem mit diesem Buch aufs schönste dankt:
"Diese Band war nervös, intellektuell, leicht spießig, und super-reflektiert was ihr soziales Umfeld angeht: Und genauso hätte ich mich damals auch selbst beschrieben! Die Talking Heads holten Disco und Funk in ihre Musik und lösten so mein Problem im Brooklyner Kiez. Als würde die Band zu mir sagen: Du bist ein weißer Teenager, aber du darfst auch Tanzen gehen und dir die Musik zu eigen machen, die du zwar die ganze Zeit gehört hast, die dir aber bislang fremd geblieben ist."

Jonathan Lethem: Talking Heads Fear of Music – Ein Album anstelle meines Kopfes
Aus dem Englischen von Johann Christoph Maas
Tropen Verlag, Berlin, 2014
160 Seiten, 17,95 EUR

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