Podcastkritik "Chasing Cosby"

Endlich mal kein Hype um den Täter

06:45 Minuten
Bill Cosby mit Polizisten und Anwalt auf dem Weg nach einer Anhörung.
Der Podcast "Chasing Cosby" behandelt den ersten Promi-Prozess der MeToo-Ära. © AP/ Matt Slocum
Von Carina Fron · 08.02.2020
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Von dem großen Erbe der US-amerikanischen Bill Cosby Show ist nicht viel geblieben, denn seit 2018 sitzt der Hauptdarsteller Cosby im Gefängnis. "Chasing Cosby“ erzählt, wie es so weit kommen konnte. Doch dieser Podcast ist kein Zuckerschlecken.
1991. Bill Cosby, zu Gast in der Larry King-Talkshow. Er promotet sein neues Buch, erzählt einige seiner liebsten Witze: "The old story was, if you took a little drop. It was on the head of a pin. And put it in a drink and the girl would drink it and: Hello America!"
Nur ein Tropfen von dieser Droge im Getränk, dann wären die Frauen willenlos, scherzt Cosby. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Völlig fassungslos starre ich auf mein Handy und höre die Stelle gleich mehrere Male.
Mit dieser Szene beginnt der "Los Angeles Times"-Podcast "Chasing Cosby". Klar, die Musik ist ein wenig überdramatisch, boulevardesk. Die einzige wirkliche Schwäche übrigens. Doch davon sollte sich kein Hörer abschrecken lassen. Genauso wenig wie von der Tatsache, dass die erste Folge zunächst das Übliche durchspielt, nämlich: "So ist Bill Cosby zu Bill Cosby geworden."

Bill Cosby – der Familienvater schlechthin

Das ist dann zum Glück in gut zehn Minuten abgefrühstückt. Denn darin unterscheidet sich "Chasing Cosby" von den vielen der unzähligen True-Crime-Podcasts: kein Rumpsychologisieren über Cosbys Motive, kein Umfeld, das seine Handlungen verteidigt, kein Hype rund um den Täter. Vielmehr gibt der Podcast vor allem den fünfzehn Frauen, darunter auch der Moderatorin, die Möglichkeit, ihre Geschichte mit Cosby zu erzählen. Der Fokus liegt darauf, dass die Frauen gehört werden.
Die Cosby-Show hat der Moderatorin Nicki Weisensee Egan durch eine schwere Zeit geholfen. Das Bild der perfekten schwarzen Mittelklassefamilie hat bei ihr stets ein warmes Gefühl ausgelöst. Bill Cosby als der Familienvater schlechthin. Das ging mir auch so. Und vielen anderen.
Dieses Bild ändert sich 2005. Andrea Constant berichtet der Polizei, was ihr gut ein Jahr zuvor in Cosbys Villa widerfahren ist. Im Podcast erzählt die Moderatorin die Geschichte von Andrea Constant: "He offers her three little blue pills to relax. There are a herbal medication, he says. Andrea takes the pills because she trusts him."

Wie Frauen häufig vorverurteilt werden

Andrea hat ihm vertraut, Cosby war schließlich seit mehreren Jahren ein Mentor für die junge Frau. "She is in and out of consciousness this time. But she does remember this: Cosby sexually assaults her."
Mehr Details über den Missbrauch braucht es nicht, hier werden keine Geschichten zu Spannungszwecken ausgeweidet. Die Moderatorin nimmt sich stets zurück und zum ersten Mal finde ich das völlig angemessen. Eingeordnet werden die Aussagen der Frauen eher von Experten wie einer forensischen Psychiaterin. Sie erklärt, wie Frauen in solchen Fällen häufig vorverurteilt werden und ihnen die Schuld für das Geschehene gegeben wird. Wie sie für ihr Aussehen, ihr Verhalten am Pranger stehen. Ein unendlich wertvoller Hinweis.
Das ist nur einer der möglichen Gründe, warum es 2005 nicht zum Prozess gegen Bill Cosby kommt. Obwohl sich allein in diesem Jahr 13 weitere Frauen bei der Polizei gemeldet haben.
Cosby ist berühmt, besitzt Macht, ist angesehen. Machtstrukturen, die seit einigen Jahren unter anderem durch die MeToo-Debatte überhaupt wirklich diskutiert werden. Und viele der gemeldeten Vorfälle sind verjährt. Auch diese Themen nehmen einen wichtigen Platz im Podcast ein. Anwältin und Bürgerrechtlerin Gloria Allred hilft zum Beispiel den Frauen dabei, die Verjährungsfrist in ihrem Staat zu verlängern oder sogar aufzuheben.

Warum es wichtig ist, die Geschichten der Opfer zu hören

Erst im Jahr 2018 und über 60 Anschuldigungen später wird Bill Cosby zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Aber nur für das Vergehen gegenüber Andrea Constant. Trotzdem lässt die Journalistin Nicki Weisensee Egan das Ganze nicht ruhen, verfolgt den Fall seit über fünfzehn Jahren, schreibt Artikel, ein Buch und lässt ihr Wissen in diesen Podcast einfließen. Das bekommt der Hörer unter anderem dadurch zu spüren, dass sich zwar die Geschichten der Frauen ähneln, aber jede der Frauen im Podcast gehört werden soll.
Nicki Weisensee Egan konfrontiert Bill Cosby schriftlich immer wieder mit den Vorwürfen, die die Frauen gegen ihn erheben und bekommt stets ein: "kein Kommentar." Fünf von sechs Episoden konnte ich mir schon anhören und ich kann sagen: Dieser Podcast ist kein Zuckerschlecken. Die Ereignisse, die geschildert werden, sind grausam und das ganz ohne Blut und Leichenteile. Trotzdem kann ich jedem nur raten sich diesem unangenehmen Gefühl beim Podcasthören zu stellen. Denn am Ende können wir alle noch etwas lernen: Warum es wichtig ist, auch die Geschichten der Opfer zu hören und nicht nur die der Täter.

Der Podcast "Chasing Cosby" auf Spotify und Apple Podcasts.

(nog)
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