Klimawandel und Pilze

Die unterirdische Kraft des Waldes

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Blick auf die Unterseite eines Pilzhuts mit seinen Lamellen.
Der Pilzhut mit seinen Lamellen ist nur ein kleiner Teil des Pilzes. Der Großteil liegt als feines Netz unter der Erde. © picture alliance / Walter Heim
Von Elise Landschek · 28.11.2022
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Im Boden bilden Pilze riesige Netzwerke, die Bäume miteinander verbinden und kommunizieren lassen. So stärken sie das Ökosystem Wald. Doch die Trockenheit setzt auch ihnen zu.
Eine halbe Stunde schon stapft die kleine Touristengruppe durch den dichten finnischen Mischwald, in der Hand große Becher aus durchsichtigem Plastik, den Blick angestrengt nach unten gesenkt, um zwischen kissenweichen Mooshügeln und braungelb gefärbten Laubteppichen bloß keine Trophäe zu verpassen.
Eine Entdeckungsreise zu den mehr als 3000 verschiedenen Pilzarten hat man ihnen versprochen, die es in Finnland geben soll: besonders viele davon hier in Punkaharju, in einem naturbelassenen Waldstück in Mittelfinnland, nicht weit von der russischen Grenze. Aber kaum ein Pilz ist in Sicht.
„Schau mal, hier sind Totentrompeten“, sagt Saimi Hoyer. Ein paar mickrig kleine schwarze Pilze schmiegen sich an einen alten Baumstumpf, aber sie sind schon halb vertrocknet. Hoyer lässt sie stehen. Sie war früher ein finnisches Supermodel. Heute besitzt sie in Punkaharju ein exklusives Hotel, mitten im Wald. Sie bietet die Pilz-Tour zusammen mit einem professionellen Pilz-Guide an.
Schwarze, becherförmige Pilze im Wald: Totentrompeten
Die Totentrompeten wachsen in europäischen Laubwäldern.© picture alliance / blickwinkel / F. Hecker
Dass Saimi Hoyer und ihre Gruppe nur so wenige Pilze findet, ist ungewöhnlich im finnischen Herbst, denn Finnland ist perfekt für Pilze. Die Sommer sind warm und feucht, aber eben auch nicht zu warm und auch nicht zu nass. Dieses Jahr ist anders. Noch im August, wenn es in Finnland normalerweise schon kühler wird, zeigte das Thermometer 28 Grad im Schatten.

Hitze setzt den Pilzen zu

„Diesen Sommer war es so heiß, dass ich Angst bekommen habe“, sagt Mika Tarkka – auch um das fragile Gefüge im Wald. Denn wenn weniger Pilze wachsen, kann das auch die Bäume in Gefahr bringen. Mika Tarkka leitet das Department Bodenökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Er sitzt zwischen gestapelten Aktenordnern und Biologiebüchern an seinem Schreibtisch in Halle an der Saale. Ihn interessieren die Pilze vor allem als Forschungsobjekte.
Auch Mika Tarkka ist Finne, zufällig hat er ein Sommerhaus ganz in der Nähe von Saimi Hoyers Hotel in Punkaharju. Auch er wollte dort in diesem Spätsommer Pilze sammeln gehen. Auch er hatte keinen Erfolg. „Es geht um Trockenheit. Das Pilzmyzel im Boden kann sich nicht entwickeln und deswegen sehen wir die Fruchtkörper nicht.“

Pilze als Putzkolonne

Die Pilze gehören zusammen mit den Bakterien und anderen Mikroorganismen zur Putzkolonne des Waldes. Sie zersetzen nicht nur Laub, Nadeln und totes Holz und machen Platz für neue Pflanzen, einige können sogar Mikroplastik im Waldboden auflösen. Das, was wir über dem Boden sehen und zum Beispiel als Marone oder Fliegenpilz bezeichnen, ist nur der Fruchtkörper des Pilzes.
Unterirdische PIlzhyphen eines Pilzmyzels an einem morschen Eichenstamm: Weiße Linien und Netz in Braun.
Unterirdische PIlzhyphen eines Pilzmyzels: Bisweilen erstreckt sich das Myzel über mehrere Quadratkilometer.© picture alliance / Wildlife / P. Hartmann
Der eigentliche Pilz ist jedoch das feine, fadenförmige, meist unsichtbare Geflecht aus sogenannten Hyphen im Boden. Pilzmyzele können mehrere Quadratkilometer groß und viele tausend Jahre alt werden. Dieses riesige Geflecht dient auch als Kommunikationsplattform für den gesamten Wald.

Das Internet des Waldes

Dabei gebe es zwei Formen von Kommunikation, sagt Tarkka. „Wenn wir eine Verbindung haben, zum Beispiel von einem stark wachsenden Baum zu einem neuen Sämling, liefert dann dieser Pilz Nährstoffe für die Sämlinge. Die können dann viel schneller anwachsen.“ Das ist eine Form von Kommunikation. Die andere: „Bei den Symbiosen hat man auch festgestellt, dass es Kommunikationsstoffe zwischen den Pflanzen und den Pilzen gibt. Das sind Chemikalien, die sie miteinander austauschen.“
Es geht sogar noch komplexer. Es gibt Pilzarten, die kommunizieren über elektrische Impulse mit dem Wurzelwerk verschiedener Bäume. Zum Beispiel geben sie weiter, ob ein Baum in der Gruppe krank ist oder sich das Erdreich im Wald verändert hat. Die Trockenheit setzt all diesen wichtigen Kommunikationskanälen zu, unterbricht sie sogar.

Schädliche Pilze lieben Trockenheit

Rückblende in den finnischen Wald bei Punkaharju: Die Pilzsucher haben endlich etwas gefunden – einen prallen honiggelben Pilz, wie festgeklebt an einem Baumstamm. Es sei zwar essbar, gut für den Baum sei er allerdings nicht, sagt Pilzführer Jarkko Korhonen. „Dieser Pilz hier ist ein Parasit. Er befällt vor allem Eichen und zersetzt sie. Er heißt auf Englisch Chicken of the Woods.“
Auf Deutsch übersetzt heißt dieser Pilz Schwefelporling. Er kommt auch in deutschen Wäldern immer häufiger vor. Es gibt also noch ein weiteres Problem. Denn es gibt auch Pilze, die pathogen sind für die Pflanzen, ihnen also schaden. Diese Pilze breiten sich wiederum besonders gern bei Trockenheit und Wärme aus.
Schwefelporling: gelber, schwamm- oder korallenartiger Pilz an einem Baumstamm
Für den Baum schädlich, als Speisepilz lecker: Weil der Schwefelporling nach Hühnchen schmeckt, heißt er im Englischen Chicken of the Woods.© picture alliance / imageBroker / Larry West / FLPA
„Was man bei diesen Dürreperioden sieht: Wir haben das Problem, dass erstens Insektenschäden vorkommen, oft auch mit Borkenkäfern, die dann mit sich pathogene Pilze schleppen“, sagt Korhonen. Der Hallimasch könne beispielsweise viel besser in die Pflanze eindringen, wenn die geschwächt seien. „Deswegen hatten wir 2018 und 2019 auch viele Hallimasch-Schäden in den Wäldern.“
Wichtig ist also das Gleichgewicht zwischen nährenden und pathogenen Pilzen im Wald. Wer sich am schnellsten an die neuen Klimabedingungen anpasst, gewinnt. „Da sind die Pilze auch relativ schlau. Manche Arten können sich in der Richtung entwickeln, dass sie viel toleranter gegenüber der Wärme werden.“

Wir sind Teil eines Netzwerks

Die Pilzsucher im finnischen Punkaharju haben am Ende doch noch Glück. Auf der nächsten Lichtung steht eine ganze Traube Pfifferlinge. Pilzführerin Saimi Hoyer will mit ihren Ausflügen auch das Naturbewusstsein ihrer Gäste schärfen, ob mit oder ohne große Erfolge beim Pilze Suchen. „Wir stehen hier mitten im Wald auf einem System, das unterirdisch so groß ist wie ein Stadion“, sagt sie. „Wir sprechen ja heutzutage immer über Netzwerke. Uns muss klar sein: Wir sind alle Teil dieses großen Netzwerks.“
Brechen Teile dieses Netzwerks durch die Klimakrise zusammen, funktioniert das ganze System nicht mehr. Nur die Anpassungsmeister überleben. Zum Beispiel: die Pilze.
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