Pilze

Das unsichtbare Potenzial

30:53 Minuten
Rasterelektronenmikroskopaufnahme von Pilzen.
Rasterelektronenmikroskopaufnahme von Pilzen (Penicillium). © Imago / Science Photo Library
Von Constanze Lehmann |
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Pilze gibt es überall – im Boden, im Meer, in der Luft – aber meist im Verborgenen. Dabei lohnt es sich, dieses Reich zu erkunden, denn die Lebewesen sind vielfältig und vor allem vielseitig. So werden sie als Rohstoff immer interessanter.
"Was sie hier sehen, sind Flüssig-Stickstoff-Kannen. Bei minus 196 Grad werden die Pilze, eigentlich alle Mikroorganismen, gelagert. Wir haben hier 35.000 Bakterienstämme und 15.000 Pilzstämme. Und die werden hier, wir sagen immer, im Dornröschenschlaf gehalten. Die sind metabolisch inaktiv, das bedeutet, dass die nicht gefüttert werden müssen."

Dr. Kerstin Voigt leitet die Jena Microbial Resource Collection, die Jenaer Mikroorganismen Sammlung. Hier werden Pilze gesammelt, sequenziert, erforscht und international ausgetauscht.
"Das dampft jetzt hier so schön, weil Stickstoff natürlich die Eigenschaft hat, schwerer als Sauerstoff in der Luft, im Luftgemisch zu sein. Und das sieht immer sehr magisch aus."
Die Sammlung ist eine gemeinsame Einrichtung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Hans Knöll Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie.

"Wir haben Röhrchen, die sind schon aus den 50er-Jahren, 60er-Jahren. Und seitdem haben wir die höchstens mal wieder aufgetaut und geguckt, ob alles noch okay ist, ob sie lebensfähig sind. An manche Röhrchen müssen wir natürlich auch jährlich mal ran, weil, die sind gerade sehr im Fokus des wissenschaftlichen Interesses."
Mikrobiologin Kerstin Voigt in der Microbial Resource Collection in Jena. Circa 15.000 Pilzstämme werden hier in Flüssigstickstoff bei -196 Grad oder auf Nährmedien aufbewahrt.
Mikrobiologin Kerstin Voigt in der Microbial Resource Collection in Jena. Circa 15.000 Pilzstämme werden hier in Flüssigstickstoff bei -196 Grad oder auf Nährmedien aufbewahrt.© Jan-Peter Kasper/FSU Jena

Pilze als Grundstoff für Medikamente

Zum Beispiel Schimmelpilze. Denn Pilzinfektionen als Auslöser von Sepsis haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Aber Pilze können auch heilen. Sie produzieren Naturstoffe, also Biomoleküle: ein Grundstoff für Medikamente. Außerdem: Was wären Bäcker, Brauer, Winzer und andere Lebensmittelproduzenten ohne Hefen?
"Als die Sammlung noch zu DDR-Zeiten an der Universität betrieben wurde, da wollte man natürlich auch Käse veredeln. Schönen Roquefort-Käse oder den Camembert, aber jetzt hatte man nach Frankreich und Großbritannien nicht wirklich Verbindung aufgebaut, das heißt, damals mussten die Edelschimmelpilze selbst aus der Natur isoliert werden. Und wir haben auch eine Reihe von solchen, das sind alles Penicillium, Penicillium camemberti, Penicillium roqueforti, Blauschimmelkäse. Die schlummern alle bei uns in der Sammlung, aber jetzt haben wir weniger den Bezug, dass wir sozusagen für die Lebensmitteltechnologie arbeiten."
Ein paar Schritte – und eine weitere Schatzkammer tut sich auf.
"Und was sie hier sehen, sind in Weckgläsern, also auch die althergebrachte Methode, wie man sie als Hausfrau kennt, aber sehr effektiv auch für die Mikrobiologie. Röhrchen mit unterschiedlichen Nährmedien, bis zu 50 verschiedene Nährmedien, weil ja hier die Pilze metabolisch aktiv sind, das heißt, der Stoffwechsel ist hier aktiv, die sind nicht im Schlaf und müssen am Leben gehalten werden. Wenn man hier mal etwas aufmacht: Was sie hier sehen, sind diese typischen Fusarium-Farben, die sind so pink bis bordeauxfarben. Man kann ins Schwärmen geraten, der ist nur leider sehr böse, weil er auf Pflanzen geht und auch Menschen."


Von Pilzen kann man viele Geschichten mit tödlichem Ausgang erzählen. Es trifft Patienten und unkundige Pilzsammler. Pilze sind für Förster, Gärtner, Winzerinnen und Bauern ein Übel, sie vernichten ganze Ernten. Pilze können Ameisen in Zombies verwandeln und Fledermäuse killen. Auch haben manche Pilze sozusagen zwei Gesichter: Sie töten Lebewesen, andere retten sie. Das alles hat Pilzen ein eher negatives Image eingebracht. Zu Unrecht. Die große Gruppe der Schimmelpilze ist Beleg dafür.
Verschiedene Pilze im Jugendstadium, die in einem Labor der Jena Microbial Resource Collection in Petrischalen auf speziellem Nährboden wachsen.
Verschiedene Pilze im Jugendstadium, die in einem Labor der Jena Microbial Resource Collection in Petrischalen auf speziellem Nährboden wachsen.© Jan-Peter Kasper/FSU Jena
"Die wenigsten davon machen ja krank, die meisten sind ganz normale harmlose Besiedler des Bodens."
Vielleicht liegt es daran, dass Pilze ihr Werk meist im Verborgenen verrichten, dass sie so lange wenig positive Beachtung gefunden haben.
"Wir haben gerade erst begonnen, an der Oberfläche des Wissens über diese unglaubliche und vielfältige Gruppe von Organismen zu kratzen."

Heißt es im ersten Zustandsbericht über die Pilze der Welt, der Ende 2018 von den Royal Botanic Gardens in Kew veröffentlicht wurde. Für State of the World's Fungi haben Forscher aus 18 Ländern das aktuelle Wissen über Pilze zusammengetragen. Sie sind überzeugt, dass einige Probleme der Welt mit Hilfe von Pilzen gelöst werden können.

Jährlich werden 2000 neue Arten entdeckt

2,2 bis 3,8 Millionen Pilzarten gibt es weltweit. Aber erst 120.000 Pilzarten sind wissenschaftlich beschrieben. Moderne und kostengünstigere Gensequenzierungsmethoden treiben die Identifizierung voran. Jährlich werden derzeit 2000 neue Arten entdeckt, sagt der Welt-Pilz-Bericht aus London.

"Es gibt eine hohe Biodiversität, davon hören wir immer. Wir reden immer von der Biodiversität der für uns sichtbaren Organismen, aber die Diversität der sichtbaren Organismen insgesamt sind 0,2 Prozent aller Organismen."
Erika Kothe, Mikrobiologin an der Universität Jena und Pilzexpertin.
Auch wenn wir noch zu wenig über Pilze wissen, zumindest haben sie inzwischen einen angemessenen Platz in der Systematik des Lebens zugewiesen bekommen. Pilze gehören zu den Eukaryonten – das sind alle Lebewesen mit echtem Zellkern und Zellgliederung. Die Gruppe umfasst viele Reiche: Menschen, Tiere, Pflanzen, Algen. In alten Botanikbüchern finden sich Pilze bei den Pflanzen, doch sie machen keine Photosynthese. Im Supermarkt liegen sie im Gemüseregal. Definitiv der falsche Platz.
"Pilze sind sozusagen an der Spitze dieser Entwicklung von Eukaryonten, die Schwestergruppe der Tiere. Also es sind auch keine Tiere, die Fleischtheke wäre falsch, aber immerhin näher mit den Tieren verwandt als noch mit den Pflanzen."

Die Vegetationskörper der meisten Pilze bestehen aus Zellfäden, mikroskopisch feine Hyphen, die ein Myzel, ein weit verzweigtes Netz im Boden bilden. Das sehen wir aber nicht. Wir sehen höchstens die Fruchtkörper, zum Beispiel den Hut, den der Fliegenpilz oder die Marone tragen.
Schön, aber gefährlich: Zwei Kolonien des humanpathogenen Hefepilzes Candida albicans auf GM-Bromocresol-Agar, einem Spezialnährboden, der zu einer typischen Färbung der Zellen führt.       
Schön, aber gefährlich: Zwei Kolonien des humanpathogenen Hefepilzes Candida albicans auf GM-Bromocresol-Agar, einem Spezialnährboden, der zu einer typischen Färbung der Zellen führt. © François Mayer/Leibniz-HKI
Dabei verfügen Pilze über echte Größe, wie ein in den USA entdeckter rekordverdächtiger Pilz zeigt. Ein sogenannter Hexenring, weil seine Fruchtkörper sich kreisförmig ausbreiten.
"Dieser Hexenring war drei Meilen, also fünf Kilometer im Durchmesser, und deshalb hat man ausgerechnet, dass es nicht nur der flächenmäßig größte, sondern, wenn man die ganzen im Boden verteilten kleinen filamentösen Hyphen sieht, sogar der schwerste und wahrscheinlich auch der älteste Organismus ist, weil er so lange gebraucht hat, um zu wachsen."

Die Professorin hat kurz ihr Büro verlassen, sie zeigt auf eine riesige Buche mit vollem, grünem Blattwerk. Gleich daneben ein Schild, das den Baum als Naturdenkmal ausweist. Am Fuß des dicken Stammes: ein Lackporling.
"Dieser Pilz ist ein Weißfäulepilz, der kann also Lignin abbauen, und das heißt, er hat dieses Naturdenkmal, die wunderschöne Buche über uns eigentlich schon zerstört. Die muss gefällt werden, das ist sehr schade, aber sie würde irgendwann umstürzen, weil er sie von innen sozusagen auffrisst."
Der Lackporling, ein Weißfäulepilz, der Lignin zersetz. Die Buche steht vor dem Institut für Mikrobiologie in Jena.
Der Lackporling, ein Weißfäulepilz an einer Buche, der Lignin zersetz. © Deutschlandradio / Constanze Lehmann

Wie Pilze mit anderen Organismen kommunizieren

Weißfäulepilze sind ein Forschungsobjekt der Wissenschaftlerin. Mikrobielle Kommunikation ist das Forschungsgebiet von Erika Kothe.
"Vielleicht können wir uns das am besten im Gleichnis vorstellen. Wenn ich mit meinem Hund durch den Wald gehe, dann riecht der an einem Häufchen eines anderen Hundes, weiß, das war ein Rüde, der ist aggressiv, dem gehe ich nächstes Mal lieber aus dem Weg. Der war heute Morgen baden in der Ilm, der hat heute Morgen dies und jenes gefressen, und das Frauchen ist schwanger. Das ist für uns unvorstellbar, das aus einer reinen Duftmarke zu erkennen, aber das sind alles bekannte Signalmoleküle, die der Hund wahrnehmen kann.
Wenn ich mir jetzt vorstelle, Pilze kommunizieren mit Bakterien im Boden, mit Pflanzen, mit Tieren, mit all den anderen Organismen, dann muss es eine Vielzahl an einerseits Erkennungsmolekülen geben, aber auch andererseits produziert er selbst natürlich auch solche Signalmoleküle. Und das ist mikrobielle Kommunikation, also die Interaktion zwischen Organismen durch chemische, info chemicals."
Die Mikrobiologin forscht zur Mykorrhiza-Symbiose. Über 90 Prozent der Landpflanzen leben in einer solchen Verbindung mit Pilzen. Bei der die zarten Pilzfäden mit den feinen Wurzeln der Pflanzen in Kontakt sind. Eine Geschäftsbeziehung zum gegenteiligen Vorteil: tausche Mikronährstoffe, Phosphat und Stickstoff gegen Photosynthese- Produkte.
"Es ist gezeigt worden, dass bis zu 30 Prozent der Nettophotosynthese-Produkte abgegeben werden über die Wurzel an die Symbiosepartner. Das ist richtig teuer für die Pflanze. Es muss der Pflanze so viel wert gewesen sein, in der Evolution mit Wasser und Nährstoffen versorgt zu werden, dass sie dieses Investment tätigt."

Viele Waldpilze sind an einen bestimmten Wirt gebunden. Birkenpilz, Lärchenröhrling... Der Name verrät es schon. Aber der Pilz, der auf einen Wirt spezialisiert ist, versorgt nicht nur einen einzelnen Baum.


"Der wächst im Boden ja weiter und wenn er die nächste Buchenwurzel trifft, kann er auch eine andere Buche besiedeln. Mit Ausläufern desselben Myzels. Das heißt, letztendlich ist es ein Netzwerk im Boden, das die Bäume untereinander verknüpft und den Nährstoffaustausch und den Wasseraustausch insbesondere reguliert. So dass nicht ein Baum im zu Feuchten steht und der andere kein Wasser hat oder Stickstoff oder Phosphor."

Die Sprache der Pilze zu verstehen, kann auf weite Sicht nützlich sein.

"Einerseits kann man natürlich insbesondere bei den Mykorrhiza-Pilzen – wenn man verstehen würde, welche Signalmoleküle tatsächlich ausgetauscht werden müssen zwischen Baum und Pilz, die dafür notwendig sind, dass am Ende Fruchtkörper des Pilzes gemacht werden können, also Steinpilze – könnte ich ja vielleicht den Steinpilz in Kultur nehmen, was ich jetzt nicht kann. Ich muss ihn sammeln."
Auch wäre es dann irgendwann möglich, kostbare Trüffeln zu züchten. Allerdings ist es kompliziert, die Fruchtkörperbildung zu entschlüsseln. Mit dem Weißfäulepilz, den Erika Kothe studiert, kann man das ganz gut, denn er bildet Fruchtkörper auch auf Nährmedien im Labor.
"Das Interessante an diesem Pilz ist, in der Natur gibt es über 23.000 – was wir beim Menschen als Geschlechter bezeichnen würden – und die müssen sich ja gegenseitig erkennen. Und an diesem System, das über Pheromone funktioniert, arbeiten wir."
Eine Gruppe von Lärchenröhrlingen (Suillus grevillei) steht am Fuß einer Lärche.
Eine Gruppe von Lärchenröhrlingen (Suillus grevillei) steht am Fuß einer Lärche.© picture alliance/dpa/R.Usher/WILDLIFE

Ausgelaugte Böden wieder fruchtbar machen

Je besser man die Sprache der Pilze versteht, je gezielter kann man eingreifen, wenn Böden aus dem Gleichgewicht sind, weil sie intensiv genutzt oder verunreinigt wurden. Auf einer Brache wächst relativ schnell Gras, aber bis der Boden wieder seinen ursprünglichen, fruchtbaren Zustand erreicht hat, dauert es 40 Jahre. Mit Mykorrhiza-Impfungen kann man diesen Prozess beschleunigen. Erika Kothe nennt ein anderes Beispiel.
"Wir haben Testflächen in Schwermetall-belasteten Flächen in der Nähe von Gera."

Die Flächen des ehemaligen Uranbergbaugebietes wieder zu begrünen oder aufzuforsten, ist eine Herausforderung.
"Aber mit den richtigen Mykorrhiza-Pilzen kann ich auch Metalle zurückhalten, die gar nicht an die Pflanze geliefert werden, so dass die Pflanzen besser wachsen können."
Die Schwermetalle sollen in den Pilzen bleiben oder in und an Bakterien abgelagert werden. Auf die belasteten Flächen werden Bäume und krautige Pflanzen gesetzt. Das schützt den Boden vor Erosion.
"Das sind diese aberntbaren Bäume, die so in der Regel nach sieben Jahren abgeerntet werden, und dieses ganze Stammmaterial kann entweder verbrannt oder auch zu Bioethanol vergoren werden."

Weniger Fleisch, mehr Gemüse – und Pilze!

Pilze versorgen nicht nur Pflanzen mit Nährstoffen. Auch den Menschen. Für Veganer und Vegetarier sind sie ideal. Pilze sind Eiweißlieferanten, enthalten Mineralstoffe, Vitamine, Spurenelemente. Und Chitin.
Das macht eine ordentliche Portion Pilze allerdings für manche Menschen schwer verdaulich. Aber: Pilze sind extrem kalorienarm, wenn man sie nicht in Sahne oder Butter schwenkt.
Der Welt-Pilzbericht von Kew Gardens sieht in Pilzen einen wichtigen Beitrag zur Nahrungssicherheit. Die Wissenschaftler schreiben, dass der Weltmarkt für Speisepilze wächst. Der jährliche Umsatz wird auf 42 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Unangefochtener Champion ist in Deutschland der Kulturchampignon. Jede Person isst rund zwei Kilogramm Champions pro Jahr. Denkt man an die über 35 Kilogramm Schweinefleisch, die verzehrt werden, ist da noch Potenzial nach oben.

Asiatische Pilze in Brandenburg

"Ja, wir züchten Pilze, die auf Holz wachsen. Solche Pilze, die auf Holz wachsen und sich züchten lassen, sind auch die, die zumeist seit einigen tausend Jahren schon in China, in Asien, den Kaisern geschmeckt haben."
Ronald Schulz züchtet Edelpilze. Im brandenburgischen Werneuchen, vor den Toren Berlins.
"Die Pilze müssen sauber wie im Krankenhausbereich wachsen."
Bevor der promovierte Biologe vor zwei Jahrzehnten mit der Pilzzucht begann, hat er unter anderem im Bundesforschungsministerium gearbeitet. Er sagt, den Shiitake habe er als Erster in Brandenburg gezüchtet.
"Hier sehen Sie die Frisch-Pilze, das sind die Austernpilze, das sind die Shiitake."
Ronald Schulz züchtet, erforscht und verkauft Pilze. Außerdem betreibt er eine Destilliere.
"Viele Pilze, die wir züchten, haben solche exotischen Namen wie Shiitake, Hiratake, Enokitake, Reishi. Shii ist eine japanische Kastanienart und Take heißt japanisch immer Pilz. Im Herbst und im Frühjahr machen wir noch die Igelstachelbärte, die kennt man auch als PomPom, Pilze mit einem hervorragenden Geschmack. Dann haben wir noch eine ganze Reihe von anderen Pilzen, die wir ausschließlich verwenden zur Herstellung von Kapseln und Tabletten.

Ackerflächen sind knapp, Ressourcen wie Wasser und Humus kostbar. Pilze sind bescheiden, sie wachsen auf Abfall-Substraten, wie Kaffeesatz, Stroh oder Buchenspänen. In mehrstöckigen Regalen.
"Wir haben hier verschiedene Klimakammern, wo die Pilze drin wachsen. Über Zeitschaltuhren wird das Licht gesteuert. So sehen die Substrat-Blöcke aus."

Zwei, dreimal kann man die Blöcke aus Buchenspänen abernten.
"Das restliche Buchenholz-Substrat ist dann sozusagen verbraucht, das können wir hervorragend nutzen als Bodenverbesserungsmittel auf unserem Kompost. Wir haben aber in Zusammenarbeit mit einem Institut der Humboldt-Universität seit vielen Jahren ein Projekt, wo wir aus den abgeernteten Pilzblöcken Enzym-Presssäfte herstellen, die gegenwärtig versuchsweise in Biogasanlagen eingesetzt werden. Die erhöhen die Methan Produktion um nahezu zehn Prozent."
Fast 100 Prozent der in Deutschland produzierten Edelpilze werden ökologisch produziert, ohne chemische Pflanzenschutzmittel oder mineralische Dünger. Was gibt Ronald Schulz zu den Buchenspänen?
"Weizenkleie und etwas Kalk."

Nur mit dem Substrat kann es schon mal schwierig werden. Das muss thermisch behandelt werden.
"Gerade, wenn Holz oder Getreide aus dem biologischen Anbaubereich stammt, das ist dermaßen belastet mit Schimmelpilzen, das kriegen wir fast nicht mehr steril. Das wird immer schwieriger."
Shiitake-Pilze auf dem Pilzhof von Ronald Schulz. Der aus Asien stammende Weißfäulepilz wächst ausschließlich auf abgestorbenem Holz und erreicht einen Hutdurchmesser bis zu zwölf Zentimeter.
Shiitake-Pilze auf dem Pilzhof von Ronald Schulz. Der aus Asien stammende Weißfäulepilz wächst ausschließlich auf abgestorbenem Holz.© picture alliance/dpa/Karlheinz Schindler

Baustoff der Zukunft – Die Stabilität des Myzels

"Wir, das heißt Architekten, Ingenieure und alle anderen Leute, die am Bauen selbst beteiligt sind, sind immerhin für 40 Prozent aller CO2-Abgasemissionen verantwortlich. Und ich glaube, dass wir uns langsam anfangen müssen, Gedanken darüber zu machen, wie wir Alternativen entwickeln können, um diesen CO2 Ausstoß zu limitieren bzw. ganz aufzuheben."
Professor Dirk Hebel hat ein großes Ziel: Nachhaltiges Bauen.
Knappe Rohstoffe wie Sand sollen eingespart werden. Materialien auf Erdölbasis sollen durch Materialien ersetzt werden, die im biologischen Labor entstehen. Für dieses Ziel arbeitet der Architekt vom Karlsruher Institut für Technologie mit Architekten, Ingenieuren, Biologen, Chemikern und Materialwissenschaftlern in Karlsruhe, Zürich und Singapur zusammen.
"Auf der Suche nach einem alternativen Material sind wir dann irgendwann auf das Pilzmyzelium gestoßen, als biologischen Kleber."


Das alternative Material, zum Beispiel Holz-oder Getreideabfälle, wird von den fädigen Pilzzellen, den Hyphen durchwachsen und zusammengehalten.
"Pilze haben die unglaubliche Eigenschaft, wenn sich zwei solcher Hyphen treffen, das sie nicht über- oder untereinander wachsen, sondern durcheinander hindurch wachsen. Und sie können sich vorstellen, dass dadurch ein unglaublich dichtes und sehr verwobenes und sehr stabiles Netzwerk entsteht, und dieses Netzwerk ist im Endeffekt das, was uns interessiert als Ingenieure und Architekten, weil das eine gewisse Stabilität darstellt."
Ein erster Erfolg hat sich inzwischen eingestellt: Die Pilzziegel, die vor vier Jahren gezüchtet wurden, hatten noch eine Druckfähigkeit, die 100-mal schlechter als die eines normalen, gebrannten Ziegelsteins war.
"Mittlerweile liegen wir in Bereichen, die wesentlich höher sind. Wir kommen fast an einen Ziegelstein."
Damit das Pilzmyzel wächst, braucht es ordentlich Futter.
"Also alles, was im Endeffekt bei der landwirtschaftlichen Nutzung oder Produktion als Abfall anfällt, kann verwendet werden, und wir experimentieren auch mit Schalen, mit faserigen Schalen, wie Karottenschalen oder Kartoffelschalen. Also alles, was im Endeffekt Stärke oder Zucker enthält und dadurch interessant ist für den Pilz, um zersetzt zu werden."
Verschiedene Pilz-Plattenwerkstoffe.
Verschiedene Pilz-Plattenwerkstoffe.© Carlina Teteris

Baustoff aus Pilz soll rein biologisch sein

Dem gewachsenen Pilzmyzel wird durch Erwärmung das Wasser entzogen, damit stirbt der Organismus ab und niemand muss fürchten, dass der Pilz im Haus wieder erwacht.

"Wir möchten natürlich etwas produzieren, was hinterher nicht mehr getrennt werden muss, was keine Gefahr für die Menschen oder für die Tierwelt darstellt, indem wir sicherstellen, dass hinterher die Produkte, die wir erzeugen, zu 100 Prozent biologisch sind. Und auch nicht mit irgendwelchen chemischen Dingen versetzt werden."
Noch wird mit den Nahrungs- und Zuschlagsstoffen und mit verschiedenen Pilzarten experimentiert. Es wird ein paar Jahre brauchen, bis Myzelmaterial als Alternative für Ziegel, Rigipsplatten und Dämmstoffe auf den Markt kommt. Aber erste praktische Anwendungen gibt es schon, erzählt Dirk Hebel. Bei der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt in Dübendorf wurde ein Wohnmodul aus wiederverwertbaren bzw. kompostierbaren Materialen gebaut. Eine Wand ist aus Pilzmyzel-Material.
"Es gab einen kleinen Beitrag eines italienischen Fernsehteams, wo wirklich ein Reporter angefangen hat, kleine Stückchen aus dieser Wand in den Mund zu schieben, um auch zu beweisen, dass es wirklich total harmlos ist und dass man keine Angst vor diesem Material haben muss."

Pilze als Tatortreiniger

Pilze müssen fressen, um zu wachsen. Einige Arten sind dabei nicht wählerisch. Auf ihrem Speiseplan stehen chemische Verbindungen, vor denen Menschen mit dem Totenkopfpiktogramm gewarnt werden. Genau das macht sie weltweit für die Wissenschaft interessant. Im Nordosten von Leipzig liegt der Wissenschaftspark. Das UFZ, das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, hat hier seinen Sitz.
"Wir studieren vor allem die Effekte von Pilzen auf Ökosysteme. Wir schauen, inwiefern sind Pilzsysteme wichtig, um Bodensysteme, wenn sie gestört wurden, wieder in den normalen Rhythmus zurückzubringen, inwiefern ist die Resilienz durch Pilze erhöht und inwiefern nicht. Das sind die Hauptstudiengebiete, und darunter gehört auch das Austrocknen von Boden oder wenn ein Boden durch einen großen Stress absolut gestört wird."
Dr. Lukas Wick ist auf dem Weg von seinem Büro zum Labortrakt. Er ist Chemiker und Umweltforscher und arbeitet daran, verschmutzte Böden mit biologischen Mitteln zu reinigen. Pilze und deren Interaktion mit Bakterien spielen dabei eine wichtige Rolle.
"Das darf man auch nicht öffnen, sonst hat man die überall."
Er zeigt Petrischalen, in denen Pilzkulturen angesetzt sind. Fest verschlossen, zum Teil in Alufolie eingewickelt: Sie sollen nicht den Raum kontaminieren.

"Das Bakterium haben wir aus Ölsand in Kanada isoliert, das ist ein Bakterium, das kann pH-Werte zwischen 4 und 14 überleben."

Fungal Highway – Logistikunternehmen Pilz

Auch Bakterien sind fleißige Schadstoffbeseitiger. Zurück im Büro, erklärt Lukas Wick, warum sie dabei Unterstützung von Pilzen brauchen.

"Ein häufiges Problem im Boden ist, dass Schadstoffe deswegen nicht abgebaut werden, weil sie nicht da sind, wo die abbauenden Bakterien sind und umgekehrt. Sie müssen sich das so vorstellen, als wenn sie zu einem Geschäft gehen, und es ist abends um zehn und der Laden ist zu. Und es trennt sie eigentlich nur eine kleine physikalische Barriere, die Glastür von all dem Essen, was sie gerne essen möchten. Und so ist es im Boden, da sind häufig kleine physikalische Barrieren drin, so dass die Bakterien nicht zu den Schadstoffen oder umgekehrt kommen."

Selbst bei einer Besiedlungsdichte von 100 Millionen Bakterien pro Gramm Boden ergeben sich Distanzen, die Bakterien nicht ohne Hilfe überwinden können.
Allerdings: In einem Gramm Boden stecken bis zu fünf Kilometer Pilzhyphen. Die könnten bei der Lösung dieser logistischen Aufgabe helfen. Als die Wissenschaftler Pilze und Bakterien unters Mikroskop gelegt haben, konnten sie sehen:
"Dass die Bakterien entlang dieser Pilzhyphen wandern. Und wenn man unter dem Mikroskop schaut, sieht das aus wie aus der Luftperspektive, wie wenn Autos entlang einer Autobahn fahren. Wir nennen das auch fungal highway, die Pilzautobahn."
Doch es geht um mehr als den Transport. Es geht auch um angeregten "Bakterien-Sex", um horizontalen Gentransfer.

"Wenn Bakterien entlang dieser Autobahn wandern, wenn da Gegenverkehr herrscht, das die automatisch aneinanderstoßen müssen, das man da eine erhöhte Kontaktfrequenz hat. Wir konnten zeigen, dass das tatsächlich so ist, dass ein erhöhter Stau, eine erhöhte Dichte entlang der Pilzhyphen zu einem vermehrten horizontalen Gentransfer führt und das dieser Gentransfer die Fähigkeiten der Bakterien erhöhen kann. In unserem Fall wurde ein Plasmid, was den Abbau eines Schadstoffs ermöglicht, von einem Bakterium auf das andere übertragen und hat dadurch das andere Bakterium befähigt, den Schadstoff abzubauen."


Bakterien sind Spezialisten beim Schadstoffabbau, Pilze eher Allrounder.

"Pilze bauen Schadstoffe unspezifisch ab, das heißt, sie brauchen nicht die passenden Enzyme dazu, sondern die sind praktisch Universalabbauer."

Zum Beispiel für Chemikalien. 100.000 davon sind im täglichen Gebrauch. Viel zu wenig weiß man darüber, welche Folgen das für die Umwelt hat und inwieweit sie abgebaut werden. Feldversuche der Leipziger Forscher haben gezeigt, dass Bakterien und Pilze auch helfen, Kerosin abzubauen.

"Da haben wir gute Erfahrungen gemacht, aber unsere Idee ist mehr, die Grundlagen für die Anwendung zu schaffen. Und dann das Wissen weiterzugeben an die Spezialisten im Feld."
Mikroskopische Aufnahme der Verbreitung von Bakterien (Grün) entlang eines Hyphengeflechts (Weiß). Diese Bakterien entstehen durch Gentransfer – über den direkten Kontakt von Bakterien , die in unterschiedlichen Richtungen auf den Hyphen unterwegs sind.
Mikroskopische Aufnahme der Verbreitung von Bakterien (Grün) entlang eines Hyphengeflechts (Weiß). Diese Bakterien entstehen durch Gentransfer – über den direkten Kontakt von Bakterien , die in unterschiedlichen Richtungen auf den Hyphen unterwegs sind.© Tom Berthold / UFZ

Medikamente aus der Pilzfabrik

Pilze haben in der Medizin eine lange Tradition – schon Ötzi trug einen Birkenporling zur Wundheilung bei sich.
Mit Penicillin hat die medizinische Karriere der Pilze eine neue Dimension erreicht. Antibiotika, Immunsuppressiva, Cholesterinsenker – all das produzieren Pilze. Die gentechnische und technologische Entwicklung erschließt weitere Potenziale.
"Also Pilze haben eine enorme Fähigkeit, unglaublich interessante Moleküle zu produzieren."
Wir sind noch einmal in Jena. Im Süden der Stadt liegt der Beutenberg Campus. Das Thüringer Forschungszentrum. Mittendrin das Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie. Professor Axel Brakhage, ist wissenschaftlicher Direktor des HKI.
"Das Problem, das wir heute haben, ist, dass wir dringendst neue Antibiotika suchen und auch neue Wirkstoffe zum Beispiel für die Krebstherapie, die zum Teil auch aus Pilzen isoliert werden. Und gerade in den letzten zehn bis 15 Jahren haben wir neue Technologien entwickelt."


Die Wissenschaftler haben beobachtet, dass aus der Natur isolierte Pilze unter Laborbedingungen viele Substanzen nicht mehr produzieren. Der ökologische Kontext fehlt ihnen offenbar: Der Boden, wo sie umgeben sind von anderen Mikroorganismen.
"Auf der einen Seite versuchen wir dieses Problem zu lösen, indem wir die Pilze gentechnisch verändern, sie also mit gentechnischer Manipulation, die Gencluster – das sind viele Gene zusammen – die dann zur Biosynthese einer solcher Substanz führen, dass wir diese Gencluster aktivieren, indem wir z.B. konkret Transkriptionsfaktoren modifizieren, das die aktiviert werden auch in Monokultur, was normalerweise nicht erfolgen würde."
Und die Forscher versuchen, den ökologischen Kontext der Pilze im Labor zu simulieren. Das geschieht durch die Abkehr von der Reinkultur, der Monokultur: lange das Primat der Mikrobiologie.
"Heute versuchen wir, verschiedene Mikroorganismen zusammen zu kultivieren. Und wenn man das tut und man findet die richtigen, das heißt, die Organismen die miteinander sprechen, dann fangen die an, solche Moleküle zu produzieren."
Antibiotische Wirkstoffe produziert dieser Pinsel-Schimmelpilz (Penicillium) im  Jugendstadium.
Antibiotische Wirkstoffe produziert dieser Pinsel-Schimmelpilz (Penicillium) im Jugendstadium.© Jan-Peter Kasper/FSU Jena

Pilze werden gebraucht

Die Wissenschaftler vom HKI sind auf der Suche nach neuen Stoffen, die Resistenzen gegen viele Antibiotika treibt sie um. Viel öffentliches Geld fließt in die Forschung, aber:
"Da ist es eben so, dass die Entwicklung von Antibiotika, da finden sie nur noch sehr, sehr, sehr wenige pharmazeutische Unternehmen, die daran Interesse haben. Und der Grund liegt darin, dass sie ein Antibiotikum als Patient nur sehr kurz nehmen, in der Regel vielleicht zehn Tage und natürlich auch pharmazeutische Unternehmen, die den marktwirtschaftlichen Gegebenheiten unterliegen, dass sie dann lieber natürlich Substanzen produzieren, die bei chronischen Erkrankungen eingesetzt werden. Denken Sie an Blutdruck- Medikamente, an Cholesterinsenker, die nehmen sie 40 Jahre oder 60 Jahre, keine Ahnung, und so dass das Interesse sehr gering ist, obwohl das Problem der Antibiotikaresistenzen so groß ist."
Ernährung, Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt, nachhaltige Produkte – Pilze werden gebraucht. Und wenn die Pläne der Forscherinnen und Unternehmer aufgehen, haben Pilze eine große Perspektive. Man kann also gespannt sein, was der nächste "State oft he World`s fungi" berichtet.
Zu Hause kann die nachhaltige Zukunft sofort beginnen: Züchten Sie Austernpilze auf Kaffeesatz! Nur 0,2 Prozent der Kaffeebohne landet in der Tasse, 99,8 Prozent sind Abfall. Machen Sie was draus.

Autorin: Constanze Lehmann
Sprecherin: Ilka Teichmüller
Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Roman Neumann
Technik: Thomas Monnerjahn

Das Feature ist mit dem Medienpreis 2020 der Deutschen Gesellschaft für Mykologie e.V. ausgezeichnet worden.

Eine Wiederholung vom 27.08.2019.

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