Buch über Mikroorganismen

Unscheinbar und doch unverzichtbar

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Eine Geschichte der Welt in 100 Mikroorganismen".
Das handliche Buch "Eine Geschichte der Welt in 100 Mikroorganismen" liefert leicht verdauliche Infohappen. © Deutschlandradio / Hanser Verlag
Von Michael Lange · 03.09.2021
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Winzige Mikroorganismen bestimmen die ökologischen Abläufe auf unserem Planeten. Bakterien, Viren, Mikroalgen oder Pilze leisten weit mehr, als wir ihnen zutrauen. Ein Buch über 100 Mikroben soll ihnen die Anerkennung bringen, die sie verdienen.
Statt die Geschichte der Welt in 100 Objekten zu erklären, wie es der Bestseller von Neil MacGregor versucht, konzentrieren sich der Astronom Florian Freistetter und der Biologe Helmut Jungwirth ausschließlich auf die kleinsten aller Lebewesen. Leicht verständlich und mit Blick für das Außergewöhnliche präsentieren sie auf jeweils drei bis vier Seiten Wissenswertes und Skurriles aus der Mikrowelt. Dazu gehören neben unangenehmen Krankheitserregern auch wandernde Schleimpilze auf dem Waldboden oder Bakterien als Helfer im Bergbau.
Statt der versprochenen "Geschichte der Welt" liefert das handliche Buch 100 leicht verdauliche Infohappen. Gut recherchiert und unterhaltsam. Angereichert mit zahlreichen Einblicken in die Wissenschaftsgeschichte und einer Prise Humor Wiener Art, unverkennbar im Stil der Science-Busters aus Österreich. Das überrascht nicht, denn Freistetter und Jungwirth gehören seit 2015 zum verjüngten und erweiterten Team rund um den Kabarettisten Martin Puntigam.

Potpourri der Übersehenen

Hundert unterhaltsame Geschichten aus Tier- oder Pflanzenwelt zusammenzutragen, wäre für viele Naturkenner ein leichtes Unterfangen. Aber wer kennt schon 100 verschiedene Mikroorganismen mit Namen wie Micrococcus, Halobacterium noricense oder Sphingomonas desiccabilis?
Selbst Experten gehen solche Namen nicht leicht über die Lippen. Diese winzigen Organismen leben in unserer Mundhöhle, in tiefen Erdschichten oder in den unwirtlichsten Lebensräumen auf unserem Planeten.
Auffallend viele Einträge befassen sich mit den oft übersehenen Archaeen. In der modernen Systematik des Lebens bilden sie eine eigene Domäne neben Bakterien und Eukaryoten. Zu diesen gehören Tiere, Pflanzen, Pilze und der ganze Rest.
Archaeen gedeihen in Salzlösungen ebenso wie in der Tiefsee. Selbst Strahlung, extreme Hitze oder Kälte können ihnen nichts anhaben. Sogar im Weltraum könnten sie überleben.
Auch Viren gehören in die abwechslungsreiche Mikrobensammlung der Autoren. Dabei zählen Viren in den Augen vieler Biologen nicht einmal zu den Lebewesen, weil sie keinen eigenen Stoffwechsel besitzen. Sie sind unselbstständig und manche Retroviren haben sich sogar ins Erbgut von Mensch und Tier integriert. In Millionen Jahren der Evolution sind sie zum Teil dieser Wirte geworden. Sie sorgen unter anderem dafür, dass wir und andere Säugetiere unsere Kinder nicht in Eiern ausbrüten müssen.

Bundesmikrobe statt Bundesadler

Aus den 100 Kapiteln entsteht zwar keine zusammenhängende Weltgeschichte, aber ein lesenswertes Sammelsurium. Immer wieder amüsiert und verwundert, stolpern die Leserinnen und Leser von einer Überraschung zu nächsten.
So bleibt kein Zweifel, dass Mikroorganismen mehr Aufmerksamkeit verdienen. Das gipfelt in dem Vorschlag der Autoren, statt einem Bundesadler lieber eine Bundesmikrobe zum staatlichen Symbol zu küren. Unscheinbar und doch unverzichtbar.

Florian Freistetter und Helmut Jungwirth: "Eine Geschichte der Welt in 100 Mikroorganismen"
Carl Hanser, München 2021
320 Seiten, 23 Euro

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