Peter Sís: „Nicky & Vera. Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete“

Wintons Liste

06:15 Minuten
In Sicherheit: Mit acht Zügen rettet Nicholas Winton 1939 jüdische Kinder aus Prag. Ein neunter Zug schafft es später nicht mehr.
© Gerstenberg Verlag

Peter Sís

Übersetzt von Brigitte Jakobeit

Nicky & Vera. Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er retteteGerstenberg, Hildesheim 2022

64 Seiten

18,00 Euro

Von Kim Kindermann  · 05.04.2022
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Der Brite Nicholas Winton rettete 1939 mehr als 600 jüdische Kinder aus der Tschechoslowakei vor den Nazis. Peter Sís erzählt in seinem wunderschön illustrierten Bilderbuch die Geschichte Wintons und eines Mädchens, das ihm die Flucht verdankt.
In Europa herrscht Krieg und Menschen sind auf der Flucht. Wieder einmal. Und dass Flucht immer nur gelingen kann, wenn Menschen helfen, wenn sie mutig sind, davon erzählt Peter Sís in seinem klugen Bilderbuch. Und auch wenn sich die hier erzählte wahre Geschichte 1939 ereignete; auch wenn sie von der Rettung 669 jüdischer Kinder aus der damaligen Tschechoslowakei handelt, so ist dieses Buch doch eine Parabel auf das heute, wo wieder Millionen Menschen von einer totalitären Staatsmacht bedroht werden und ohnmächtig miterleben müssen, wie ihr Land zerstört und besetzt wird. Wie Mitbürger und Mitbürgerinnen sterben.
Peter Sís zeigt hier in fein gemalten Bildern: Begegnen kann man solch einem Unrecht nur mit Widerstand, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Einer, der diesen Idealen folgte, war Nicholas, Nicky genannt, Winton.

Eine spontane Rettungsaktion

Im Dezember 1938 ist er zufällig zu Besuch in Prag. Nicky merkt schnell: Ein Krieg steht kurz bevor. Und so entscheidet sich der damals 29-Jährige, jüdischen Kindern zu helfen. Denn England nahm Flüchtlinge unter 17 Jahren auf, wenn jemand sich bereit erklärte, die Reise zu organisieren und die Kinder dauerhaft zu betreuen.
Kurzentschlossen wandelt Nicky sein Hotelzimmer in ein Büro um und erstellt Namenslisten. In London sucht er per Anzeige Pflegefamilien, er beantragt Visa und als es nicht schnell genug geht, fälscht er die nötigen Stempel selbst. Denn ihm ist klar: Die Zeit drängt.
Am 1. Juli 1939 starten acht Zügen aus Prag Richtung Ausland. Ein neunter Zug schafft es später nicht mehr. In einem von ihnen sitzt die 10-jährige Vera Gissing. Sie reist nach London. Zusammen mit ihrer älteren Schwester Eva. Ohne Eltern. Ohne Großeltern. Es ist eine Reise ins Ungewisse.
Mit ihnen zusammen sind weitere 667 Mädchen und Jungen unterwegs. Sie alle fliehen vor den deutschen Nationalsozialisten, die kurz zuvor in die Grenzregion der damaligen Tschechoslowakei einmarschiert sind.

Magische Wesen und Novemberpogrome

Geschickt verwebt Peter Sís die Geschichte von Vera und Nicky. Erzählt von ihrer Kindheit, vom Großwerden. In Veras Fall auf dem Land, in einem großen Haus mit vielen Tieren. Und von Nicholas, der 1909 in London zur Welt kam und von seinen Eltern, die deutsch-jüdische Wurzeln haben, zu freiem, kritischen Denken erzogen wurde. Er besuchte eine Reformschule, war leidenschaftlicher Fechter und Bänker.  
Nickys Geschichte ist dabei immer in hellem Blau unterlegt, Veras in braun – und alles ist wunderschön und filigran mit Aquarellfarbe, Tusche und Kreisen illustriert. Auf jeder Seite werden mehrere Dinge gleichzeitig gezeigt: Nicky beim Skifahren, daneben in Kreisen etwa Hitler und zerstörte Häuser während der Novemberpogrome. Oder Vera zwischen ihrer Familie, ihren Katzen im Dorf. Dazwischen oft mythologisch wirkende Symbole. Auf der Zugreise etwa umspringen die Züge magische Wesen.
Das Kleine findet sich im Großen und alles hat immer Bezug zueinander. Ein kluger Dreh des in den USA lebenden Autors. Denn er zeigt so auch: Persönliches Handeln hat Folgen.
Dabei wusste lange kaum jemand etwas über Nicholas Wintons Rettungsaktion. Erst 1988 stieß seine Ehefrau auf ein paar seiner Unterlagen und machte sie öffentlich. Darauf angesprochen, sagte Nicky: „Ich habe nur gesehen, was getan werden musste.“ Ein wunderbares Vorbild. Eine tiefsinnige Hommage.

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