Peter Geimer: „Die Farben der Vergangenheit“

Die trügerische Wirklichkeit historischer Bilder

07:00 Minuten

Peter Geimer

Die Farben der Vergangenheit. Wie Geschichte zu Bildern wirdC.H. Beck, München 2022

304 Seiten

38,00 Euro

Von Ingo Arend · 28.04.2022
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Können Bilder historische Wahrheit einfangen? Der Berliner Kunsthistoriker Peter Geimer zeigt in seinem Band „Die Farben der Vergangenheit“, wie das in Gemälden und Fotos immer wieder versucht wurde - und warum es nicht gelingen kann.
Ein Mann in einem schwarzen Mantel kniet auf den regennassen Stufen zu Füßen eines heroischen Denkmals. Das Foto des Kniefalls Willy Brandts im Dezember 1970 vor dem Mahnmal im Warschauer Ghetto verehren bis heute viele als Sinnbild des Eingeständnisses deutscher Schuld wie als Ikone eines historischen Augenblicks.  
Für Peter Geimer ist das ein charakteristischer Irrtum. „Die Vergangenheit ist unbeobachtbar“, schreibt der Berliner Kunsthistoriker, Fotografie-Spezialist an der FU Berlin in seinem Buch, in dem er untersucht, wie „Geschichte zu Bildern“ wird. Noch das authentischste Bild belegt nur, dass der historische Moment, den es festzuhalten vorgibt, unwiederbringlich vergangen ist.

Von der Historienmalerei zum Film

Der Wissenschaftler liefert in seinem Band keine Ideologiekritik solcher Bilder. In fünf Kapiteln durchmisst er vielmehr deren historische Entwicklung: Von der klassischen Historienmalerei über die Rundpanoramen, die Fotografie und kolorierten Bilder bis zum Film.
Geimers Revue solcher „Verfahren historischer Rekonstruktion“ bietet eine Fülle künstlerischer Beispiele, Formen des Authentischen in die Bildfindung zu integrieren, um dem Dilemma zu entgehen, der Geschichte letztlich niemals habhaft werden zu können. „Wirklichkeitseffekte“ nennt der Kunsthistoriker solche Techniken mit Rückgriff auf den Philosophen Roland Barthes.

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Die Fülle hyperrealistischer Details etwa, mit der der französische Historienmaler Ernest Meissonier auf seinem Ölbild „Der Feldzug in Frankreich“ (1814) den Rückzug des geschlagenen Kaisers Napoleon gemalt hatte, entlockte dem Kritiker Jean Paul Laurens damals den Ausruf: „Genau so muß es sich zugetragen haben“.
Als Gegenbeispiel führt Geimer den Dokumentarfilm „Aufschub“ von Harun Farocki von 2007 ins Feld. Der Berliner Filmemacher präsentiert das Film-Material, das der KZ-Häftling Rudolf Breslauer 1944 für die SS über das KZ-Sammellager Westerbork machen musste, in einer behutsamen Montage ohne Ton und Farben.
Geimers Buch, eine Bilanz der Forschungsgruppe „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“ der FU Berlin, ist eine ebenso informative wie lesenswerte Kulturgeschichte der visuellen Repräsentation von Geschichte. Mit einer starken These wartet sie aber nicht auf.

Lumpensammler der Geschichte

Seine Erkenntnis: dass Bilder immer der „zusätzlichen Vermittlung durch Sprache“ bedürfen, dass noch das realistischste Bild nicht ohne Imagination funktioniert, und dass sie als „Lumpensammler der Geschichte“ (Siegfried Kracauer) gleichsam indirekte Archive des Alltags vergangener Epochen sind – das alles ist nicht neu.
Spannend wird es, wenn Geimer beschreibt, wie sich im Zeitalter der digitalen Manipulation der „Wirklichkeitseffekt“ in einen „Vergangenheitseffekt“ verwandelt. Mit digitalen Filtern und Retroeffekten können Bilder einen „Anschein von Geschichtlichkeit“ und einen „simulierten Erinnerungswert“ erzeugen. Ihrem Versprechen, Geschichte unmittelbar erlebbar zu machen, steht Geimer skeptisch gegenüber, weil sie die für das historische Urteil notwendige Distanz auflösten.
Ein weiteres Dilemma liegt auf der Hand: Jeder Versuch, den Doppelcharakter des historischen Bildes zwischen „Vergegenwärtigung und Unwiederholbarkeit, Nähe und Distanz, Sichtbarkeit und Entzug“ aufzuheben, birgt die Gefahr der Geschichtsmanipulation.
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