Performancekollektiv Turbo Pascal in Dresden

Ein Plädoyer für analoge Netzwerke

09:21 Minuten
Aisha Majeed in dem Performanceprojekt "Dichte Netze" vom Kollektiv Turbo Pascal. Die Schauspielerin trägt ein Kindergeburtstagshütchen auf dem Kopf und sitzt an einem leeren Tisch, der für Gäste gedeckt ist.
In Zeiten von Corona spielen "analoge" Netzwerke eine noch wichtigere Rolle. Das thematisiert Turbo Pascal in "Dichte Netze". Hier Schauspielerin Aisha Majeed. © Sebastian Hoppe
Margret Schütz im Gespräch mit Janis El-Bira · 05.09.2020
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Bei Netzwerk denken die meisten sofort an Facebook. Das Berliner Performancekollektiv Turbo Pascal dagegen interessiert sich für analoge Beziehungen. In seinem Projekt "Dichte Netze" in Dresden vernetzen sich Spielende und Publikum für einen Abend.
Wenn wir von Netzwerken sprechen, dann geht es inzwischen meistens um das Digitale. Das Berliner Performancekollektiv Turbo Pascal dagegen konzentriert sich dieser Tage – trotz seines an eine Programmiersprache erinnernden Namens – ganz fürs Analoge.
An der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden arbeiten die Performerinnen und Performer an ihrem Projekt "Dichte Netze", einen Abend über zehn Menschen und deren Netzwerke. Und gemeint sind hier tatsächlich nicht die sozialen Medien, sondern es geht um das reale Umfeld der Spielerinnen und Spieler und um die Frage, wie wir erst im Austausch mit anderen zu denen werden, die wir sind.

Wie wir unser Zusammenleben organisieren

Das Projekt stand wegen Corona vor der Absage, nun kann die Premiere in abgewandelter Form dennoch stattfinden. Die Gruppe ist in der Freien Szene für ihre interaktiven Publikumsexperimente bekannt.
"Turbo Pascal interessiert sich schon lange dafür, wie wir unser Zusammenleben organisieren. Wir machen das immer gerne, indem wir die Anwesenden einer Aufführung als Gruppe thematisieren und befragen und auch die Interaktion zwischen den Anwesenden initiieren", berichtet Kollektivmitglied Margret Schütz.
"Und wir hatten schon vor langer Zeit die Idee, mal das soziale Netzwerk, also das Beziehungsgeflecht einer Person, auf die Bühne zu bringen: Dass eine Person in einer ‚durational performance‘ zehn Stunden lang jeden Kontakt erwähnt und darüber erzählt, den diese Person in ihrem Leben hat."

Analoge Netzwerke – wichtig in Coronazeiten

Obwohl dieses Projekt schließlich doch verworfen wurde, sei das Interesse an den analogen Netzwerken geblieben und gerade jetzt, in der Coronakrise, noch größer geworden. Für "Dichte Netze" haben Turbo Pascal nun zehn Schauspielerinnen und Schauspieler der Dresdner Bürgerbühne gebeten, ihre eigenen Netzwerke auf Brüche, "Löcher" und Stabilität hin zu untersuchen.
Was ursprünglich als kleine, soziologische Feldstudie im Theaterformat geplant war, habe durch Corona und die Kontaktbeschränkungen jedoch eine ganz neue Dimension bekommen, so Margret Schütz: "Durch den Lockdown hatte ich das Gefühl, dass viele Netzwerke unserer Spielerinnen und Spieler auf die Probe gestellt wurden.
Dieser Lockdown war wie ein Brennglas, das noch mal den Fokus auf die sozialen Netzwerke verschärft. Zum Beispiel haben wir einen Spieler, gerade nach Dresden gekommen ist. Er wollte sich dort ein neues Netzwerk suchen. Er war dann aber erst mal komplett alleine in seiner Wohnung und hat auch sonst niemanden treffen können."

Maximaler Austausch

Interessant sei zudem gewesen, wie stark bei vielen ihren Mitwirkenden die Sehnsucht nach anderen Formen des Zusammenlebens und Arbeitens ausgeprägt sei: Nach neuen Arten des Zusammenwohnens, alternativen Familienstrukturen oder Nachbarschaftsnetzwerken.
Auf der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden soll der Abend nun als "interaktives Netzwerktreffen" realisiert werden. Das Publikum – wegen der Corona-Maßnahmen pro Abend lediglich 30 Zuschauerinnen und Zuschauer – soll mit den Schauspielerinnen und Schauspielern in Kontakt treten, stellvertretend Rollen aus deren Netzwerken einnehmen, aber auch untereinander kommunizieren. Alles auf Abstand, aber, wie Margret Schütz sagt, "mit maximalem Austausch".

Die Uraufführung von "Dichte Netze" ist am 6. September 2020, 19 Uhr, und am 7. September 2020, 19.30 Uhr, an der Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden.

(jeb)
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