Vom langweiligen Leben zur Theaterutopie

Von Gerd Brendel · 16.06.2010
Theater jenseits von Diven-Allüren und egomanischen Regisseuren ist die Bühnenwelt der jungen Performerin Eva Plischke. Als Mitglied der Performance-Gruppe "Turbo Pascal" sucht sie immer wieder den Dialog mit dem Publikum.
Eva Plischke: "Ja, meine Eltern sind beide die ersten Akademiker ihrer Familie, beide studieren in Köln und lernen sich in einer linken WG kennen."

Neulich erzählte Eva Plischke ihre eigenes Leben auf der Bühne. In dem Stück ging es um Ausbildung und Karriere. Ihr Bühnenpartner durfte eine aufregende Lebensgeschichte zwischen Punk und Schulverweis erzählen, Eva den Gegenentwurf.

"Nach dem Studium wird meine Mutter Lehrerin für Biologie und Französisch am Andreas Vesalius Gymnasium in Wesel, mein Vater studiert Mathematik und wird ebenfalls Lehrer am Andreas Vesalius Gymnasium in Wesel, Wesel - ja, kann ich noch ein Los ziehen?"

Im realen Leben entdeckte die Gymnasiastin aus Wesel am Niederrhein in der 10. Klasse die Theater AG als ihr Los.

"Hab dann die Hauptrolle bekommen, und Leute haben dann gesagt, na, jetzt hast du ja richtig was für dich entdeckt!"

Und nicht nur die Lust am Spielen, sondern auch die Lust an den Prozessen hinter der Bühne und an den Prozessen zwischen Darstellern und Publikum.

"Mich interessieren Kommunikationsvorgänge, wie klappt das, dass Leute sich miteinander verständigen. Das interessiert mich beim Probenprozess aber auch am Ergebnis selbst."

So ähnlich stellt sich auch das Performance-Kollektiv Turbo-Pascal auf seiner Homepage vor, das Eva Plischke gemeinsam mit Hildesheimer Kommilitonen aus dem Studiengang Kulturwissenschaft und ästhetische Praxis vor vier Jahren gründete. Jetzt sitzt die Gruppe in einem Berliner Hinterhof und bespricht ihr aktuelles Projekt .

Sie sieht jünger aus als 31. Gelassen zieht sie an ihrer Zigarette. Bedenkenlos würde man ihr eine Schar brüllender Kleinkinder anvertrauen oder eine Gruppe hysterischer Passagiere mit panischer Flugangst. Wie Kollektive auf Druck reagieren, damit hat sich ihr Theaterkollektiv immer wieder auseinandergesetzt. In "Ich bin nicht wirklich die Gefahr" spielten die vier Performer mit dem Publikum Katastrophenszenarien nach, in "Wir werden wieder wer gewesen sein" spielen sie mit dem Publikum demokratische Bürgerversammlung inklusive Abstimmungen und quasi Ausbürgerungen

Glaubt Eva Plischke daran, dass Theater Gesellschaft verändern kann? Sie schüttelt den Kopf:

"Nee, das muss es auch nicht, man muss jetzt nicht zusammen rausgehen und was anzetteln und dann Steine schmeißen, aber das Theater kann so Sachen durchspielen oder utopische Situationen."

In "Schlender Studies", dem aktuellen Projekt von "Turbo Pascal", verwandeln die Performer den alltäglichen Straßenraum zum Schauplatz denkwürdiger oder abstruser Geschichten.

"Stell dir vor, du bist Helmut Kohl zu Besuch bei Michael Gorbatschow!"

Jeder Besucher wird einzeln zu seinem ganz persönlichen "Schlender- Studiengang" abgeholt.

"Geh mal weiter da um die Ecke. Ich komm gleich nach."

Eva Plischke und ihre Kollegen schlüpfen in die Rolle zufälliger Passanten. Nur die einheitlichen schwarzen Perücken unterscheiden sie von anderen Fußgängern und ihre absurden Gespräche, mit denen sie ihre Begleiter beharrlich immer mehr aus der Realität entführen.

"ier zu Helmut Kohl. Der hat so viele Gehirnzellen wie es Moleküle im Universum gibt."

Am Ende seines Spaziergangs hat der Besucher als Helmut Kohl die deutsche Einheit von Gorbatschow erkauft, auf einen seiner Begleiter XX geschossen und in einem Hinterhof das riesige Modell eines menschlichen Gehirns entdeckt. Die nächsten Tage wird er mit anderen Augen durch die gewohnte Stadt gehen, sich vielleicht selbst Geschichten ausdenken, sie Passanten erzählen - und Schlender-Studies in Eigenregie betreiben. Turbo Pascal und Eva Plischke würden die private Aneignung ihrer Idee sicher nicht kränken.

"Vielleicht bin ich zehn Jahren auch noch mal anders, dass ich dann sage: Hier ich bin Eva Plischke, jetzt hört ihr mal alle nur noch mir zu."

Aber dass es soweit einmal kommt, kann sie sich selbst nicht vorstellen. Der Künstlerin, die sich über ihre eigene langweilige Biografie lustig macht, reicht es, mit anderen einen Theaterabend lang Utopie Wirklichkeit werden zu lassen.

Service:
Am 16. und 17. Juni 2010 auf dem unithea Festival Frankfurt/Oder, Startzeiten zwischen 17.00 und 21.00 Uhr
Am 18. und 19. Juni 2010 Sophiensaele. Start alle 10 Minuten für eine Person zwischen 18 und 22 Uhr.