PEN-Streit wegen NATO-Flugverbotszone

"Man muss nicht immer gleich nach Rücktritt schreien"

13:09 Minuten
Juli Zeh blickt in die Kamera.
Die Rücktrittsforderungen an Deniz Yücel könnte man als Zeichen schwachen Diskursverhaltens deuten, sagt Juli Zeh. © imago-images / teutopress
Juli Zeh im Gespräch mit Vladimir Balzer · 21.03.2022
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Nachdem PEN-Präsident Deniz Yücel für die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine plädiert hatte, wurde er von Amtsvorgängern zum Rücktritt aufgefordert. Juli Zeh teilt Yücels Meinung nicht, findet aber solche Forderungen unangebracht.
Bei der Eröffnung des Literaturfestivals lit.Cologne hatte sich der Präsident des Schriftstellerverbands PEN Deutschland, Deniz Yücel, für die Einrichtung einer NATO-Flugverbotszone über der Ukraine ausgesprochen. Daraufhin hatten mehrere Mitglieder, darunter die fünf ehemaligen Präsidenten Gert Heidenreich, Christoph Hein, Johano Strasser, Josef Haslinger und Regula Venske, seinen Rücktritt gefordert. Er habe die Befugnisse seines Amtes überschritten und gegen die Charta des PEN verstoßen, so die Vorwürfe. Yücel lehnte im Deutschlandfunk einen Rücktritt ab .

Private und repräsentative Meinung

Yücels Aussage müsse man sich auf verschiedenen Ebenen anschauen, sagt die Schriftstellerin Juli Zeh. Seine Forderung nach einer Flugverbotszone teile sie nicht. Es sei aber nicht die Hauptfrage bei diesem Streit, ob man mit ihm einer Meinung ist.
"Es geht darum, ob er als PEN-Präsident solche Äußerungen treffen kann, also ob eine Trennung zwischen privater und repräsentativer Meinung stattfindet." Schließlich müsse Yücel sich darüber bewusst sein, dass er immer auch als Präsident des PEN gehört werde, auch wenn der Verband in sich total kontrovers sei, so Zeh.
"Es gibt nicht die eine PEN-Ansicht oder -Meinung. Wir als Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind wahrscheinlich viel diverser als andere Berufsgruppen und auch sehr streitbar. Deswegen kann Deniz Yücel gar nicht für uns sprechen." Es wäre nicht schlecht gewesen, das so deutlich zu machen, dass es ganz klar bei den Zuhörern ankomme.

Es geht auch darum, ob man immer gleich nach Rücktritt schreien muss, wenn man eine Meinung oder Ausdrucksweise nicht teilt. Oder ist das nicht eher ein Zeichen schwächelnden Diskursverhaltens? Es kann nicht sein, dass, wenn eine bestimmte Meinung nicht gefällt, man denjenigen mundtot machen möchte.

Schriftstellerin Juli Zeh

Die schwierige Frage nach Waffenlieferungen

Im Moment gehe es um mehr als das Schicksal der Ukraine, sagt Zeh. "Es geht um eine Weltordnung und eine ganz große Gefahr, die für uns alle besteht. Wir reagieren rein emotional in die eine oder in die andere Richtung, denn die wenigsten von uns sind Expertinnen und Experten für militärische Fragen. Deswegen würde ich vorschlagen, dass man sehr gemäßigt mit der eigenen Meinung umgeht und immer versucht, spontane Emotionalitäten ein bisschen auszusondern, bevor man sich äußert."
Die ukrainischen Forderungen nach Waffenlieferungen verstehe sie vollkommen, sagt Zeh. Trotzdem sei es fraglich, ob das eine gute Idee ist.

Nur weil jemand aus einer bestimmten Perspektive heraus sich existenziell Waffenlieferungen wünscht und mit allen guten Gründen fordert, heißt das immer noch nicht, dass das eine gute Idee ist. Für uns in Europa und für die ganze Welt. Es ist eine sehr schwierige Frage, die emotional zu beantworten möglicherweise leicht ist. Sie sachlich zu beantworten, ist sehr schwierig."

Schriftstellerin Juli Zeh

Niemand könne in die Zukunft sehen und sagen, ob ein Atomkrieg drohe, wenn die NATO in den Krieg eingreife. "Es steht jetzt sehr viel auf dem Spiel, vielleicht am meisten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und das muss man im Kopf haben, wenn man sich auf ein Podium setzt und Dinge fordert."
Eine Zeitenwende sieht Zeh derzeit dennoch nicht. "Das würde bedeuten, dass man in den letzten Jahrzehnten allen Ernstes geglaubt hat, trotz der Kriege und Terroranschläge, eine Zeit von eitel Sonnenschein gehabt zu haben. Man konnte nicht ernsthaft davon ausgehen, dass uns hier, in der fettesten Ecke der Welt, nie wieder irgendetwas Schlimmes passieren wird."
(rja)
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